Alles, was geht

Transhumanistisch für Anfänger. Von Ferdinand Muggenthaler

Gefühlskontrolle

»Die Evolution hat in uns animalische Triebe und Gefühle belassen, die uns manchmal gedankenlos in Feindseligkeiten, Konflikte, Angst oder Herrschsucht treiben«, schreibt Max More. Bei allem rationalen Diskurs, den sie pflegen, fühlen sich Transhumanisten noch viel zu sehr ihren zufällig zustande gekommenen genetischen Dispositionen ausgeliefert. Die Kontrolle über eigene Gefühle, sei es mit Gentherapie oder Gefühlsdrogen, ist ihnen ein zentrales Anliegen. Wäre es nicht gut, wahlweise die Eifersucht auszuschalten oder ewig in jemanden verliebt zu sein? More warnt allerdings vor zu schnellem Charakterwechsel, irgendwann könnte es sonst vorbei sein mit der Kontinuität der Persönlichkeit. Und was macht Selbstbestimmung für einen Sinn, wenn man nicht mehr von einem Selbst sprechen kann?

Implantate

Die ersten transhumanen Wesen befinden sich längst unter uns. So genannte Cochlear Implantate geben den von einem Mikrofon aufgefangenen Schall, anders als ein gewöhnliches Hörgerät, direkt als elektrische Signale an den Hörnerv weiter und vermitteln sogar Menschen, die nie gehört haben, akustische Eindrücke. Das Einsetzen der Implantate ist bereits eine Routineoperation. Im Entwicklungsstadium sind Netzhautimplantate, die Blinde sehen lassen, wenn auch bisher in sehr schlechter Qualität. In der transhumanistischen Gemeinde wird jeder Fortschritt bei solchen Mensch-Maschine-Schnittstellen gefeiert.

Kryonik

Sage einem Transhumanisten nie, er wolle sich »einfrieren« lassen. Die in der Bewegung allgemein anerkannte Bestattungsmethode heißt Kryonik. Dabei wird das Blut möglichst bald nach dem, was Normalmenschen als Tod bezeichnen, durch eine Art Frostschutzmittel ersetzt, das Gewebeschäden durch Eiskristalle verhindern soll, und der Körper wird in flüssigem Stickstoff eingelagert. 120 000 Dollar kostet die kryonische Aufbewahrung des ganzen Körpers bei Alcor in Scottsdale, Arizona. Wer auf die Rekonstruktion des Körpers mit künftiger Gentechnik oder an das Uploaden des Bewusstseins in künftigen Supercomputern glaubt, kommt billiger weg: Das Haltbarmachen allein des Kopfs kostet nur 50 000 Dollar. Die Anhänger dieses Verfahrens können darauf verweisen, dass in einem sehr frühen Stadium eingefrorene Embryos bereits ohne Schäden wieder aufgetaut werden. Allerdings ist es auch mit zukünftiger Technik sehr unwahrscheinlich, dass die komplexen Hirnstrukturen wieder funktionstüchtig gemacht werden können, und selbst wenn, ist es fraglich, welche Verbindung das dann neu erwachte Bewusstsein zu der eingefrorenen Person hat.

Post-Menschenrechte

Auf dem Weg in unsere posthumane Zukunft wird die UN einen neuen Grundrechtskatalog verabschieden müssen, der dann nicht nur für Menschen, sondern für alle »Personen« gilt, seien es nun intelligente Tiere, natürliche oder erweiterte Menschen oder intelligente Maschinen. Darunter die morphologische, die kognitive und die reproduktive Freiheit.

Reproduktive Freiheit

Jede Verbindung zur Eugenik weist die World Transhumanist Association (WTA) weit von sich. »Transhumanisten lehnen entschieden die rassischen und klassenmäßigen Annahmen (der Eugenik) ab«, heißt es auf ihrer Website. Gegen eine Art private Eugenik haben sie allerdings nichts einzuwenden. Im Gegenteil, reproduktive Freiheit ist eine zentrale Forderung. »Genmedizin oder Embryo-Screening einzusetzen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, ein gesundes, glückliches und vielfältig talentiertes Kind zu bekommen, ist eine verantwortliche und gerechtfertigte Ausübung der elterlichen reproduktiven Freiheit«, heißt es auf der Website der WTA. Irgendwie müsse man allerdings ein genetisches Wettrüsten verhindern, bei dem alle allein auf den Konkurrenzvorteil gegenüber anderen schielen und nicht auf den absoluten Vorteil für die einzelne Person oder die Gesellschaft. Wie, da ist man sich nicht einig (siehe Transhumane Politik).

Singularität

Fast zwei Drittel der Mitglieder der World Transhumanist Association erwarten die Singularität noch in diesem Jahrhundert. Die Singularität ist eine Art technologischer jüngster Tag. Mit ihr bricht eine neue Ära an, deren Eigenschaften auszumalen für menschliche Gehirne ein sinnloses Unterfangen ist. Der Mathematiker Vernon Vinge prägte den Begriff 1993 auf einem von der Nasa veranstalteten Symposium. Ausgehend von der Beobachtung, dass sich seit 40 Jahren etwa alle 18 Monate die Leistungsfähigkeit der Prozessoren verdoppelt, glaubt er, dass Computer bald Fähigkeiten entwickeln, deren Verständnis für heutige Menschen unmöglich ist. Wahlweise könnte die rasende Computerentwicklung auch den Fortschritt in der Biotechnologie und Hirnforschung so beschleunigen, dass übermenschliche Intelligenzformen möglich werden. Und was diese dann anstellen werden, ist für menschliche Hirne nicht mehr zu begreifen, geschweige denn zu prognostizieren. Jedenfalls endet kurze Zeit später die menschliche Ära.

