Der Kreuzzug des kleinen Mannes

Schnelle Schnitte, emotionalisierende Bilder, Manipulation der Fakten: Mit »Fahrenheit 9/11« appelliert Michael Moore an die Ressentiments des Publikums. von teresa schweiger und tobias ofenbauer

So viel steht vor dem Filmstart in Europa bereits fest: »Fahrenheit 9/11«, der neueste Film von Michael Moore, ist ein Kassenknüller. Und ebenfalls lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit prognostizieren, dass dieses ressentimentgeladene Propagandawerk auch in Europa einschlagen wird.

Michael Moore setzt nahtlos da an, wo er bei »Bowling for Columbine« und seinen journalistischen Büchern aufgehört hat. Keine Überraschungen also: Intimfeind Nummer eins ist George W. Bush, ein manchmal tölpelhafter Typ, den Moore gern als Viehhüter aufgemacht zeigt und der es trotz allem zu Geld und Macht gebracht hat. Der Film beginnt mit einem lahmen Versuch, die Rechtmäßigkeit dieser Präsidentschaft in Zweifel zu ziehen. Doch so sehr Moore versucht, es durch schnelle Schnitte und emotionalisierende Bilder zu verbergen: Es war die Parteiführung der Demokraten, welche die rechtsstaatliche Auseinandersetzung um die Wahl nicht bis zum letzten austragen wollte und ihre eigenen Abgeordneten im Stich ließ.

Diese Tatsache wird jedoch von Moore geflissentlich übergangen. Böse sind schließlich nur die Republikaner. Also wird rasch umgeschwenkt. Mit immer derselben Technik, markigen Sprüchen, rasanten Bildern und schnellen Schnitten soll dem Zuschauer eingehämmert werden, dass Bush vor dem 11. September ein mieser Präsident war, faul, arbeitsscheu und politisch ineffizient. Wenn zufällig jemand im Publikum seiner Vernunft treu bleiben sollte und sich von diesem Pseudoskandal nicht beeindrucken lassen will, soll sein Verstand zumindest durch einen Bildersturm überrumpelt werden.

Schnitt. Der 11. September 2001. Nun gibt es für Michael Moore kein Halten mehr. Er tischt einen bizarren Plot auf, der in folgenden »Erkenntnissen« kulminiert: Wegen enger geschäftlicher Beziehungen zwischen der Familie Bush und den Angehörigen von Ussama bin Laden sowie des saudischen Königshauses denkt die US-Regierung nicht mehr an das Wohl ihres Volkes, sondern überlegt, wie sie es den Saudis recht machen kann.

Aus der Tatsache, dass die Geschäftswelt in manchen Bereichen eben mafiotisch funktioniert, zaubert Moore eine Verschwörungstheorie. In der kapitalistischen Selbstverständlichkeit, dass Saudis, die einen Haufen Geld besitzen, es gewinnbringend investieren wollen und dabei gerne profitable Anlagemöglichkeiten in den USA nutzen, sieht er bereits eine kriminelle Handlung. Er suggeriert, dass die ökonomische Macht der saudischen Investoren die Souveränität der USA gefährdet und dass der unpatriotische Bush ihnen zuarbeitet.

Die Banalitäten häufen sich. Moores Intention ist nicht Aufklärung, er hofft vielmehr auf die Dummheit seines Publikums. Die Sequenzen, in denen er versucht, die US-Regierung als Marionette der saudischen Monarchie darzustellen, könnte man auch als Rassismus werten, zumindest sind sie ein Appell an nationalistische Ressentiments.

Dann wird es ein wenig widersprüchlich. Moore zufolge dienten die Angriffe auf Afghanistan und auch auf den Irak lediglich zur Ablenkung von den gerade von ihm aufgedeckten »skandalösen Geschäftsverbindungen«. Moore kritisiert, der Kampf gegen al-Qaida in Afghanistan sei bewusst mit einer extrem geringen Truppenzahl geführt worden. Anschließend behauptet er, dass Afghanistan besetzt worden sein, damit die Energieindustrie eine Pipeline bauen kann. Der Konzern Unocal, der diesen Plan Mitte der neunziger Jahre verfolgte, hat jedoch kein Interesse mehr an dem Projekt, und auch andere US-Unternehmen mögen nicht einspringen.

