Zwischen die Augen

Dorota Maslowska steckt in ihrem Roman »Schneeweiß und Russenrot« den Postkommunismus in den Sarg. von michael saager

Mach zu, du babylonische Nutte, hol jetzt Babylon keinen runter, her mit der Cola, sonst hetzen wir die Kapitalisten auf deine verpinscherten Kinder, die beißen ihnen erst die Händchen ab, dann die Füßchen, dann die Pippischwänzchen, und am Ende beißen sie dich selbst ab, dann verlierst du die Bodenhaftung, dann wirst du auf Wolke sieben ackern und Wunder wirken, wirst die Gläubigen vom Dünnschiss heilen.« Diese Worte wirken auf die McDonald’s-Kassiererin überzeugend. Die Cola gibt’s gratis dazu, außerdem das Firmen-Walkie-Talkie. Der »Linke« und Andrzej – den alle den »Starken« nennen – sind zufrieden. Sie verabschieden sich: »Scheiße, du solltest mehr Sex machen. Und nimm die Schürze ab. Siehst ja übel aus, wie krank.«

Fick-dich-leck-mich-Scheißwelt. Kreischender Realismus aus rohem Fleisch. Die Sprache beißt einem ins Gesicht und hat offensichtlich Spaß dabei. Draußen auf der Straße tobt etwas, das sich polnisch-russischer Krieg nennt, aber eigentlich kein Krieg ist, weil keiner schießt, niemand schreit und keiner stirbt. Die Polen hassen die Russen in diesem Roman, der auf Deutsch den bemerkenswert blöden Titel »Schneeweiß und Russenrot« trägt. Händler aus ehemaligen Sowjetrepubliken bedrohen angeblich die ökonomische Existenz der Einheimischen. Die Grundhaltung der jüngeren Bewohner in der fiktiven, namenlosen Stadt, in die wir Einblick nehmen, ist eine andere, vollständige Alles-völlig-egal-Haltung. Egal, der ganze Medienschrott, die öde Warenwelt, die eigene Existenz. 240 Seiten lang wird sich in einen zersplitterten Sarg aus Spanpappe hinein deliriert. So sieht es aus, das grell-satirische Meta-Setting des Romans der polnischen Schriftstellerin Dorota Maslowska.

Das Milieu ihrer Erzählung ist die Welt der Plattenbauten. Und in diesem Milieu wankt einer umher, mit dem Mut eines Verlierers ist er auf der Suche nach einem besseren Leben; beseelt vom sehnsüchtig-aggressiven Wunsch, der Welt mächtig in den Arsch zu treten: Andrzej Robakowski, der Starke, der drogenabhängige, zynische Held und Ich-Erzähler des Buches, den man weder lieb haben kann noch soll. Der einem aber trotzdem Leid tut, denn er ist eine arme Sau.

Eine Freundin richtet ihm aus, dass mit Magda Schluss ist. Er fällt aus allen Wolken. Erfahren hat er es als letzter und nicht einmal von ihr selbst. Dabei sitzt sie gerade in derselben Bar wie er. Er guckt auf ihre Freundin, auf »Arleta in Leder« – »Bonbons, die sie verkaufen würde, wären hohl innen.« Dann schaut er auf »Magdas Haar, langes, helles Haar wie eine Wand, wie Zweige. Ich gucke auf ihr Haar auch wie auf eine Wand, denn es ist nicht für mich.« Und er muss erkennen: »Andere werden da drin ihre Hände haben.« Sein Freund Kacper kommt und fragt, was geht. »Kacper ist klar auf Speed, er tritt die Pedale.« Magda stinkt nach fremden Typen, die sie anfassen, und ist gierig auf das frisch ins Glas geschüttete Speed. Waidwund geschossen und angeekelt schaut Andrzej durch die lieblose Chromlandschaft der Bar. Auch er ist auf Speed. Kälte strömt aus diesem Buch, aus seinen weißen Seiten, von Anfang an.

