»Moore ist erfrischend«

Ein Gespräch mit günter wallraff über Michael Moore, dokumentarischen Journalismus und Linkspopulismus.

Günter Wallraff wurde in den sechziger Jahren mit seinen Reportagen aus der Arbeitswelt bekannt. 1977 arbeitete er mehrere Monate unter anderem Namen bei der Bild-Zeitung und deckte ihre Recherchemethoden. Für sein Buch »Ganz unten« arbeitete er monatelang verkleidet als türkischer Leiharbeiter.

Haben Sie den neuen Film von Michael Moore bereits gesehen?

Ich habe Auszüge daraus gesehen und finde, das ist eine erfrischende Fortsetzung seiner bisherigen Aktionen. Gerade auf diese in vielem ja fundamentalistisch erstarrten USA ist es die richtige Antwort.

Schätzen Sie Moores Technik?

Es ist für den momentanen Zustand der USA unter dem jetzigen Präsidenten aufklärerisch. Das ist eine Form, Aufklärung, Witz und Schelmerei mit einzubringen und sich selbst nicht bierernst zu nehmen. Das hat manchmal etwas Eulenspiegelhaftes und ist mir zutiefst sympathisch.

Kritiker von Michael Moore werfen ihm vor, dass der Film »Bowling for Columbine« keine Dokumentation gewesen sei. Es seien Szenen gestellt und Tatsachen verdreht worden. Wie vertragen sich diese Vorwürfe sich mit der Ansicht, seine Filme seien aufklärerisch?

Jeder, der eigene Wege geht und sich gegen einen übermächtigen Trend stemmt, muss damit rechnen, dass er irgendwann mit dem Rücken zur Wand steht. Das erlebt gerade auch Elias Bierdel von Cap Anamur. Die Mannschaft der »Cap Anamur« hat es riskiert, ein Boot zu starten, die Flüchtlingspolitik in Frage zu stellen und Politiker kenntlich zu machen, die lieber Flüchtlinge ertrinken lassen, als welche aufzunehmen. Ich denke da an Otto Schily. Wie aus einem Flüchtlingsproblem ein Fall Bierdel gemacht wird, das ist so etwas Ähnliches.

Wer sich selbst so einsetzt, muss immer damit rechnen, dass Neider, dass auch die politischen Gegner – und die stärkste Macht in den USA ist nun mal die Bush-Mafia – alle Wege finden, um ihm Unkorrektheiten nachzuweisen. Aber das schmälert nicht das Gesamtwerk. Einen Maßstab gibt es: Die Gerichte sind in den USA sehr schnell mit Schadensersatzurteilen und Verboten bei der Hand; hätte Moore da irgendetwas Falsches behauptet, wäre er längst mit Verbotsverfügungen überschüttet. Aber das ist bisher nicht passiert.

Liegt Moore nicht sehr im Trend? Sein Werk wird von vielen begeistert aufgenommen.

Die öffentliche Meinung in den USA bestimmen zu 90 Prozent die Konzerne und Meinungsfabriken. Das, was Moore vertritt, hat keine Lobby, es ist das andere Amerika. Dass er überhaupt noch lebt... So jemanden kann auch mal einer umlegen. Das wissen wir ja bei den vielen Waffenträgern im Lande, wie schnell da mal einer im Auftrag oder aus eigenem Antrieb heraus sowas vollstreckt. Es wird ja auch ein Hass geschürt gegen ihn.

Moores Buch »Stupid White Men« hat sich in Deutschland besser verkauft als in den USA. Wenn hierzulande so ein starkes Interesse an politischer Satire existiert, warum gibt es solche Filme nicht auch über Kohl, Schröder und die Verhältnisse hier?

Das wäre sicher angebracht, nur fehlt in Deutschland diese Tradition, auch nach dem Ausmerzen der jüdischen Kultur. Hier ist alles bierernst und in der Literatur oft auch sehr weihevoll. Ich habe in meiner Arbeit auf satirische Elemente zurückgegriffen, auf schwarzen Humor und auf Groteskes. Ohne diese Situationskomik wäre ich heute vielleicht verbittert und leicht paranoid.

In Ihrem Buch »Ganz unten« ging es ja auch um Leiharbeit. Die SPD weitet gerade solche Arbeitsverhältnisse aus. Das wäre doch ein Thema für Sie.

