Der Osten wird rosa

Die Schwulen und Lesben in Osteuropa bewegen sich zwischen Übergriffen von Rechtsextremen, einem Leben im Geheimen und einem sanften Coming Out. Aktuelle Momentaufnahmen aus fünf Staaten des ehemaligen Ostblocks.

Einsamkeit in Albanien

In Albanien ist die gleichgeschlechtliche Liebe ab dem 14. Lebensjahr völlig legal. Dennoch vermögen es die verschiedenen Gay-Seiten im Internet nicht, Szenetreffpunkte und Kontaktbörsen anzubieten. Einzig der Homosexuellenverband in Tirana wird als legale Organisation erwähnt. Der Vorsitzende des Verbandes ist der 32jährige Zahnarzt Naser Almalek.

Sein Vorgänger Bashkim Arapi hatte Gift getrunken und starb wenige Stunden danach im Krankenhaus. An seinem Bett war nur sein Lebensgefährte. An der Beerdigung nahmen nur wenige Personen teil, kein einziges Mitglied der Familie erschien. In der albanischen Presse fand sich im August 2002 dazu folgender Satz: »Die Familie schämte sich, weil Arapi der Vorsitzende des Homosexuellenverbandes war.« Beerdigungen sind in Albanien normalerweise Großveranstaltungen, zu der nicht nur die gesamte Familie erscheint, sondern oftmals ganze Dorfgemeinden, um den Toten zu ehren.

Die Ignoranz der Familie gegenüber dem Verstorbenen belegt, dass große Teile der albanischen Bevölkerung eine entschiedene homophobe Einstellung haben. Diese Mentalität speist sich im Wesentlichen nicht aus religiösen Quellen. Die Gesellschaft ist mehr geprägt von archaischer Tradition, den Gesetzen des Kanun, des uralten Gewohnheitsrechts. Dessen Ehrenkodex stellt die Familie in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Die Reaktivierung der Familie und der Ehre ist auch eine Folge der ökonomischen Katastrophe, die Albanien seit 1992 erfasst hat. Damals wurde die schwache albanische Ökonomie der freien Konkurrenz durch den kapitalistischen Weltmarkt ausgesetzt. Dies hatte die Zerschlagung der albanischen Industrie zur Folge. Die Familie mit ihrer Solidarität wurde wieder existenziell wichtig für die Menschen. Ein Bekanntwerden der Homosexualität bedeutet, den familiären ökonomischen Halt zu verlieren. Diesen gewaltigen Druck hat Arapi nicht ausgehalten. Deswegen hat er sich umgebracht.

Der jetzige Vorsitzende des Homosexuellenverbandes möchte gegenüber einem deutschen Journalisten nicht über die Treffpunkte der Schwulen in Tirana sprechen. Almanek erklärt am Telefon: »Ich spreche nicht über solche Treffpunkte, denn es gab bereits Angriffe, wenn bekannt wurde, wo homosexuelle Pärchen nachts anzutreffen sind.« Gewöhnlich erkennen sich die Schwulen Tiranas mittels bestimmter Codes, um Treffen zu vereinbaren. Aus Sicherheitsgründen werden die Verständigungsrituale aber nicht näher erläutert.

Homosexualität wurde in Albanien bis 1995 als Straftatbestand gewertet, ein Homosexueller konnte eine Gefängnisstrafe von zehn Jahren erhalten. Im Juni 1995 wurde der entsprechende Paragraph 137 abgeschafft. Unmittelbar nach diesem Datum ließ sich der Homosexuellenverband in das Vereinsregister eintragen. Einige Mitglieder des Verbandes haben internationale Auszeichnungen für ihre Arbeit erhalten. Im Jahr 1995 erhielt ein Mitglied in Washington den Menschenrechtspreis »Filipo di Suco«. Dieses Ereignis wurde sogar in den albanischen Medien erwähnt. Allerdings setzte sich der Preisträger nach der Preisverleihung in die USA ab. Das benutzten rechtskonservative Kräfte zu einer Kampagne gegen homosexuelle »Antipatrioten«. Der Homosexuellenverband hat einige hundert Mitglieder, deren Namen größtenteils geheim gehalten werden. Bis dato ist an eine schwule Veranstaltung in der Öffentlichkeit nicht zu denken. Weniger wegen islamischen Fundamentalisten, deren Einfluss in Albanien marginal ist, sondern wegen der Kombination aus kapitalistischer Restauration und der damit einhergehenden Wiederbelebung reaktionärer patriarchaler Familienstrukturen.

