Just Another Manic Monday

Am 2. Oktober soll in Berlin gegen Hartz IV demonstriert werden. Die Montagsdemonstrationen hingegen scheinen abzuflauen. Was wird aus dem Protest gegen Hartz IV?

Am 21. September trafen sich Protagonisten und Kritiker der Montagsdemonstrationen in der Redaktion der Jungle World und diskutierten über die Perspektiven der Bewegung. Das Gespräch moderierte Stefan Wirner.

Stefan Wirner: Welche Perspektiven hat der Widerstand gegen Hartz IV?

Peter Grottian: Wir hatten keine Kultur des Sozialprotests, außer der des gewerkschaftlich organisierten. Die Montagsproteste waren ein undogmatischer Aufbruch von unten, dessen die Parteien sich nicht bemächtigen konnten. Sie waren im Osten sehr stark mit der Vorstellung verbunden, doch etwas an den Hartz-Gesetzen ändern zu können. Diese Vorstellung war sehr unrealistisch, nach den kosmetischen Korrekturen ist jetzt die Enttäuschung groß, dass die Hartz-Gesetze nicht so einfach zu verhindern sind.

Das weist auch auf Defizite hin, dass Alternativen zu Hartz nicht sichtbar geworden sind. Auch das Verhältnis von Massenmobilisierung und Aktionen des zivilen Ungehorsams ist überhaupt nicht ausgelotet.

Helge Meves: Eine Kultur des Sozialprotests gibt es in diesem Land in der Tat nicht. Deswegen war es für mich überraschend, dass sich dieser Protest unabhängig von Parteien, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen entwickelt hat.

Das zeigt für mich zweierlei. Einmal, dass die bestehenden politischen Institutionen nicht in der Lage sind, mit solchen Formen der Auseinandersetzung umzugehen, und zweitens, dass bei den Menschen durchaus ein Interesse besteht, sich in die Politik einzubringen, aber nicht in den Institutionen, die momentan ein Politikangebot unterbreiten.

Die quasi anarchistische Entwicklung dieser Demonstrationen ist ein Hinweis darauf, dass die Menschen sich durchaus selbst organisieren können. Es sollte aber auch nicht überraschen, dass solche lockeren Bündnisse nicht die Stetigkeit haben, wie man es von sozialen Bewegungen her kennt.

Georg Müller: Für uns ist entscheidend, ob sich Leute aus den derzeitigen Protesten in eine subversive Richtung bewegen und zu anderen Aktionsformen übergehen. Dazu müssten zuerst mal der Ruf nach Arbeit und die Selbstinszenierung als Volk aufhören.

Euch geht es dagegen darum, neue parlamentarische Alternativen anzubieten, bei Peter Grottian geht es in Richtung Zivilgesellschaft. Die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft betrachten solche Kräfte nicht als strategische Bündnispartner, sondern als Gegner, weil sie die herrschenden Verhältnisse von unten erneuern und nicht perspektivisch überwinden wollen.

An Alternativen besteht leider überhaupt kein Mangel, wenn man etwa die völlig illusorischen Pläne für kreditfinanzierte Beschäftigungsprogramme nimmt. Von der MLPD mit ihrem Slogan »Neue Politiker braucht das Land« bis zur Wahlalternative oder Grottians Vorschlägen handelt es sich um gefährliche Scheinalternativen, weil sie die Verhältnisse zementieren.

Grottian: Was ist denn so gefährlich daran?

Müller: Deinen Vorschlag für so genannte Bettel-Demonstrationen etwa finde ich unverfroren. Dass sich die Empfänger des Arbeitslosengeldes II noch möglichst lumpig anziehen und in die Reichenviertel in den Grunewald gehen sollen, um die Reichen an ihre soziale Verantwortung zu erinnern, hat eine volksgemeinschaftliche Stoßrichtung. So werden spektakuläre Scheinkonflikte inszeniert, die am Ende nur die bestehende Ordnung festigen sollen.

Uli Krug: Wir haben in Deutschland auf jeden Fall keine Geschichte militanter Interessenvertretung. Wenn man an die Rede von der »Mitnahme-Mentalität« denkt, die Schröder vor kurzem hielt, fällt doch auf, wie der Vorwurf, der auf den Montagsdemos laut wurde, spiegelbildlich zurückgegeben wurde. Beide fühlen sich belogen und betrogen, das Personal des Staates von den Leistungsempfängern, die Leistungsempfänger von dem Personal des Staates.