Geschrieben hat es Maslowska in einem vierwöchigen Rutsch während ihres Abiturs. Damals war sie 18, jetzt ist sie 22 Jahre alt. Das Buch, das eigentlich »Der polnisch-russische Krieg unter der weiß-roten Fahne« heißen müsste, wurde derweil in zehn Sprachen übersetzt. Als es erschien, war die polnische Literaturkritik verzückt und beleidigt. Ein schlechter Witz lautete ungefähr so: Maslowska habe die polnische Sprache in den Dreck gezogen. Ein kaum besserer: Das Buch habe die polnische Sprache erneuert. Richtig ist: Die Worte und Sätze, deren die Autorin sich bedient, um die monologische Tour de force Andrzejs zu gestalten, sind eigenartig, aber schön. Man mag sich an Schriftsteller wie Anthony Burgess, George Saunders oder Dennis Cooper erinnert fühlen, und auch und gerade an J.D. Salinger, mit dessen »Fänger im Roggen« »Schneeweiß und Russenrot« verglichen wurde.

Mit den Büchern dieser Autoren hat Maslowskas Debüt eine Sprache gemein, die dem zerklüfteten inneren Klang von kaputten, hysterischen und paranoiden Extrem-Emotionen eine angemessene, eben expressiv-poetische Form zu geben sucht, und sich dabei doch hörbar am real existierenden Straßenslang Jugendlicher orientiert. Maslowskas Sätze zögern und holpern, vergreifen sich bisweilen an Grammatik und Syntax, irren verwirrt umher wie ihr Held, um dann, genau wie er, zu einem Sprung mitten in die Raserei anzusetzen. Manchmal aber produzieren sie auch erstaunliche Bilder: »Sieht aus, als wäre sie in Primfaktoren zerfallen, die Haare hier, die Handtasche woanders, der Rock nach links, die Ohrringe nach rechts.«

Nachdem ihn Magda verlassen hat, lässt sich Andrzej, immer auf der Suche nach »Orange« – in diesem Roman gibt es kein echtes Runterkommen –, mit verschiedenen Frauen ein, fährt ans Meer, verliert seinen Hund, steigert sich weiter in seinen Liebeskummer, wird verhaftet und verhört. Dabei bleibt vieles skizzenhaft, nebulös verwaschen, fragmentarisch und mehrdeutig, was nicht schlecht ist, formal und psychologisch sogar ziemlich gut zu einer Geschichte passt, die von der Banalität und Sinnenleere des Lebens erzählt, und dabei den manisch-depressiven Wegbegleiter Speed ständig im Schlepptau hat. Auch die Frauenfiguren, die allesamt nicht sehr freundlich gezeichnet wurden, passen in diesen Psycho-Rahmen. Es sind dämonische oder schnatternde »Sado-Maso-Gothic-Nutten«, die anderen ins Auge spucken, die Couch vollbluten und Steine kotzen, oder, wie die Betriebswirtschaftsstudentin Ala, so jungfräulich bieder sind, dass »kein Normaler in der Lage ist, sie nüchtern zu stoßen«.

Am Ende liegt der Starke im Krankenhaus – nach einem Selbstmordversuch. Oder war’s ein Unfall? Zwar ist er geschwächt, aber immer noch kräftig und rebellisch genug, um seiner Autorin, die es leider nicht lassen konnte, postmodern in ihren eigenen Roman zu schlüpfen, einige verbale Kinnhaken mit auf den Weg zu geben: »Jetzt bist du platt, Maslowska. Das ist schon der Kurs für Fortgeschrittene, und statt zu antworten, glotzt du das Radargerät an, haben sie dir vielleicht die Zunge rausgerissen, endlich? Tu sie in eine Streichholzschachtel und vergrab sie hier gleich neben meinem Bett im Fußboden, sehr schmerzlich das, für mich am allermeisten.«

Dorota Maslowska: Schneeweiß und Russenrot. Kiwi, Köln 2004, 240 Seiten, 7,90 Euro