max brym

Gewalt in Polen

Kaum eine Woche nach Polens EU-Beitritt erlebt Krakau Szenen des Hasses wie sonst nur beim Aufeinandertreffen verfeindeter Fußballfans. Ein friedlicher Demonstrationszug von rund 1 500 Menschen unter dem Motto des zum ersten Mal stattfindenden schwul-lesbischen Festivals »Kultur für Toleranz« sieht sich einer Horde Steine und Eier werfender Gegner gegenüber, die hinter einer Kette Polizisten den Fortgang der Demonstration verhindern wollen.

Es handelt sich bei der aggressiven unangemeldeten Gegendemonstration nicht nur um örtliche Hooligans, sondern es nehmen vor allem Mitglieder der Partei »Liga Polnischer Familien« sowie der rechtsextremen »Gesamt-Polnischen Jugend« daran teil. Kurz nach der Auflösung der Demonstration kommt es zu gewalttätigen Szenen auf dem Hauptmarkt, in deren Folge die Polizei Tränengas einsetzt und ein Polizist Säureverletzungen erleidet. Am Tag darauf findet die alljährliche Stanislaus-Prozession der katholischen Kirche statt, und der Krakauer Bischof findet in seiner weit beachteten Ansprache lediglich negative Worte für den »provokativen Charakter« des schwul-lesbischen Toleranzmarsches. Keinen Gedanken verschwendet er an eine Verurteilung der Gewaltszenen.

Einen Monat später scheitert die bis dato alljährlich stattfindende »Parada Równosci« (Parade der Gleichberechtigung) in Warschau am vehementen Veto des Stadtpräsidenten Lech Kaczynski, der einen rechtlich zugesicherten Demonstrationszug untersagt, angeblich »zum Schutze der Öffentlichkeit und der öffentlichen Sicherheit«. Die Medien halten sich weitgehend zurück. Wenn es zu grundsätzlichen Diskussionen kommt, dann sind sie von der Ansicht geprägt, sexuelle Minderheiten hätten sich der Diktatur der katholisch-heterosexuellen Mehrheit unterzuordnen.

Es ist eigentlich ganz einfach, in Polen schwul zu sein. Voraussetzung ist lediglich, dass man nicht auf dem Land lebt, Verwandten und Nachbarn die eigene sexuelle Orientierung verheimlicht, dass man auf Händchenhalten verzichtet und auf jede demonstrative Inanspruchnahme seiner Rechte in der Öffentlichkeit.

martin kraft, krakau

Hoffnung in Tschechien

Die tschechische Republik hat seit dem Jahr 1961 ein Gesetz, in dem steht, dass Homosexualität legal sei und Homosexuelle nicht diskriminiert werden dürften. Mit einer Ausnahme: Der homosexuelle Geschlechtsverkehr ist erst ab 18 Jahren legal, während die Grenze für Heteros bei 15 Jahren liegt. Damals war das Gesetz sehr fortschrittlich, trotzdem standen die Schwulen im Staatssozialismus oft unter der Beobachtung der tschechischen Staatssicherheit und ihre Rechte wurden auf unterschiedlichste Weise beeinträchtigt.

Erst nach der Wende wurden verschiedene Schwulenvereine bzw. -initiativen gegründet, und man begann langsam, in den Medien und generell in der Öffentlichkeit über diese Thematik zu sprechen. Doch viele Jahre lang ist es nur bei Worten geblieben. Und auch heute noch hat die tschechische Republik kein Gesetz, das gleichgeschlechtliche Partnerschaften regelt, obwohl es seit 1990 mehrere Initiativen dafür im tschechischen Parlament gegeben hat.

