»Die Landfrage ist nicht geklärt«

Nilo D’Avila

Der Anbau genmanipulierter Lebensmittel schädigt die Umwelt und bringt die Bauern in die Abhängigkeit von transnationalen Konzernen; darin ist sich die Linke weitgehend einig. Doch ist der Anbau natürlicher Sorten eine Alternative in einer kapitalistischen, exportorienierten Landwirtschaft? Brasilien ist der größte Sojaexporteur der Welt (s. Seite 15). In der Amazonasregion führt der Anbau auch ohne Genmanipulation zu Umweltzerstörung und sozialen Problemen. Greenpeace Amazonien beschäftigt sich mit dem »Sojazyklus«. Mit dem Projektkoordinator in Manaus, Nilo D’Avila, sprachen Nils Brock, Thilo F. Papacek und Astrid Schäfers.

In der Amazonasregion dehnen Agrarunternehmen den Sojaanbau aus. Welche sozialen und wirtschaflichen Auswirkungen hat diese großflächige Produktion?

Man weiß noch nicht einmal, ob der Sojaanbau langfristig wirtschaftlich ist, Probleme gibt es dafür schon genug. Zum Beispiel beobachten wir eine extreme Zunahme gewalttätiger Landkonflikte zwischen ansässigen Gemeinden und Agrarunternehmern, die vor allem aus dem Süden Brasiliens kommen. Die Besitzverhältnisse sind häufig nicht genau geklärt. Zusätzlich zeichnet sich eine Zunahme der Gewalt auch an anderer Stelle ab. Bei der Rodung von Regenwald werden nicht selten Arbeiter eingesetzt, die wie Sklaven gehalten werden. Auf großen Teilen des gerodeten Landes entstehen später Sojafarmen.

Die brasilianische Regierung und die internationale Handelskammer ICC gewähren dem Agrobusiness weiterhin Subventionen oder Kredite. Werden die Folgen für die Region nicht berücksichtigt?

Die Bundesbank Abasa hat sich vor einiger Zeit verpflichtet, keine Projekte mehr zu finanzieren, die Regenwald vernichten. Aber wir beobachten, dass die neuen Agrarunternehmer, die in die Region dringen, oft genug Eigenkapital haben, um ihre Geschäfte auch so durchzuführen. Manche verkaufen das Edelholz aus dem Regenwald, um mit den Erlösen die zukünftige Sojafarm aufzubauen. Andere verkaufen ihr Land im Süden Brasiliens und kaufen sich ein größeres Grundstück in der hiesigen Region, wo die Landpreise bis zehnmal niedriger sind.

Ist diese Dynamik nicht auch der Wirtschaftspolitik der Regierung geschuldet, die vor allem auf den wachsenden Export von Agrarprodukten setzt? Irgendwo müssen die Pflanzen ja angebaut werden.

Das absurdeste ist ja, dass tausende Hektar Land, die bereits gerodet wurden, nun brach liegen. Trotzdem werden neue Anbauflächen aus dem Wald herausgebrochen. Deswegen muss öffentlich darüber diskutiert werden, welche der gerodeten Landstücke wirtschaftlich nutzbar sind und wo der Anbau gefördert werden soll. Es ist billiger, Wald zu schützen, als ihn aufzuforsten. Auch eine Klärung der Landtitel ist dringend erforderlich.

Der Sojaanbau wird vor allem von großen Agrarunternehmern betrieben. Welche Probleme ergeben sich daraus für die Kleinbauern und die indigenen Gruppen in der Region?

Derzeit findet eine Landflucht in der Amazonasregion statt. Viele Familienbetriebe oder Gemeinden verkaufen ihre Grundstücke und wandern in die Städte ab. In der Stadt Santarem wachsen erste Favelas, die es früher dort nicht gab.

Was schlägt Greenpeace konkret vor, um diese Tendenzen zu bekämpfen?

Die bisherige Art der Landwirtschaft, vor der Ankunft der Sojakultur im Amazonasgebiet, ist ökologisch sehr nachhaltig. Es werden keine Herbizide eingesetzt, hauptsächlich wird Reis angebaut. Doch diese Produktion ist in den letzten Jahren um 30 Prozent zurückgegangen. Die dort lebenden Familien können mit der mechanisierten Landwirtschaft der Farmer aus dem Süden Brasiliens nicht mithalten. Im südlichen Amazonas wandern viele Menschen ein, die den Regenwald brandroden, um sich ein Stück Land anzueignen. Damit zerstören sie aber zum Beispiel die Lebensgrundlage der Menschen, die vom Sammeln der Paránüsse leben.

