Keine Hysterie!

Kerry ist nicht mehr als eine klügere Version von Bush. Die Linke verblödet, wenn sie sich zu seinem Wahlhelfer degradiert. von tim blömeke

Würde der nächste Präsident der Vereinigten Staaten außerhalb derselben gewählt, könnte der Amtsinhaber einpacken. Auch die Wahlbeteiligung wäre vermutlich nicht schlecht. Wie wohl keinem anderen Politiker seit dem Ende des Kalten Kriegs ist es George W. Bush gelungen, weltweit Bekanntheit zu erlangen, wenn auch für den Preis, überall verhasst zu sein.

Wenn es zu begründen gilt, warum Bush abgewählt werden müsse, zitieren seine Gegner üblicherweise ein Sündenregister, das seinesgleichen sucht: Guantánamo, Kriegslüge, Abu Ghraib, Kyoto-Protokoll – bei diesen Stichworten weiß in Europa jeder halbwegs interessierte Zeitungsleser Bescheid. Aber die Wahl am 7. November ist kein Gerichtsverfahren, sondern wird in den USA auch als eine Entscheidung über die Zukunft verstanden. Unter diesem Aspekt hat Kerry nicht viel zu bieten.

»Werden die Menschen etwa jemandem folgen, der sagt, dies sei der falsche Krieg am falschen Ort zur falschen Zeit?«, fragte Bush bei der ersten Fernsehdebatte und traf damit den Schwachpunkt in Kerrys Angriffsstrategie. Kerry redet viel davon, was er alles anders gemacht hätte – und selbst das wirkt angesichts seiner Zustimmung zum Irak-Krieg und zu den Terrorgesetzen nicht überzeugend. Für die Zukunft hat er keine von Bushs Agenda wesentlich abweichenden Pläne. Kerry präsentiert sich als Anti-Terror-Krieger mit Vietnam-Erfahrung und Ambitionen zur Multilateralität, als kompetentere, klügere, kultiviertere Version von Bush, frei nach dem Motto: Alles soll besser werden, aber nichts anders.

Die fast religiös anmutende Heilserwartung, die viele Kritiker Bushs mit dessen Abwahl zu verbinden scheinen, entbehrt jeder Grundlage. Oder glaubt jemand ernsthaft, Bushs Niederlage würde die Demokratieentwicklung im Irak fördern oder ein Präsident Kerry werde die durch Terrorgesetze beschädigten Grundrechte von US-Bürgern und Migranten restaurieren? Hat John Kerry versprochen, das Gefangenenlager in Guantánamo aufzulösen? Falls Kerry wesentliche politische Veränderungen beabsichtigen sollte, hätte er Vizepräsident Richard Cheney in Sachen Geheimniskrämerei übertroffen. Allerdings hat Kerry angeregt, die 2002 beschlossenen großzügigen Steuersenkungen für Reiche rückgängig zu machen. Das Geld will er in den Zivilschutz stecken.

Das Argument, eine Abwahl Bushs käme einem Sieg über die rechte kulturelle Hegemonie gleich, trifft ebenfalls nur eingeschränkt zu. Ein Sieg der Demokraten wäre vielleicht ein Zeichen dafür, dass es mit dieser Hegemonie doch nicht so weit her ist wie befürchtet, mehr aber auch nicht. Anders als die Bush-Hysterie glauben machen möchte, ist Bush nicht das Haupt einer Bewegung, die ohne ihn bedeutungslos wäre, sondern bestenfalls deren in Amt und Würden stehende Galionsfigur.

Auf der anderen Seite hat die Fähigkeit der Linken zur Kritik im Wahlkampf viele Federn gelassen. Ein gutes Beispiel ist die Wochenzeitung The Nation. In besseren Zeiten ein Ort fundierter Kritik am Rechtstrend der Demokratischen Partei, hat sich das Blatt längst zum verlängerten Arm der Kerry-Kampagne degradiert und feiert jeden noch so vorsichtigen Hauch des Kandidaten gegen den Amtsinhaber wie einen Sieg der Revolution. Diese Haltung ist kennzeichnend für den Großteil der sehr heterogenen Anti-Bush-Bewegung. »Bush muss weg«, ist der einzige gemeinsame Punkt. Alles andere tritt in den Schatten, etwa der Opportunismus der Demokraten im Kongress und ihr Anteil am Zustandekommen der Krisen, die Senator John Kerry so gerne dem Präsidenten anlasten möchte.

Sicherlich wäre es nett, wenn Bush abgewählt würde. Sympathischer ist John Kerry allemal, und dass er sich nicht für den Sendboten des Allmächtigen hält, ist definitiv ein Pluspunkt. Sollte es den Demokraten zudem gelingen, die Senatsmehrheit zu erobern, wäre sogar ein gewisses Maß an Handlungsfähigkeit gewährleistet, wenn auch eingeschränkt durch das exorbitante Staatsdefizit. Für die Linke in USA und anderswo bestünde dann die Chance, ihre unappetitliche Fixierung auf das personifizierte Böse wieder abzuschütteln, auszunüchtern und zum kritischen Tagesgeschäft zurückzukehren. Wenn also Michael Moore sich am Tag nach der Wahl auf einen Lautsprecherwagen vorm Weißen Haus stellen und »mission accomplished« in die Kameras sagen sollte – bitte nicht glauben. Erfahrungsgemäß fangen nach solchen Sätzen die Schwierigkeiten erst an.