Hier gehör’n sie hin

Den verbalen Attacken auf die Rechtsextremisten, die im Juni in einige sächsische Kommunalparlamente einzogen, folgten nicht viele Taten. von peter conrady

Die Aufregung war groß in Sachsen, als sich nach den Kommunalwahlen am 13. Juni dieses Jahres herausstellte, dass insgesamt 52 Mitglieder rechtsextremistischer Parteien und Bündnisse in Stadträte- und Kreistage einziehen sollten.

Dabei hätte eigentlich den meisten klar sein müssen, dass insbesondere die NPD deutliche Erfolge bei der Wahl erzielen würde. Sogar das Landesamt für Verfassungsschutz spricht von einem »Stammwählerpotenzial« in den Hochburgen der NPD. Ergebnisse von 25 Prozent der Stimmen lassen keinen Zweifel daran, dass sich rassistische und antisemitische Positionen in der Gesellschaft weit verbreitet haben.

Statt diesem Umstand wenigstens im Nachhinein entschlossen entgegenzuwirken, befinden sich große Teile der »zuständigen Anständigen« aus Zivilgesellschaft und Politik noch immer in einer Art Dornröschenschlaf.

Das Netzwerk Tolerantes Sachsen, ein Bündnis aus über 25 Vereinen und Initiativen, äußerte sich immerhin zu den Wahlerfolgen der Neonazis. Es sieht den Grund für den Aufstieg der rechtsextremen Parteien vor allem darin, »dass sich die politischen Spitzen vieler Kommunal- und Kreisverwaltungen sowie -parlamente nicht eindeutig gegen rechtsextreme Hegemoniebestrebungen und Gewalt positioniert haben«. Zudem habe es an »inhaltlichen Auseinandersetzungen« mit dem Thema gefehlt. Ähnlich äußerte sich auch der stellvertretende Juso-Landesvorsitzende Holger Mann: »Alle demokratischen Parteien müssen den Menschen in Sachsen klar machen, dass man die NPD nicht wählen kann. Das Gedankengut dieser Partei und ihrer Mitglieder ist menschenverachtend und zutiefst undemokratisch.«

Über verbale Proteste gingen die Maßnahmen der bürgerlichen Akteure jedoch kaum hinaus. Sogar die Aktivitäten gegen die Neonazis in den Parlamenten waren bislang überall in Sachsen fast ausschließlich Sache der Antifas und der linken Jugendlichen.

In Dresden zog der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Holger Apfel als einer von drei Vertretern des »Nationalen Bündnisses Dresden« in den Stadtrat ein. Gleich in der ersten Sitzung am 26. August forderte er »aus grundsätzlicher Erwägung« die Abschaffung des Ausländerbeirats. Während »nationale deutsche Jugendliche« bekämpft würden, erhalte »jede noch so kleine Minderheit« eine Mitwirkungsmöglichkeit, argumentierte er. Ein Großteil der neuen Stadträte verließ den Saal, als Apfel seine Hetzrede begann, lediglich ein Stadtrat der Grünen ging auf seine Argumente ein.

Zuvor hatten die Rechtsextremisten die Wahlen zu den Ausschüssen durch wiederholte, immer gleich lautende Stellungnahmen in die Länge gezogen. Als Konsequenz kündigte der Dresdner Oberbürgermeister nach Angaben der Sächsischen Zeitung »Mammutsitzungen« an. »Der alte Stadtrat« habe »im Schnitt 30 Punkte pro Zusammenkunft bewältigt – der neue gerade mal neun«.

Immerhin erhielt das rechtsextreme Bündnis nur einen einzigen Sitz in einem Ausschuss. Im Bereich IT-Leistungen, Stadtentwässerungen und Friedhofswesen diskutiert nun der Informatiker Hartmut Krien mit. Er kündigte auch eine Klage dagegen an, dass dem »Nationalen Bündnis« nur ein Ausschusssitz zugesprochen wurde statt der zwei beanspruchten. Der zweite sei dem Bündnis durch eine Absprache zwischen den Fraktionen der SPD und der Grünen verwehrt worden. Insider schätzen die Erfolgschancen des rechten Bündnisses in dieser Sache als günstig ein, auch wenn die verwaltungsrechtliche Entscheidung erst in einigen Jahren fallen dürfte. Von der SPD und den Grünen abgesehen, aus deren Reihen sich zumindest Einzelpersonen immer wieder gegen die Neonazis aussprechen, kann momentan davon ausgegangen werden, dass für die anderen Mandatsträger die Neonazis bald schon normale Stadträte sein werden.

