»Ich bin auch gegen den Staat«

Westbam

Eine Love Parade wird es dieses Jahr in Berlin nicht geben. An ihre Stelle tritt die »Love Week«, deren Höhepunkt ein Technoumzug unter dem Motto »Fight the Power« sein soll. Die Parade wird auf dem Berliner Kudamm stattfinden, an dem Ort, wo die Love Parade ihren Ursprung hat. Das Besondere an ihr: Im Gegensatz zur Love Parade in den letzten Jahren wurde sie als Demonstration genehmigt. Was davon zu halten ist, darüber klärt Maximilian Lenz aka Westbam auf, der Godfather der deutschen Technoszene, der bei »Fight the Power« hoch zu Wagen hinter einer DJ-Kanzel zu sehen sein wird.

Mit ihm sprach Andreas Hartmann.

»Forward ever, backwards never«, sagtest du einmal. Nun geht es technoparadentechnisch in Berlin aber doch wieder zurück auf Anfang.

Inwieweit »Fight the Power« die Roots der Love Parade aufgreifen wird, das wird man sehen müssen. Immerhin verläuft die Parade auf der ursprünglichen Strecke der Love Parade, und auch die Anzahl der Wagen orientiert sich am Original.

»Fight the Power« wurde als Demonstration mit politischem Anspruch angemeldet. Deswegen müssen 50 Prozent des Veranstaltungsprogramms mit politischen Redebeiträgen bestritten werden. Ist das Schwingen von Reden nicht tödlich für eine Technoparade?

Ich halte das auch für den größten Quatsch, von dem ich je gehört habe. Ich halte von dem geplanten Redenhalten gar nichts, weil man dadurch anerkennt, dass man sich vom Staat tatsächlich vorschreiben lassen kann, wie und wo man sich zu versammeln hat.

Ich haben den ganzen CSD am Fernseher verfolgt und auch keine politische Rede gehört. Ich sehe es jedenfalls gar nicht ein, dass man mit vorauseilendem Gehorsam nun noch irgendwelche duften Reden ausarbeiten soll, in denen lauter wünschenswerte Statements enthalten sind. So nach dem Motto: Der Staat will ja, dass wir ganz vernünftig sind, deswegen fordern wir mal, dass es bei uns ganz tolerant zugehen soll und alle ganz nett zueinander sein sollen und was sonst noch so an guten Dingen wünschenswert wäre.

Die Fuckparade, die letzte Woche in Berlin vor einem kläglich kleinen Häuflein stattfand, hatte sich bereits vor »Fight the Power« einen Demonstrationsstatus erkämpft, indem sie ihren politischen Anspruch betonte. Hat man beim Konzept von »Fight the Power« nicht bei der Fuckparade geklaut?

Das würde wohl die Tatsachen ein wenig verdrehen. Die Love Parade als Demonstration hat es zuerst gegeben. Die Fuckparade leitet sich davon ab. Dann bekam die Love Parade Probleme – ihr wurde der Demonstrationsstatus abgesprochen –, die ähnlich dann auch die Fuckparade zu spüren bekam. Doch weder bei der Love Parade noch bei der letztlich von der Love Parade abgeleiteten Fuckparade ging es ursprünglich darum, einen Umzug zu veranstalten, auf dem man Reden schwingen soll.

Der ganze politische Ansatz der Fuckparade war doch im Grunde der, dass ein paar Jungs genervt waren, dass es die Love Parade gegeben hat, und die wollten dieses Problem vor allem musikalisch besserwisserisch angehen. Das einzig Politische neben dem Redenhalten war sozusagen: Wir wollen aber Gabba hören.

Bei »Fight the Power« tut man nun so, als fände man es richtig toll, politisch sein zu müssen. Mit der Power, die es zu bekämpfen gilt, ist einerseits, so gibt man an, irgendeine diffuse Macht gemeint, andererseits will man aber auch die Major-Plattenfirmen bekämpfen, die den armen kleinen Indielabels angeblich das Leben schwer machen.

Es soll gegen den Senat und seine ignorante Poltik gehen, aber auch gegen die Majors. Das sind ja zwei völlig unterschiedliche Themen. Was schon beweist, wie verschwommen das alles ist.

Und wenn ich mir im Moment die armen Majors angucke, dann hätten die eher eine Sympathiekundgebung verdient. Bei den so genannten großen Musikkonzernen sind heute in Deutschland gerade mal noch 1 000 Leute beschäftigt. Dass es nun gerade gegen diese zum Abschuss freigegebene Mini-Industrie gehen soll, das ist lächerlich.