Die strikteste Gegnerin einer solchen registrierten Partnerschaft ist die Christliche Demokratische Union – Tschechische Volkspartei (KDU-CSL), die sich auf die Unterstützung von etwa acht bis zehn Prozent der Bevölkerung berufen kann. Ihre Abgeordneten reagierten geradezu hysterisch, als im tschechischen Parlament der Vorschlag für ein Gesetz zu registrierten Partnerschaften zwischen Schwulen bzw. Lesben gemacht wurde. Ein Abgeordneter der Partei verstieg sich dazu, in seiner Parlamentsrede Schwule als »Schweine« zu bezeichnen und ihre Handlungen als »entartet«. Der Einfluss dieser schwer homophoben Partei wird noch dadurch verstärkt, dass eine tschechische Regierung ohne die KDU-CSL als »Partei der Mitte« derzeit kaum vorstellbar ist. Mit Ausnahme der Zeit von 1998 bis 2002 sitzt diese Partei seit 1945 in jeder tschechischen Regierung.

Die mit ihr eng verbundene katholische Kirche zählt ebenso zu den vehementen Gegnern jeder gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Der tschechische Erzbischof Miloslav Vlk kommentierte die Tatsache, dass zwei Homosexuelle in einer Kirche in Prag eine illegale Hochzeit abgehalten hatten, mit den Worten: »Die haben die Kirche entweiht, wir müssen sie wieder neu weihen.«

Auch in der bürgerlich-konservativen Partei Tschechiens (ODS) gibt es strikte Gegner jeder Homosexualität. Ihr Vorsitzender Mirek Topolanek etwa erklärte: »Ich akzeptiere eine homosexuelle Partnerschaft nicht als Familie. Eine Familie, das bedeutet für mich: Papa, Mama und Kinder.« Ein anderer Abgeordneter der ODS bezeichnete Homosexualität als »ansteckende Krankheit« und warnte davor, dass »bis 43 Prozent der männlichen Population in Tschechien« gefährdet seien. Auch der Staatspräsident und Ehrenvorsitzende der ODS, Vaclav Klaus, gilt als Gegner der registrierten Partnerschaft, obwohl er zu vermeiden versucht, sich zu diesem Thema zu äußern. Er reagiert bei heiklen Fragen immer mit großer Vorsicht.

Auch die öffentliche Meinung in Tschechien ist gespalten. Für die registrierte Partnerschaft ist etwa die Häfte der Bevölkerung, dagegen sind rund 30 Prozent. Die Initiativen in den letzten Jahren fanden aber auch die Unterstützung von bekannten Persönlichkeiten aus Kultur, Kunst und Medien. Obwohl sich immer noch kein Politiker in Tschechien zu seiner Homosexualität bekannt hat, ist der Trend zu einer größeren Toleranz nicht zu übersehen. Und so hat eine neuerliche Gesetzesinitiative zur registrierten gleichgeschlechtlichen Partnerschaft, die derzeit im tschechischen Parlament vorliegt, tatsächlich erstmals reale Chancen, verwirklicht zu werden.

stanislav holubec, prag

Totenkopf in Serbien

Wie gefährlich es in Serbien ist, in der Öffentlichkeit die Probleme von Schwulen und Lesben anzusprechen, mussten in den vergangenen Tagen die Mitglieder der Nichtregierungsorganisation »Bildungszentrum« in der Kleinstadt Zrenjanin erfahren. Sie hatten sich entschlossen, in lokalen Medien über die Situation von Homosexuellen aufzuklären und der weit verbreiteten Homophobie entgegenzutreten. Die Antwort kam postwendend: Zuerst wurde das Gebäude des Bildungszentrums mit Parolen wie »Schwule sind keine Menschen« beschmiert. Dann kam eine E-mail mit einem Totenkopf. Und schließlich begannen die Drohanrufe auf den privaten Handys der Mitglieder des Bildungszentrums.

