Man singt deutsch

Eine neue Kampagne belebt die alte Quotendebatte. Wer sonst noch für den Deutsch-Pop votiert und warum, sagt wolfgang seidel

Eines der wenigen konkreten Ziele, das die frisch gewählten sächsischen NPD-Abgeordneten auf ihrer ersten Pressekonferenz formulierten, lautete, für eine »Deutsch-Quote« im Mitteldeutschen Rundfunk zu sorgen. Dabei erfüllt das Fernsehprogramm des MDR die Deutschländer-Quote ohnehin schon zu fast 100 Prozent. Für das Radioprogramm sehen die Zahlen anders aus. Dieses Programm wird von den Quoten-Freunden gerne als Weghör-Funk gescholten. Dabei geben die Sender viel Geld aus, um die Wünsche ihrer Hörer zu ermitteln. Offenbar gibt es ein Bedürfnis nach einer Musik, bei der man nicht ständig auf die mehr oder (meist) minder luziden Äußerungen der Sänger und Sängerinnen achten möchte.

Der Blick in die Charts offenbart zudem, dass es bereits einen ansehnlichen Anteil deutscher Produktionen gibt. Von »Wir sind Helden« bis zu den »Randfichten« – man kann mit deutschsprachiger Musik durchaus Erfolg haben. Dass der Musikmarkt nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer erzeugt, gehört zu den Mechanismen, die als Erfolgsgeheimnis des Kapitalismus gepriesen werden. Die Unterstützer der Forderung nach einem festen Anteil deutscher – was meist heißt: deutschsprachiger – Musik sind keine Antikapitalisten. Sie wollen nur ein bisschen mogeln, indem sie die Regeln zu ihren Gunsten verändern. Dass sie dabei die Hörer, deren Bestes sie angeblich wollen – nämlich deren Geld – zu Marionetten eines von finsteren Mächten gesteuerten Radioprogramms erklären, stört sie dabei nicht.

Es ist gut möglich, dass sich die NPD mit ihrer »Ausländer raus«-Politik zumindest in den Ätherwellen durchsetzt, denn sie steht mit dieser Forderung nicht allein. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse wirbt schon länger für eine Quotierung deutscher Musik im Rundfunk. Antje Vollmer und Claudia Roth stoßen ins selbe Horn. Offenbar versuchen die grau gewordenen Grünen sich mit diesem Thema ein Image von Jugendlichkeit zu schaffen. Die ansonsten jeder Jugendlichkeit völlig unverdächtige Antje Vollmer zeigt dann gleich, wie weit es dabei mit dem Sachverstand her ist. Beim Versuch zu definieren, was das denn sein soll, die »deutsche Musik«, fällt ihr nur das deutschsprachige Lied ein. Wie alle an dieser Kampagne Beteiligten betont sie, dass ihr Engagement nichts zu tun hätte mit Nationalismus und Deutschtümelei. Antje Vollmer überrascht dann mit der Erkenntnis, dass man sich nur in seiner Muttersprache präzise ausdrücken könne. Also keine guten Aussichten für die Integration von Einwanderern und deren Kindern. Vor dem präzisen Ausdruck sollte eigentlich erstmal das präzise Verstehen des Gegenstandes stattfinden. Damit ist es bei den meisten Quoten-Befürwortern nicht weit her. Zumeist werden nur die eigenen, nostalgisch verklärten Jugenderinnerungen aufgewärmt, die oft ziemlich lange zurückliegen.

Deshalb müssten sie sich eigentlich an Zeiten erinnern, als die Rundfunkquote im Westen de facto existierte und im Osten per Gesetz festgeschrieben war. Bis weit in die sechziger Jahre hinein spielten westdeutsche Rundfunkanstalten fast ausschließlich einheimische Produktionen. Mit Erfolg – der sah aber anders aus, als ihn sich die heutigen Verfechter solcher Reglementierungen vorstellen. Ein großer Teil der vor allem jugendlichen Hörer wandte sich komplett ab und hörte lieber Rolling Stones oder Aretha Franklin. Und was ist mit einem Engländer, der in Deutschland mit einem Deutschen und einem Japaner eine Platte aufnimmt? Oder wenn eine deutsche Elektronik-Combo auf einem japanischem Label erscheint? Darf die Platte dann nicht gespielt werden? Was ist mit einer Band, deren Mitglieder sich nie begegnet sind, die sich ihre Tracks per Internet schicken?