Der Erhalt der Subsistenzwirtschaft kann doch aber keine Perspektive sein. Gibt es nicht andere wirtschaftliche Alternativen für die Region?

Die wichtigste Alternative zur bisherigen Praxis ist es, den Kleinbauern ein Stück Land zu garantieren. Die Bundesregierung hat die Landfrage immer noch nicht geklärt. Eigentlich wäre es ja die Aufgabe des Staates, den Erhalt des Regenwaldes und der kleinbäuerlichen Parzellen zu garantieren. Aber auch wir haben keine magischen Lösungen für die Nutzung des Waldes. Möglichkeiten gäbe es dagegen schon. Wenn zum Beispiel jemand Kokosfasern im kleinen Maßstab anbauen möchte, dann steht er erst einmal allein da. Es gibt weder ausreichende Hilfsprogramme der Regierung, noch haben die Bauern Zugang zu Kleinkrediten, mit denen sie investieren und wettbewerbsfähiger werden könnten.

Ein anderes Beispiel ist der Kautschuk. Heute werden lediglich 20 Prozent des Gummis, das in Brasilien verbraucht wird, in Amazonien gewonnen. Dort kommt die Pflanze eigentlich her, und die Produktionsweise ist ökologisch sehr verträglich, da die Gummibäume nicht auf Plantagen stehen. Die Regierung sollte die Produktion von Kautschuk unterstützen.

Viele Brasilianer haben gehofft, dass sich die Landwirtschaftspolitik unter der linken Regierung Luiz Inácio »Lula« da Silvas ändern würde. Wie bewerten Sie die Arbeit der Umweltministerin Marina da Silva?

Ich glaube, Marina da Silva spielt eine wichtige Rolle. Sie könnte den entscheidenden Unterschied im Kabinett von Lula machen. Sie kennt die ökologischen Probleme des Landes, und ich glaube, dass sie Schritt für Schritt ihren Einfluss in der Regierung ausbauen wird.

Das sagen viele bereits seit zwei Jahren. Der Agrarminister Roberto Rodrigues, der die Interessen der für den Export produzierenden Großgrundbesitzer vertritt, scheint jedoch weit mehr Einfluss zu haben.

Die exportierende Landwirtschaft gehörte von Anfang an zu den wichtigsten wirtschaftlichen Bereichen in Brasilien. Doch um weiterhin die Ausfuhr von Agrarprodukten zu sichern, muss die Regierung einsehen, dass es verschiedene Märkte mit verschiedenen Spielregeln gibt. Als China kürzlich den Import von brasilianischem Soja aus Qualitätsgründen untersagte, da es Spuren von Gensoja enthielt, sah man sehr deutlich, wie ernst Fragen der Lebensmittelsicherheit zu nehmen sind. Das gilt auch für andere ökologische Forderungen. Die wichtigsten Abnehmer unserer Agraprodukte bevorzugen nachhaltig produzierte Waren.

Ist es nicht so, dass die Abnehmer in erster Linie billige Produkte kaufen wollen, anstatt auf die Nachhaltigkeit zu achten?

Einige deutsche Unternehmen haben sich bereit erklärt, für ihre Produkte in Zukunft keine genetisch veränderten Agrarerzeugnisse zu verwenden. Eine ähnliche Lösung schwebt uns für die Monokulturen im Amazonas vor. Wenn es Greenpeace gelingt, auf die Folgen dieser Anbauweise aufmerksam zu machen, dann könnte ein so geschaffenes Konsumentenbewusstsein auch auf den Markt zurückwirken. Und wenn es einen Kontinent gibt, wo die Öffentlichkeit sich für die Abholzung des Regenwaldes interessiert, dann ist es Europa.

Aber fördert der europäische Boykott von Gensoja nicht gerade den Anbau natürlichen Sojas?

Das stimmt, der Anbau von natürlichem Soja bedroht den Regenwald. Zwar ist Amazonien noch nicht die wichtigste Anbauregion Brasiliens, aber die mit der höchsten Wachstumsrate. Deshalb müssen Umweltgruppen auf diese Entwicklung aufmerksam machen. Das ist unser Plan für die nächsten Jahre.