Eine emanzipatorische Kraft kann ich da nicht erkennen, während der autoritäre Staat in einem Maße, wie es seit dem Reichsarbeitsdienst nicht mehr geschah, in das Private der auf seine Alimentierung Angewiesenen eingreift. Andererseits wollen diejenigen, die protestieren, zur Aufrechterhaltung des Systems beitragen, haben also nichts gegen den Staat einzuwenden und fordern von ihm die Wiedereinführung eines hypertrophen öffentlichen Dienstes.

Ich kann nicht erkennen, wie die Interessen von Langzeitarbeitslosen sich darin ausdrücken. Eigentlich müsste sich ihr Protest gegen die Wiederauflage des Reichsarbeitsdienstes richten und rückhaltslos die kritisieren, die am Modell des gespaltenen Arbeitsmarktes ein Interesse haben: an der Sozialpartnerschaft in den großen Betrieben und dem bewussten, kalkulierten Ausschluss der anderen. Wenn das passieren würde, würde sich zwischen den Gewerkschaften und den so genannten Sockelarbeitslosen ein sehr fundamentaler Interessensunterschied ergeben.

Grottian: Die Alternativen für eine konkrete Utopie sind: Die eine Forderung ist ein bedingungsloses Grundeinkommen, das etwas anderes ist als die Sozialhilfe; die zweite Forderung ist ein Programm, das der Selbstsuche und der Selbstbestimmung von einer Million Arbeitsplätzen dient und eine Möglichkeit eröffnet, ganz andere Tätigkeitsfelder zu beschreiten, und das sich gegen die Vorstellung richtet, dass Wachstum Arbeitsplätze schafft. Das sind Alternativen, die das Gesicht des Kapitalismus ändern könnten.

Wirner: Stellt Hartz IV nicht auch ein Modell eines Grundeinkommens dar?

Grottian: Hartz IV ist die Ekstase von ökonomischer, politischer und bürokratischer Herrschaft als persönliche Zurichtung. Deshalb fordere ich ein bedingungsloses Grundeinkommen statt Sozialhilfe. Der Repressionscharakter der Sozialhilfe muss gesehen werden. Wir wollen keine ABM-Verwahranstalten, wir zwingen euch nicht zu Billigjobs, sondern wir haben eine produktive Perspektive von Arbeit und Grundeinkommen als zwei Elemente einer Perspektive.

Meves: Die überhitzten Reaktionen auf die Proteste haben gezeigt, dass man ein Problem hat, weil im Unterschied zu den Demonstrationen am 1. November vorigen Jahres oder am 3. April dieses Jahres eben nicht die üblichen Verdächtigen an der Spitze der Demonstrationen standen, sondern Akteure auftraten, die das selbst organisiert haben und auch kurzfristig nicht einzubinden waren.

Wir wollen deutlich machen, dass die sozialstaatlichen Modelle Westeuropas sukzessive zerstört werden und dass es da etwas zu verteidigen gibt.Bestimmte Bereiche der Gesellschaft wie Bildung, Kultur und Kunst und auch bestimmte wirtschaftliche Formen wie etwa Genossenschaften waren nicht der Kapitallogik unterworfen und von daher Gegengewichte, Freiräume und Bedingungen für Sozialstaatlichkeit zugleich. Sie sollen jetzt vor allem durch Privatisierungen der Kapitallogik unterworfen werden. Der Protest dagegen richtet sich gegen die Verhältnisse und ist, wie überhaupt jeder Protest gegen die neoliberale Politik, antisystemisch und per se antikapitalistisch.

Wirner: Was ist antisystemisch an der Gründung einer neuen Partei?

Meves: Wir von der Wahlalternative wollen, dass Gewerkschaften, soziale Bewegungen, Verbände, Globalisierungskritiker, die in den vergangenen Jahren sukzessive aus der parlamentarischen Politik hinausgedrängt wurden, wieder hineingeholt werden. Derzeit haben wir im Bundestag vier Fraktionen, die im Wesentlichen einer Meinung sind und nur darüber streiten, ob das Arbeitslosengeld in Höhe von 311, 345 oder 370 Euro bezahlt werden soll. Es gibt keinen politischen Raum mehr, die Konflikte in der Gesellschaft, wie etwa zwischen Unternehmerverbänden, Gewerkschaften und Arbeitslosenverbänden, auszutragen. Deshalb muss er neu organisiert werden.