Dort rätseln die Mitarbeiter, wer hinter den Drohungen stecken könnte. Sie wissen es nicht, aber eine Vermutung haben sie: »Wahrscheinlich war es Obraz«, meinen sie. »Obraz« heißt »Ehre« und ist der Name einer der aggressivsten rechtsextremistischen Gruppen in Serbien. Und die Vermutung ist plausibel, denn die Drohungen begannen eine Woche, nachdem der Präsident von Obraz in Zrenjanin, Vitomir Malesev, den Beginn einer Plakatkampagne gegen Schwule mit dem brutalen Slogan »Besser verhindern als heilen« bekannt gegeben hatte.

Plakate mit dieser Aufschrift wurden in ganz Serbien geklebt. Der Anlass war offensichtlich. Denn eigentlich sollte im Juli eine Gay Pride Parade in Belgrad stattfinden. Diese wurde jedoch aus berechtigter Angst vor gewalttätigen Übergriffen abgesagt. Vor drei Jahren war der erste Versuch einer solchen Demonstration in Belgrad blutig zerschlagen worden – unter anderem von Obraz-Mitgliedern. Die diesjährige Absage der Veranstaltung war ein Triumph für die Rechtsextremisten, und mit der Plakatkampagne feiern sie nun ihren Erfolg. Empört forderte Ende Juli eine Reihe von Aktivistinnen und Aktivisten verschiedener schwul-lesbischer Gruppen in einem Offenen Brief eine Reaktion der Behörden und Politiker auf den abermaligen Aufruf zur Gewalt gegen Schwule und Lesben. Eine Antwort ist bislang ausgeblieben.

boris kanzleiter, belgrad

Privatsache in Bulgarien

Was wir auch tun – niemand will uns diskriminieren!« Dessislava Petrova ist fast ein bisschen beleidigt. Sie und ihre Freundin Aksinia Gencheva geben sich alle Mühe, die Toleranz ihrer Mitbürger auf die Probe zu stellen. Händchenhaltend und turtelnd ziehen sie durch die Straßen Sofias. Seit im Januar dieses Jahres das erste Antidiskriminierungsgesetz Bulgariens in Kraft trat, wartet Dessislava auf den ersten »positiven« Fall. Dass es bis dato noch keine Eingabe vor Gericht gibt, liege jedoch nicht am toleranten Verhalten der bulgarischen Bevölkerung, erklärt Dessislava, sondern schlicht und einfach daran, dass kaum jemand sich geoutet habe und bereit sei, sich öffentlich zu verteidigen.

Homosexualität wird in Bulgarien nur langsam zum Thema. Einschlägige Medienstars, die sich zur Homosexualität bekennen, gibt es bis jetzt gerade mal zwei: Dessislava und Aksinia. Das Pärchen war im letzten Halbjahr in sämtlichen bulgarischen Fernsehtalkshows zu Gast, und auch die Zeitungen zeigten Interesse am Privatleben der beiden Frauen. Reportagen mit Titeln wie »Ich liebe sie nicht deshalb, weil sie Brüste hat« nehmen sie gelassen zu Kenntnis. Während sich das Pärchen alle Mühe gibt, seinen subversiven Bildungsauftrag zu erfüllen, kommt es für die überwiegende Mehrheit nicht in Frage, ihre sexuelle Orientierung öffentlich zu machen.

In Bulgarien wird man gerne über den angeblich eklatanten Unterschied zwischen Provinz und Hauptstadt informiert. In punkto Gay-Lifestyle könnte das zumindest zutreffen. So kann es passieren, dass man in einer Wohnung in irgendeinem Viertel Sofias landet und plötzlich eine allzu bekannte Szene präsentiert bekommt: Herausgeputzte Jünglinge feiern das Geburtstagsfest eines Freundes, sprechen einander liebenswürdig mit »Schwester« oder »Tante« an und tauschen Klatschgeschichten aus. Im Nebenzimmer läuft eine CD mit laszivem Orientalpop von Azis, einer übergewichtigen einheimischen Kopie von Tarkan. Einzig das Büffet mit den üppigen Köstlichkeiten und der Umstand, dass die Partygäste plötzlich den Nationaltanz Horo aufs Parkett legen, wollen nicht so ganz in den gewohnten Kontext passen. BulGAYria ist eben doch ein bisschen anders.

jutta sommerbauer, sofia