Der Bomber von Edeka

Eine mysteriöse Serie von Briefbomben hält den Raum Passau in Atem. Nach mehreren Lokalpolitikern erhielt auch der polnische Generalkonsul in München eine solche Sendung. von jan süselbeck

Wir gehen jetzt seit sechs Monaten schwanger mit der Geschichte und sind kaum weitergekommen«, lacht der Passauer Oberstaatsanwalt und Pressesprecher Wolfgang Neuefeind ins Telefon. Die Jungle World möchte von ihm wissen, was es mit der »unheimlichen Briefbomben-Serie« (Die Welt) auf sich hat, die die niederbayerische Region nun schon ein halbes Jahr in Atem hält.

Ein unbekannter Täter verschickte mehrere Briefe mit explosivem Inhalt an Lokalpolitiker, sowohl aus den Reihen der CSU als auch der SPD. Zuletzt erhielt am 12. Oktober der polnische Generalkonsul in München, Waclaw Oleksy, eine solche Sendung. Wer könnte dahinter stecken? Ein Rechtsextremist? Ein Politikverdrossener? Ein Verwirrter?

Alles begann am 6. April dieses Jahres in Passau, als der örtliche Landrat Hanns Dorfner (CSU) die erste der mittlerweile sieben verschickten gefährlichen Sendungen erhielt. Beim Öffnen rieselte verdächtiges Pulver aus dem Kuvert, sodass man die Gefahr rechtzeitig erkannte. Was wie ein Provinzkrimi anfing, bekam mit der an Generalkonsul Oleksy persönlich adressierten Sendung eine internationale Bedeutung. Möglicherweise kam der Täter durch die Passauer Veranstaltung »Menschen in Europa«, an der am Wochenende zuvor neben Oleksy auch Bundespräsident Horst Köhler und der polnische Präsident Aleksander Kwasniewski teilgenommen hatten, auf die Idee, den Generalkonsul ins Visier zu nehmen.

Die Bombe im Generalkonsulat konnte rechtzeitig entdeckt und entschärft werden, weil der Brief verdächtig schwer erschien und einer Mitarbeiterin die Drähte darin auffielen. Dass bislang nur einer der Sprengsätze zündete und die Sekretärin des Regener Landrates Heinz Wölfl (CSU) am 30. August leicht an der Stirn verletzte, war jedoch reines Glück.

Aus Knallkörper- oder Streichholzkopfmaterial bestehen die Sprengsätze, die entweder mittels Reibung oder eines elektronischen Mechanismus’ beim Öffnen gezündet werden. Sie sind von vergleichsweise geringer Sprengkraft. Knapp 60 Gramm Schwarzpulver können keine so schweren Verletzungen beim Adressaten hervorrufen, wie sie der berüchtigte österreichische Attentäter Franz-Xaver Fuchs in den neunziger Jahren mit seinen perfiden Briefbomben verursachte.

Profiler vermuten einen Mann im Alter zwischen 40 und 60 Jahren als Täter. Über seine möglichen Motive wurde bereits viel gerätselt. Zunächst vermutete man, er fühle sich durch eine Behördenentscheidung ungerecht behandelt. Doch nach Attentaten, die auf so verschiedene Politiker wie den Passauer Oberbürgermeister Albert Zankl (CSU), die Deggendorfer SPD-Bundestagsabgeordnete Brunhilde Irber und schließlich Oleksy zielten, könnte man eher meinen, dass der Attentäter sich seine Opfer wahllos herauspickt. »Letzten Endes können wir nur genauso spekulieren wie die Presse«, räumt Neuefeind ein. »Es kommt schließlich auch in Frage, dass es sich nicht nur um einen einzelnen Täter handelt. Möglicherweise sind mehrere Personen beteiligt.«

Immerhin gab der Täter selbst einen vagen Hinweis, indem er eins seiner Kuverts mit Artikeln aus der Zeitschrift Mini bestückte. Darin ist von angeblichen Wahlkampflügen des Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) die Rede. Die Ermittler schlussfolgerten, der Bombenbauer müsse einen allgemeinen Hass auf Politiker hegen, während der Leitende Oberstaatsanwalt von Passau, Günther Albert, zu Beginn der Serie noch vermutet hatte, dass es sich schlicht »um einen Verrückten« handele.