Müller: Du willst die Keime eines Protestes, der ohnehin in weiten Teilen zu kritisieren wäre, wieder auf die herrschenden Institutionen verpflichten. Es geht um das genaue Gegenteil, es geht um die Eskalation der Konflikte.

Grottian: Mach doch einmal ein Angebot an subversiven Kampf- und Konfliktformen, die grundsätzlich anders sind und das System in Frage stellen.

Müller: Die unüberbrückbaren Unterschiede liegen bereits darin, wie man überhaupt agieren will. Du betätigst dich als Robin Hood im Staatsdienst und hinterfragst deine eigene Funktion als Wissenschaftler überhaupt nicht. Alle deine Vorschläge berufen sich auf die Autorität der Wissenschaftler und Experten, die die Betroffenen animieren sollen, indem sie ihnen die Machbarkeit vermeintlicher Alternativen wissenschaftlich beweisen. Das ist eine vollkommen paternalistische Haltung.

Wir können und wollen nicht als kritischer Zirkel die Aktion der Proletarisierten insgesamt substituieren. Man kann nur historisch untersuchen, etwa am Kampfzyklus von 1968 bis in die späten siebziger Jahre in einigen europäischen Ländern und den USA, wie sich so etwas wie Klassenautonomie, eine militante antagonistische Bewegung entwickeln kann. Das würde zunächst mal heißen, mit Vereinen wie der Wahlalternative, Gewerkschaften oder PDS zu brechen und autonome Formen der Selbstorganisation zu entwickeln.

Zu behaupten, man könne einerseits die kapitalistische Warenproduktion intakt lassen, andererseits solle jeder für seine selbstbestimmte Tätigkeit und ein menschenwürdiges Leben Geld vom Staat bereitgestellt bekommen, ist eine infantile Sandkastenvorstellung. Die Aufgabe wäre im Gegenteil zu zeigen, dass das nicht zusammengeht und die Verhältnisse abgeschafft werden müssen, was nichts zu tun hat mit einem abstrakten Revolutionsfetisch. Es heißt zur Zeit natürlich zu überlegen, wie man Hartz IV praktisch angreifen kann. Ein Ziel wären die Wohlfahrtsverbände, die die Ein-Euro-Jobs anbieten.

Mein Eindruck ist, dass man in dieser Runde wirklich ein Dreamteam hat. Auf der einen Seite diejenigen, die vom Neoliberalismus reden und die europäischen Sozialsysteme abfeiern, auf der anderen Seite eine antideutsche Fraktion, die nur die Vorzeichen dieser Analyse umdreht: hier der prima Liberalismus der USA, dort der volksgemeinschaftliche Sozialstaat.

Aber hier wie da geht es darum, das Anspruchsniveau der Arbeiterklasse insgesamt abzusenken. Uli Krug wärmt dagegen die Tellerwäscherideologie auf. Ihr von der Bahamas verkennt das Ausmaß autoritärer sozialstaatlicher Kontrolle in den USA, wo es mit den community jobs sehr wohl staatliche Zwangsdienste für Unterstützungsempfänger gibt. Und ihr verkennt, dass hierzulande die Leute aus staatlicher Unterstützung in den freien Arbeitsmarkt rausgeekelt werden sollen, als Ich-AGs, durch mehr Sanktionen oder indem einfach der Kreis der Leistungsempfänger reduziert wird. In Eurem Fall hat die Regierung ausnahmsweise Recht, wenn sie sagt, die Leute sind nur deshalb gegen Hartz IV, weil sie es nicht verstanden haben.

Krug: Peter Grottian hat ein vordergründig antistaatliches Programm entworfen: Grundeinkommen statt Sozialhilfe. Der Teufel schleicht sich aber rein, wenn du von gesellschaftlich sinnvollen Arbeitsplätzen sprichst. Wer bestimmt den Nutzen in einer Gesellschaft außer dem Organisator der Gesellschaft, d.h. in Deutschland der Sozialstaat? Im Prinzip wird die Staatsunmittelbarkeit dieses Arbeitsbeschaffungsprogramms in keiner Weise durchbrochen.