Sinn des Lebens

Für Max More ist der Transhumanismus eine Art Flucht nach vorne. Seine Prinzipien und Werte seien dazu angetan, der verwirrenden Vielfalt von technischen Möglichkeiten, die sich uns eröffnen, einen Sinn zu geben. »Ride the wave of the future shock!« ist sein Schlachtruf. Statt die technische Entwicklung passiv über sich ergehen zu lassen, solle man sie zum Mittel einer Befreiungsbewegung zur Befreiung von den Fesseln der Biologie, der Kultur und der Umwelt machen. Wird More konkreter, dann klingt vieles allerdings nach der Verwirklichung der Imperative des Arbeitsmarkts: Eine Kombination von positive thinking (»Wo andere Schwierigkeiten sehen, sehen wir Herausforderungen.«) und lebenslangem Lernen – und das ins Unendliche verlängert.

Der Transhumanismusgegner Bill MacKibben meint dagegen, wenn sich die Eltern erst einmal das Genset ihrer Kinder aussuchen könnten, dann gehe der Sinn im Leben verloren. In seinem Buch »Genug! – Der Mensch im Zeitalter seiner gentechnischen Reproduzierbarkeit« lautet sein zentrales Argument gegen Menschenzüchtung, dass die Kinder dann keinen eigenen Sinn im Leben mehr finden könnten. Was würde eine Höchstleistung im Sport z.B. noch bedeuten, wenn die Eltern einem das Talent dazu in die Gene gelegt hätten?

Transhumane Politik

Transhumanisten wählen John Kerry. Warum? Weil er für die staatliche Förderung der Stammzellenforschung eintritt. Abgesehen von dieser Einigkeit hat der Transhumanismus kein konsistentes politisches Programm. Man ist irgendwie freundlich gegenüber fühlenden Lebewesen eingestellt und möchte die gute alte Erde vor neuartigen Massenvernichtungswaffen und vor Meteoriteneinschlägen bewahren. Aber die Indifferenz und Naivität gegenüber gesellschaftlichen Macht- und Warenverhältnissen ist zum Teil atemraubend.

Wenn sich die Vordenker der Bewegung doch mit politisch-gesellschaftlich Fragen befassen, dann kommen sehr unterschiedliche Antworten dabei heraus. Die Extreme markieren Max More und James Hughes. Der Gründervater More zeigt ein unerschütterliches Vertrauen in die unsichtbare Hand des Marktes. In seinem Text »Warum Marx noch mehr daneben lag, als Sie dachten« behauptet er, dass die Wohltätigkeit der Superreichen und der freie Markt die Armut auf der Welt am besten bekämpfen werde. Er gibt ausgerechnet Francis Fukuyama Recht: »In einem Sinne sind wir tatsächlich am Ende der Geschichte angekommen. Die Märkte haben gewonnen. Jetzt lasst den Sieger in Ruhe seinen Job machen.« More weiß die Mehrheit der Transhumanisten hinter sich, schließlich weist er den bequemsten Weg zum eigenen Traum der technisch erreichten Unsterblichkeit an: Solange ich ungestört an meinem Körper herumexperimentieren kann, wird sich der Rest schon finden.

Dagegen bietet sich Hughes als Vertreter einer staatsinterventionistischen, mit sozialistischer Rhetorik angereicherten Variante als politisch geschickter an. Man müsse mit einer staatlichen Kontrolle den möglichen katastrophalen Anwendungen transhumanistischer Techniken vorbeugen, und zwar schon deshalb, um deren völliges Verbot zu vermeiden. Außerdem empfiehlt er Allianzen mit kulturellen, biologischen und vor allem morphologischen Minderheiten wie Transsexuellen und Behinderten. Auch Rechte für Menschenaffen und Delphine führt er im Programm. Sein Plädoyer für einen demokratischen Transhumanismus mündet in den Aufruf: »Lasst die herrschenden Klassen und die Maschinenstürmer zittern vor der demokratischen, transhumanistischen Revolution. Ihr potenziell Genveränderten und Cyborgs! Ihr habt nichts zu verlieren als euren menschlichen Körper, aber ein längeres Leben und größere Gehirne zu gewinnen! Transhumane aller Länder, vereinigt euch!«

Uploading

Uploading ist der Traum von digitaler Unsterblichkeit. Statt unseren gebrechlichen biologischen Körper (wetware) umständlich am Leben zu erhalten, sollen unser Gedächtnis und unser Bewusstsein (software) auf leistungsfähige Computer (hardware) übertragen werden. Eine solche digitale Existenz könnte dann wahlweise in einem Roboter oder ganz im Cyberspace weiter existieren – unendlich, denn bei einem Computerabsturz wird einfach vom Backup neu gebootet. Die Ideen, wie ein solcher Uploadprozess funktionieren soll, sind allerdings so vage und so weit von heutiger technologischer Realität entfernt, dass selbst einige Transhumanisten zweifeln, ob er jemals möglich sein wird.