In der DDR waren es ökonomische und kulturnationalistische Argumente, die zur Quotenregelung führten. So forderte das staatliche Rundfunkkomitee, »sich auf Elemente der nationalen Intonation als Hauptbasis der musikalischen Substanz zu stützen«. Das ist genauso unsinnig wie etwa die Behauptung einer »amerikanischen Musik« – die im Vokabular der Quoten-Fans ohnehin nur in Tateinheit mit »Einheitsbrei« daherkommt. Der Terminus behauptet, es gäbe irgendetwas dem musikalischen Material eingeschriebenes »typisch Deutsches«. Alles was es gibt, sind deutsche Musiker mit handfesten wirtschaftlichen Interessen. Wenn man von Verkäufen und Marktchancen spricht, redet man von Musik als Ware. Man gibt sich aber als Künstler. Da es für Künstler als unfein gilt, das ökonomische Interesse offen zuzugeben, wird der ganze Unfug von der bedrohten Kultur aus der Mottenkiste gezerrt. Die ist dann bedroht und nicht das Einkommen des Künstlers. Weil Kultur immer noch national gedacht wird, steht dann gleich die Nation am Abgrund. Der Feind ist schnell ausgemacht. Wolfgang Thierse sieht die deutsche Musik bedroht durch den »US-Kulturimperialismus«.

Der ist angeblich schuld daran, dass wehrlose Deutsche »amerikanischen Einheitsbrei« statt »deutscher Vielfalt« hören. Für ihn ist der Hörer dieses Einheitsbreis Opfer von Manipulation. Der kauft die Platten, die er ständig im Radio hört. Wenn das so einfach wäre, hätte die Musikindustrie keine Sorgen. Und wenn Thierse per Gesetz durchsetzen will, dass stattdessen deutsche Musik gespielt wird, stellt er den Mechanismus der Manipulation, so wie er ihn sich vorstellt, nicht in Frage. Es geht schlicht um die Machtfrage, wer an den Knöpfen dreht. Die Imagination Deutschlands als ewiges Opfer hat dabei in der Debatte schon für so manchen schrillen Ton gesorgt – vom »Genozid an der deutschen Musik« bis zum »Ende des Besatzungsstatus«.

Einer der rührigsten Lobbyisten für die Förderung deutscher Musik ist Reinhard Mey. Auch er bemüht sich wortreich, jeden Verdacht der Deutschtümelei auszuräumen. Gleichzeitig ist er Aktivist des Vereins deutsche Sprache, der populistisch gegen das »Denglisch«, die »Überfremdung« der deutschen Sprache kämpft. Vom VDS dürfte Antje Vollmer ihre Weisheit vom nur in der Muttersprache möglichen präzisen Ausdruck bezogen haben. Es ist dies eine der Lieblingsthesen des Vereinsvorsitzenden Walter Krämer. Er versucht seit einiger Zeit, seinen Verein vom Image pensionsreifer Deutschlehrer zu befreien und Anschluss an die Pop-Kultur, an die Generation Mia zu finden.

Da, wo es tatsächlich Möglichkeiten gäbe, die von den Verfechtern der Deutsch-Quote beschworene Vielfalt zu fördern, hört man erstaunlich wenig. Freie Radios, die auch noch der ausgefallensten Musik Raum bieten, sind kein Thema. Das Urheberrecht mit seiner nur in Deutschland existierenden Unterteilung von E-Musik und U-Musik ist ebenfalls kein Thema. E-Musik erfreut sich nicht nur reichlicher staatlicher Förderung, sie wird auch bei den Ausschüttungen der Tantiemen von der Gema bevorzugt. Statt alte Pfründe abzuschaffen, schafft man lieber neue.