Es geht nicht darum, amerikanische Verhältnisse als Ersatz für den Kommunismus oder die klassenlose Gesellschaft zu propagieren. Es geht um die Vorurteile, die etwa auf den Anti-Hartz-Demos, aber auch auf den Pro-Saddam-Demonstrationen zum Ausdruck kamen und kommen. Es gibt grundlegende Unterschiede zwischen dem angelsächsischen Konzept, wie es Heiner Geißler nennt, und der europäischen Soziallogik, wie Helge Meves sie nennt. Es soll in keiner Weise beschönigt werden, dass es in den USA kommunale, spätliberale work house-Maßnahmen gibt. Dennoch sind die Konzeptionen sehr unterschiedlich. In den USA fehlt bis heute ein zentraler, staatlich kontrollierter Arbeitsdienst. Der Unterschied besteht darin, dass in den USA der Staat, wiewohl er natürlich autoritäre Züge hat, als Kompensator auftritt und nicht als Organisator, d.h. dass ich dort einen schlecht bezahlten Job finden kann, und für den Fall, dass das Geld zu wenig ist, ich eine Kompensation erhalten kann. Der Unterschied zu Hartz IV ist, dass ich hierzulande als Einzelner in diese Neuauflage des Reichsarbeitsdienstes gezwungen werde, um danach in Clements Ein-Euro-Jobs auf das Gemeinwohl verpflichtet zu werden.

Die Kennzeichnung von Hartz IV als Teil einer neoliberalen Agenda geht völlig fehl. Hartz IV ist klassisch antiliberal. Wenn Helge Meves darauf hinweist, dass das Ökonomische das Politische verdrängt, sage ich, dass in Deutschland das Politische das Ökonomische verdrängt, also dass der Staat in seiner Funktion als Organisator und als moralische Appellationsinstanz der einkommensschwachen Schichten eher den sozialen Raum okkupiert als umgekehrt. Insofern wäre Hartz IV eben nicht als neoliberales oder angelsächsisches Projekt zu kritisieren, sondern als ein urdeutsches.

Müller: Der Begriff des Neoliberalismus ist insgesamt fragwürdig. Der derzeitige Rüstungskeynesianismus der USA ist zum Beispiel ganz sicher nicht neoliberal.

Die Gruppe von Uli Krug schreibt in ihrer Analyse, es gebe hier keine industrielle Reservearmee, weil alle am Tropf des Sozialstaats hingen, und klagt im Jargon der Unternehmerverbände über Tarifkartelle, unter denen die Langzeitarbeitslosen angeblich leiden. Aber Hartz IV zielt gerade darauf ab, einen Niedriglohnsektor zu etablieren und den nichtentlohnten Teil der Arbeiterklasse wieder stärker als industrielle Reservearmee ins Spiel zu bringen, indem die Sozialleistungen reduziert werden. Die jüngsten Abschlüsse bei Daimler stehen genau in diesem Zusammenhang. Und vor ein paar Jahren hat Hartz bei VW mit dem Modell 5 000 x 5 000 genau gegen den gespaltenen Arbeitsmarkt gehandelt, von dem Uli Krug spricht: Tarifstandards aufgebrochen und 5 000 Arbeitslose eingestellt. Eure Kritik geht vollkommen an den tatsächlichen Entwicklungen vorbei.

Krug: Du verstehst nicht den Unterschied zwischen einem kommunalen worker regime und einem zentralstaatlichen Arbeitsdienst.

Müller: Die werden hier ja auch kommunal organisiert.

Krug: Aber eben staatlich kontrolliert. Der Privatunternemer wird hier Subunternehmer des Staates. Es wird ein Drohpontenzial aufgebaut, aber keine industrieelle Reservearmee. Solange die Sozialpartnerschaft so wie jetzt funktioniert, ist das überhaupt nicht vonnöten. Hier wird der staatliche Knüppel gezeigt, der aber nur zum Einsatz käme, wenn die Sozialpartnerschaft in den Betrieben tatsächlich beendet wäre. Und darauf besteht im Moment keine Hoffnung.