Rätselhaft unprofessionell wirkt die Tatsache, dass die Briefkuverts mit einer kindlich anmutenden, runden Schönschrift adressiert sind, mal in Druckbuchstaben, mal in Schreibschrift. »Das wird natürlich eine bewusst verstellte Handschrift sein«, mutmaßt Neuefeind. Immerhin konnten Schriftgutachter des Bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) mittlerweile nachweisen, dass alle Adressen auf den Briefkuverts von ein und derselben Person geschrieben wurden. Über die telefonische Hotline gingen nun täglich viele Hinweise von Anrufern ein, die meinten, die Handschrift auf den Briefen erkannt zu haben, erzählt Neuefeind weiter. Jedem einzelnen dieser Hinweise werde selbstverständlich gewissenhaft nachgegangen. Alles Weitere müsse man abwarten.

Erschwerend kam für die Ermittler hinzu, dass man in der idyllischen Provinz, in der man den Wohnort des Täters vermutet, allzu fleißig in Edeka-Filialen einkauft. Kurze Zeit wähnten sich die von München aus agierenden Kriminalbeamten nach Angaben der Süddeutschen Zeitung wegen einer nachweislich vom Täter zum Briefbombenbau benutzten Eisverpackung von Edeka auf einer heißen Spur. Sie mussten aber bald feststellen, dass derartige Produkte in Niederbayern eine weitere Verbreitung erfahren als in der Landeshauptstadt und sich somit der heimische Supermarkt des mutmaßlichen Täters doch noch nicht so genau ermitteln ließ, wie man zunächst gehofft hatte.

Die Ermittlungen begrenzten sich zeitweilig auf das Städtchen Hutthurm im Landkreis Passau, weil die »Sonderkommission Briefbombe« dort den Täter vermutete. Bei einer Einbruchserie in der Gemeinde war die gleiche DNA-Spur sichergestellt worden wie bei einer der Briefbomben. Deswegen mussten nach verschiedenen Pressemeldungen »alle 2 000 männlichen Bewohner« des Dorfs eine Speichelprobe abgeben.

»Das wird immer wieder falsch wiedergegeben«, erklärt Neuefeind. »Es werden nicht allen Männern Proben abgenommen, sondern nur einem bestimmten Kreis verdächtiger Personen. Nach welchen Kriterien die Profiler diese Männer auswählten, bleibt geheim. Alle Speichelproben, die freiwillig abgegeben wurden, werden untersucht. Wenn sich jemand weigert, geht man eben weiter zum Nächsten.« Nach Neuefeinds Informationen haben die Hutthurmer Analysen jedoch »keinen einzigen Treffer« ergeben. »Deshalb werden die DNA-Tests jetzt auf die umliegenden Dörfer und Gemeinden im nördlichen Landkreis Passau sowie im Raum Freyung-Grafenau ausgedehnt«, erklärt der Oberstaatsanwalt.

Was genau im Untergrund des Musterlands vor sich geht, bleibt also weiter im Dunkeln. Mit Sicherheit weiß Neuefeind in seinem breiten fränkischen Dialekt letztlich nur anzugeben, dass sein eigener Name aus der Gegend von Aachen stamme. Dann lacht er noch einmal fröhlich in den Hörer – ein bisschen über seinen exotischen Stammbaum, ein bisschen aber wohl auch über den absurden Fall.

Mittlerweile hat das LKA eine Belohnung von 10 000 Euro ausgesetzt, um sachdienliche Hinweise zu erhalten, die zur Aufklärung der Verbrechen beitragen.