Ich als Privatmensch würde eh sagen, die wahre Power, das ist doch nicht die Plattenindustrie, die wird ja eher untergebuttert. Die wahre Power ist die Telekom. Die ist es, die an den Standleitungen verdient.

Die Musikindustrie ist pleite, und das liegt daran, dass die Telekommunikationsindustrie so groß ist. Das ist der wahre Major, der ein Interesse daran hat, dass die Leute downloaden. Denn daran verdient er. Aber so hat eben jeder seine eigene Vorstellung, gegen welche Power es zu fighten gilt. »Power« wird zur Projektionsfläche und das ist ja auch ganz gut.

Man will auch deswegen gegen die Major-Plattenfirmen sein, weil diese keine Gema-Gebühren mehr an die Indies weiterleiten wollen, so heißt es. Was bitte ist damit genau gemeint?

Da sieht man, wie verrückt die ganze Diskussion ist. Die Majors haben noch nie Lizenzen an die Indies gezahlt. Die Majors zahlen Gema-Gebühren an die Gema, und diese Gebühren bekommen dann letztlich die Künstler. Ich wüsste nicht, wogegen man hier nun sein könnte.

Ich finde diese Situation aber auf eine gewisse Art schon wieder amüsant. Ich bin auch gegen den Staat. Aber genau deshalb lasse ich mir nicht vom Staat vorschreiben, dass ich eine politische Rede halten oder ein politisches Ansinnen faken sollte.

Alle laufen nun aber umher und fragen sich: Sind wir nicht gegen irgendwas? War da nicht was? Gegen was müssen wir eigentlich sein? Sollten wir nicht auch für etwas sein? Die Leute sollten ja auch einen Ausbildungsplatz haben, am besten einen Arbeitsplatz. Natürlich sollte man gegen Sozialabbau sein und für Toleranz und gegen Gewalt und Nationalismus. Also gegen und für all das, wo jeder sagen würde: Ja, sind wir auch dafür oder dagegen.

Man hat eine Demonstration und stellt sich nun die Frage: Was wollten wir dort schon immer mal sagen?

Der ganze politische Anspruch von »Fight the Power« ist letztlich also ein lächerlicher Popanz?

Absolut. Und das Beste daran ist, dass das der Staat genau so verlangt hat. Er sagt: Macht doch endlich mal eine ordentliche Demonstration.

Dabei war für mich das Anarchistische und damit das Politische an der Love Parade eben immer, einfach zu sagen: Wir stellen uns auf den Kudamm und spielen Acid-Musik.

Es läuft nun darauf hinaus, dass der Staat verlangt, man solle doch vernünftig und gegen den Staat sein, denn dann freut er sich, der Staat, denn so will er seine braven Bürger.

Der Staat braucht das sogar. Für den Staat wäre es viel unangenehmer, wenn man sich einfach aufgrund des Versammlungsrechts hinstellen würde und eine große Feier abziehen würde.

Die einzig sinnige politische Forderung bei »Fight the Power« wäre für mich zu sagen: Es ist unser politisches Ansinnen, dass die Love Parade wieder als politische Demonstration anerkannt wird, auf der wir nicht reden oder ähnliche Faxen machen und in der vom Staat gewünschten Art und Weise Kritik äußern müssen.

Dass man nun auf einer Parade fordert, die Love Parade wiederhaben zu wollen, ist aber bestimmt um einiges interessanter, als es die Love Parade in diesem Jahr gewesen wäre.

Das, was nächstes Wochenende stattfindet, ist wahrscheinlich einfach dadurch, dass es lebendig sein wird, besser, als wenn man noch einmal mit Ach und Krach die Love Parade über die Bühne gebracht hätte. Einfach dadurch, dass niemand weiß, was passieren wird, hat man die Routine durchbrochen. Es wird Umsonst-Parties geben, eine Demo auf dem Kudamm, und niemand weiß etwas Genaues, es wird ein großes Experiment werden. Und das ist bestimmt besser, als bloß das Alte nochmals durchzuziehen.

Dein einziges politisches Statement am Samstag wird ein gutes DJ-Set sein?

Genau. Und damit möchte ich sagen, dass ich nicht gezwungen werden möchte, etwas zu sagen.