Für mich steckt Schröder in einer fast kläglichen Opferrolle. Als er mal menschlich reagierte, die Bild-Mafia abschüttelte und sie nicht mehr in seiner unmittelbaren Nähe an sich ranließ, sahen einige sich dem Springer-Konzern anbiedernde Chefredakteure eine Bedrohung der Pressefreiheit. Kohl hingegen hat immer bestimmte Journalisten außen vor gelassen, z.B. die vom Spiegel. Es wäre ein Nachtreten, jemanden wie Schröder noch zu prügeln. Das sehe ich mehr als Tragik denn als Komödie.

Schröder ist ein Opfer?

Er ist Täter und Opfer zugleich. Er wird zum Teil zu Recht angegriffen, weil er mit seinem Populismus und dem Ausverkauf des Sozialstaats zum Totengräber der Sozialdemokratie wird.

Schröder hatte sich bis zur Selbstaufgabe dem Rufmordblatt Bild-Zeitung zur Verfügung gestellt. Das wird ihm nun nicht gedankt. Er wird in einer Weise demontiert, dass nichts übrig bleibt.

Betreibt Michael Moore einen neuen Linkspopulismus? Ist es möglich, mit nicht aufklärerischen Mitteln aufzuklären?

Michael Moore benutzt auch Mittel des Entertainments. Aber nicht mit diesem Zynismus wie Harald Schmidt, der ja zum Teil nur noch Mätzchen machte. Moore verwendet tiefer gehende Ironie.

Wie sehen Sie im Nachhinein Ihre Wirkung? Bild wird ja immer noch von vielen Deutschen gelesen. Welche Wirkung hat der dokumentarische Journalismus?

Eine größere, als man sich vorstellt. Wir sollten nicht vergessen, dass die Auflage der Bild enorm zurückgeht. Sie sind in vielem auch vorsichtiger geworden. Zu meiner Zeit haben sie noch Menschen mit Rufmordgeschichten in den Tod getrieben. Ich habe Abschiedsbriefe von Menschen, die Bild für ihren Tod verantwortlich machten. Es gab regelmäßig solche Rufmordfälle. Da sind sie in einigem harmloser geworden, andererseits hat die Verblödung in diesem Blatt dramatisch zugenommen.

Ich lese die Bild nicht mehr. Ich kann mir das schon aus hygienischen Gründen nicht mehr zumuten. Das ist so ähnlich wie McDonald’s in der Nahrungskette. Solche Selbstversuche wie der Kollege Morgan Spurlock in seinem Film »Super Size Me« mache ich nicht mehr. Bei der Bild-Lektüre kommt es nicht zu Leberversagen oder Bluthochdruck, es ist das Gehirn, das darunter leidet.

Wenn man Michael Moore und Morgan Spurlock so betrachtet, kann man durchaus Ähnlichkeiten zu Ihrer Arbeitsweise erkennen. Moore fing an mit Dokumentarreportagen über die Stadt Michigan, als General Motors damals die Fabriken schloss. Auch Ihre frühen Reportagen berichteten aus der Arbeitswelt. Spurlock untersucht McDonald’s, wo Sie ja auch undercover tätig waren.

Ich sehe eine Fortsetzung mit anderen Mitteln in einer anderen Zeit. Das hat ja auch in den USA selbst eine lange Tradition. Es gab bereits Ende des 19. Jahrhunderts eine Reporterin, Nellie Bly, die in bestimmte Bereiche der Gesellschaft abtauchte, in Armenhäuser, Gefängnisse, in die Psychiatrie.

Sie haben sich 1974 auf einem Platz in Athen angekettet, um gegen die damalige Militärdiktatur in Griechenland zu protestieren. Michael Moore wurde bei einer Aktion auf der Wall

Street verhaftet, wo er ohne Erlaubnis filmte. Elias Bierdel provoziert auch einen Fall. Gehört diese Art von Provokation zu diesem journalistischen Genre?

Ich habe mich damals aus Solidarität mit politischen Gefangenen angekettet, um selbst den Status eines politischen Gefangenen zu erhalten. Wenn man Bierdel jetzt Schleusertum vorwirft, ist das mehr als heuchlerisch. Die Flüchtlinge wären wahrscheinlich ertrunken, wie so viele zuvor. Es ist falsch, jetzt vordergründig die Methode zu kritisieren. Das soll doch nur vom eigentlichen Problem ablenken. Bierdel hat es geschafft, dass überhaupt wieder öffentlich darüber diskutiert wird, dass hier tausende Menschen ertrinken. Schily in seiner Kaltschnäuzigkeit und Herrenmenschenarroganz hätte das einen Dreck interessiert, wenn die nächsten abgesoffen wären.

interview: stefan wirner