Ähnlich sieht es in Riesa aus. Hier gestand man den beiden Stadträten der NPD von vorneherein die Möglichkeit zur Mitsprache in zwei von drei Ausschüssen zu. Im Verwaltungs- und Finanzausschuss sowie im Ausschuss für Bauangelegenheiten sind die Rechtsextremisten jetzt dabei. Sie sollen »gezielt in Entscheidungen einbezogen« werden und »Verantwortung übernehmen«, schrieb die Sächsische Zeitung. Dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Günter Colve gehe es dabei »vor allem um Sacharbeit«, der CDU-Fraktionschef Norbert Paul sehe »keinen Grund, die NPD auszugrenzen«. Beide Fraktionen seien sich einig, dass auf diese Weise der NPD »ein größeres Podium entzogen« werde. Zu Recht sprach die nicht gerade für kritische Töne bekannte Zeitung von einem »Schmusekurs« mit der NPD in der Stadt, wo die Partei mit dem Verlag Deutsche Stimme ihre logistische Zentrale unterhält.

Im Kreistag Meißen verabschiedeten alle Mitglieder mit Ausnahme der drei Räte, die für die NPD dort sitzen, eine Erklärung gegen Ausländerfeindlichkeit, Gewalt und Rassismus. Schließlich lebe man in einem touristischen Landkreis und begrüße Gäste aus allen Ländern. Doch der NPD-Kreisrat Mirko Schmidt, der gleichzeitig auch im neuen Stadtrat von Meißen sitzt, ist Beobachtern zufolge der aussichtsreichste Kandidat für den Posten des Bürgermeisters, der am 19. September gewählt wird. Im Gegensatz zu seinen beiden parteilosen Kollegen – der eine gilt als Außenseiter, der andere, Jugendamtsleiter Olaf Raschke, zog öffentlichen Unmut auf sich, als er die Zahl der Kindergartenplätze verringerte – ist der vergleichsweise eloquente Schmidt recht beliebt in der Stadt.

Die Forderung nach der Ausgrenzung der NPD auf allen Ebenen trifft sicherlich das Gefühl vieler Linker und Zivilgesellschafter. Sie entspricht jedoch nicht mehr einem gesellschaftlichen Konsens. In der sächsischen Gesellschaft, die geprägt ist von der jahrelangen Dominanz der Konservativen, in der der Ausschluss von MigrantInnen Usus ist und in welcher ein Viertel derer, die ihre Stimmen abgaben, von der NPD und anderen Neonazis vertreten werden wollen, ist es schwierig, genau jene zu isolieren. Da helfen auch keine Hinweise auf die menschen- und demokratiefeindlichen Programme und Ziele der Neonazis. Die Existenz von Rechtsextremen ist kein Problem am Rand der Gesellschaft, sie gehören derzeit zur deutschen Gesellschaft und stellen darin ein wichtiges konstituierendes Moment dar. Die Goldenen Zitronen brachten es auf den Punkt: »Was soll’n die Nazis raus aus Deutschland, was hätt’ denn das für’n Sinn. Die Nazis können doch nicht raus, denn hier gehör’n sie hin.«

Auch für den Fall, dass der wachsende Erfolg der NPD bei den Landtagswahlen gestoppt werden sollte, gilt es, den Rechtsextremismus als Teil der deutschen Gesellschaft zu begreifen. Sollten die Neonazis den Einzug in den Landtag schaffen, könnten die Kommunen und die Bürger gezwungen sein, endlich ihren Worten auch Taten folgen zu lassen.

Die NPD verbreitet indessen Optimismus. Mit Millionen von Flugblättern, 25 000 kostenlosen CDs, zehntausenden Plakaten und einem Werbeflugzeug, das über Sachsen kreist, wollen sie ihren Wahlerfolg sichern.