Aber Konsistenz ist kein Kriterium für Michael Moore. Und die Auslassung unbequemer Fakten, die den Fluss seiner Erzählung stören könnten, führt in manchen Fällen zu Umdeutungen der Geschichte. So stellt er den Irak unter Saddam Hussein als eine »souveräne Nation« dar, die »niemals einen amerikanischen Staatsbürger ermordet« habe, aber dennoch wegen einer Laune von George W. Bush von den USA brutal vernichtet wurde. Kein Wort verliert Moore über den Terror des ba’athistischen Regimes und die offiziell angestrebte Demokratisierung des Irak, die auch die autokratischen Regimes in der Region vor ein Legitimationsproblem stellen sollte.

Moore genügt es, sich als Aufdecker angeblicher Skandale zu präsentieren. Dabei übt er sich als Dompteur der Ressentiments, als zwinkernder Führer einer Projektionsgemeinschaft. Er halluziniert Skandale – dass eine Berufsarmee Anwerber durch die Straßen schickt, um Mitglieder zu rekrutieren, ist einer davon – und ruft zum Aufstand des gesunden Volksempfindens gegen »die da oben«. So versucht Moore, Kongressabgeordnete zu überreden, ihre Söhne in den Irak zu schicken. Juristisch ist das gar nicht möglich, denn das Militär benötigt eine persönliche Bewerbung. Doch Rechtspersonen gibt es für Moore nicht, lediglich den Sieg der Moral des »kleinen Mannes«.

Um seine Gegner zu verunglimpfen, bedient Moore sich fast aller Stereotype, welche die Kulturgeschichte dieses Wahns gezeitigt hat. Bush und Co. zeichnet er als Grimassen schneidende, geschminkte, verweichlichte und unmännliche Knilche, als Diener des Mammon, welche das Blut Unschuldiger auf dem Altar ihrer Gier nach mehr Profit opfern.

Dass George Bush senior für ein Firmenkonglomerat arbeiten soll, das u.a. Waffen für die US-Streitkräfte produziert, passt da nur recht ins Bild. Denn natürlich ist es immer der ganze Familienclan – bei Moore herrscht Sippenhaftung. Dasselbe gilt für die bin Ladens. Man mag die Entscheidung, dass Mitglieder dieser Familie und der saudischen Oligarchie am 13. September 2001 die USA verlassen durften, für dubios halten. Aber Moore begnügt sich nicht mit Zweifeln, dazu bewegt er sich viel zu gerne im Tümpel populistischer Ideologieversatzstücke.

Geld und politische Macht kann er sich nur als Eigentumstitel von Personen vorstellen, nicht als systematische gesellschaftliche Synthesis, die Subjekte erst konstituiert. Angeblicher Missbrauch und angeblich rechtschaffener Gebrauch von Macht werden zur Frage des persönlichen Urteils, Moral wird zur Frage der Gefolgschaft. Und wenn ihm, Michael Moore, die aktuelle Politik missfällt, dann darf er sie mit allen Mitteln attackieren.

Nicht ob rechtstaatlichen Regeln genüge getan wird, zählt, sondern ob sich der eigene politische Wille durchsetzen lässt. Die Nähe zu antietatistischen Konzepten des Populismus, in denen nicht der blutleere Rechtsstaat, sondern das gesunde Volksempfinden herrschen soll, liegt hier offen zu Tage.

Als Schlusspunkt seines Projektionsfeuerwerks bringt Moore ein Zitat von George Orwell. Es suggeriert, dass die US-Regierung einen endlosen Krieg plant, der kein konkretes politisches Ziel verfolgt, sondern »die Struktur der Gesellschaft intakt« halten soll. Doch der hier als Kronzeuge gegen Bush aufgerufene Orwell war kein Freund der Appeasementpolitik gegenüber dem rechtsextremen Terror. Er kämpfte im spanischen Bürgerkrieg gegen den Faschismus und gegen den Sieg all dessen, was Moores Produkte beinhalten: Dummheit, Antiliberalismus, Kollektivgeist, Infantilität und Lügenpropaganda.