Last Exit Humor

Zum Tod von Bernd Pfarr und Chlodwig Poth

Die Wände scheinen ineinander zu kippen, der Schrank nach vorn, das spießige Kommödchen scheint auf unterschiedlich langen Beinen zu stehen. Kurz, das Bild hat keine Perspektive. Dennoch sieht man, dass hier jemand am Werk war, der Künstler ist, der es sich also erlauben kann, auf die klassische Perspektive zu verzichten. In der Bildmitte erkennt man ein Sofa, aus dem zwei Arme und ein paar Beine ragen. Der Text lautet: »Sondermanns neues Sofa mit Treibsandfüllung war kein ungefährliches Ding.«

Sondermann, der geplagte Büroangestellte, ist Monat für Monat in der Satirezeitschrift Titanic zu finden gewesen und gehörte damit in den letzten Jahren zu den wenigen verlässlichen Größen im Heft. Sondermann ist ein Angestellter, der sich in einer Welt ohne Ordnung wiederfand: Elefanten spielen in seinem Büro Fußball, der Chef hetzt gegen ihn, seine sexuellen Wünsche bleiben unerfüllt. Er muss mit einem überdimensionalen Zuckerstreuer darum streiten, wer heute den Badesteg benutzen darf. Was bleibt, ist die Angst.

Bernd Pfarr, der die Figur Sondermann geschaffen hat, ist am Dienstag letzter Woche gestorben. Anders als so vielen seiner Zeichnerkollegen gingen ihm die Witze nie aus. Die Schifffahrt fühlt sich vom Bermudadreieck bedroht – bei Pfarr ist das Bermudadreieck ein kleines Dreieck auf dünnen Beinen, das versucht, einen Stein auf ein Tretboot zu werfen. Denn er sah das Seltsame im Alltäglichen und stellte es heraus. Er wurde nur 45 Jahre alt. Von nun an wird man auf Sondermann, den schreienden Hund, auf schönes TNT und Tanzbären verzichten müssen.

Nur zwei Tage nach Bernd Pfarr verstarb sein Kollege Chlodwig Poth, auch er nach längerer Krankheit. Seine Zeichnungen waren, anders als die Pfarrs, unmittelbare Eingriffe in den Alltag. Schon in seinen fabelhaften Cartoons »Mein progressiver Alltag« führte er die Verlogenheit und Selbstvergessenheit der linken Spießer vor. Später dann, mit seinen »Hassblättern« und den Bildern vom »Last Exit Sossenheim« – beide Serien erschienen monatlich in der Titanic –, ging er der Niederträchtigkeit des deutschen Spießers nach, von der sich auch dessen HipHop-Kinder nicht freimachen konnten.

Zudem trat er als Schriftsteller hervor, etwa mit dem interessanten Krimi »Kontaktperson«, dem wunderbaren Roman »Die Vereinigung von Körper und Geist mit Richards Hilfe« oder seiner Autobiografie »Aus dem Leben eines Taugewas«, die vor zwei Jahren erschien. In den letzten Jahren wurden seine Bilder gröber, denn sein Augenlicht ließ stetig nach. So wurden die Bilder aus dem Sossenheimer Alltag noch trauriger, weil sie noch realistischer wurden. Alte Frauen träumen vom Tod ihres Gatten, junge Männer halten sich, während sie durch die trostlose Vorstadt schleichen, für Götter.

Chlodwig Poth hat Deutschland auf den Begriff gebracht und es zugleich, wie es im Impressum der Titanic zu lesen stand, verachtet: »Die endgültige Teilung Deutschlands – das ist unser Auftrag.« Chlodwig Poth wurde 74 Jahre alt. Mit Bernd Pfarr und Chlodwig Poth sind zwei große humoristische Künstler gestorben. Sie sind, jeder für sich, unersetzlich.

lutz erkenstädt