Grottian: Der Vorwurf, meine programmatischen Vorstellungen wären ein Staatsprogramm, ist falsch. Der Charme des Vorschlags besteht ja gerade darin, dass die Tätigkeiten, ob es sich um neue berufliche Felder oder Dienstleistungen handelt, von staatlicher Seite finanziert werden, aber die Arbeitsplätze nach einem selbstbestimmten Verfahren besetzt werden. Gegen eine sozialpolitische Schweinerei ist Widerstand zu organisieren: egal ob Schwarzfahren für ein Sozialticket oder die Lahmlegung von Arbeitsagenturen.

Müller: Wir haben gegen solche Proteste auch nichts einzuwenden, im Gegenteil wäre es schön, wenn auch die Wohlfahrtsverbände endlich in die Zange genommen würden. Aber wir sind keine Animateure, die sich um die Betroffenen kümmern wie das Sozialforum, wo im zivilgesellschaftlichen Vorhof der Macht die Betroffenen wieder in die politische Kommunikation hereingeholt werden sollen, indem man ihnen völlig illusorische Alternativen von staatlich finanzierter Selbstbestimmung unterjubelt. Es ist grotesk zu meinen, man könne innerhalb der kapitalistischen Warenproduktion den Arbeitszwang durch ein Grundeinkommen aushebeln.

Grottian: Aber wie können die Menschen dazu gebracht werden, über andere Strategien nachzudenken? Was wären die Ansatzpunkte dafür?

Müller: Die Ansatzpunkte lauten: Sand ins Getriebe, und auch Sand ins Getriebe des falschen Bewusstseins. Also nicht zuletzt kommunistische Kritik an Vorstellungen, wie sie von der Wahlalternative oder den Sozialforen vertreten werden.

Grottian: Aber es nützt nichts, mit seiner radikalen Kritik in einem abgeschlossenen Zirkel von Leuten zu bleiben. Sand im Getriebe? Das ist phantasielos unkonkret.

Krug: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine staatliche Finanzierung von Programmen geben geben kann, die gleichzeitig auf staatliche Steuerung verzichten. Mir scheint, dass die Aktionen derzeit im Tanz der Verhältnisse nur das Bein mitschwingen.

Meves: Neoliberale Politik nimmt eine demokratiezerstörende Wirkung nicht nur in Kauf, sondern sie zielt darauf. Deshalb finde ich jedes politische Engagement erstmal emanzipatorisch. Und es wäre ein Fehler, wenn wir die Parlamente aus dem politischen Raum einfach ausschlössen und meinten, unsere Arbeit wäre erfolgreicher, nur weil wir die Parlamente nicht nutzen.

Krug: Ich finde nicht jedes politische Engagement per se emanzipatorisch. Der Hass auf die Politiker, der sich bei den Montagsdemonstrationen Bahn gebrochen hat, scheint mir nur ein anderer Ausdruck des grotesk-infantilen Glaubens an die Steuerungsfähigkeit von Politik zu sein. Das ist ein zutiefst autoritäres Bewusstsein, das tatsächlich auf den hofft, der nicht nur Politiker ist, sondern Führer. Der mit einem Schlag die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus aus dem Alltagsleben der Leute entsorgt.

Grottian: Wenn wir es nicht schaffen, Alternativen zu formulieren und Formen des zivilen Ungehorsams mit einer klaren Perspektive zu entwicklen, dann wird es nach der Demo vom 2. Oktober ganz still.

Meves: Man wird sehen, was die Leute aus den Montagsdemos mitgenommen haben. Ob sie nun denken, das hat überhaupt keinen Sinn, oder ob sie denken, dass es eine Möglichkeit gibt, sich zu organissieren. Ob und wie die Erfahrungen genutzt werden, wird auch davon abhängen, was es für Angebote zum Weitermachen, zum Verändern der Gesellschaft gibt. Als Teil der gesamten Opposition gegen neoliberale Politik machren wir dafür ein Angebot.

Müller: Es wäre viel gewonnen, wenn wir dazu beitragen könnten, dass so etwas wie ein gesellschaftliches Lager der Negation entsteht, das den staatlichen Pol, den hier Grottian und Meves vertreten, und den marktliberalen Pol, für den Krug spricht, als zwei verschränkte Teile einer verkehrten Gesellschaft zurückweist.