Investitionen für die Zukunft

Die EU verschafft dem Libanon Einnahmen für die völlig leere Staatskasse und verpasst ihm einen neoliberalen Drill. von alfred hackensberger, beirut

Seit dem 1. März 2003 können fast alle libanesischen Produkte zollfrei nach Europa exportiert werden. Beschränkungen gibt es nur bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die der europäischen Quotenregelung unterliegen oder nicht den Qualitätsstandards genügen. Die Exporte in die EU stiegen von 2002 bis 2003 von 130 auf 589 Millionen Euro. Im Vergleich zu den EU-Importen besteht trotzdem ein großer Unterschied. Aus Europa wurden im selben Zeitraum Güter im Wert von 3 390 Millionen Euro geliefert, also fast sechsmal so viel, hauptsächlich aus Frankreich, Italien und Deutschland. An diesem Ungleichgewicht dürfte sich bis 2015 wenig ändern. Dann bekommen alle europäischen Produkte zollfreien Zugang zum Libanon.

In der 2003 vereinbarten zwölfjährigen Übergangszeit will die EU dem Libanon bei der Verbesserung der Wirtschaftsstrukturen behilflich sein. 2003 stiftete die EU zwölf Millionen Euro, um Institutionen zu gründen und Personal auszubilden, die sich um die Durchsetzung des Wirtschaftsabkommens kümmern sollen. Für die Jahre 2004 und 2005 werden 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um die »Konkurrenzfähigkeit im privaten Sektor zu stärken«, »für eine bessere Wissensausbildung«, »Umweltreformen« sowie »Demokratie, Menschrechte, Gesetz und Ordnung«. Mit dazu gehört die Verpflichtung der »Terror- und Drogenbekämpfung«.

Im Libanon wird das »Freihandelsabkommen mit der EU« kaum thematisiert. Es gibt genug andere Probleme. Mit 40 Milliarden Dollar Schulden ist der Libanon eigentlich bankrott. Nach der Resolution 1559 des UN-Sicherheitsrates drohen Sanktionen, die Opposition gegen die Einflussnahme Syriens nimmt zu, die sozialen Unterschiede werden größer, zudem leben in Flüchtlingslagern 387 000 Palästinenser, und das Land befindet sich im Kriegszustand mit Israel.

Die Verträge mit der EU bedeuten in erster Linie Einnahmen, die die Staatskasse sehr gut gebrauchen kann. Zudem bringen viele Projekte der Europäischen Kommission und ihrer Partnerorganisationen Erleichterungen für das völlig desolate Sozialsystem des Libanon. Die EU finanziert den Ausbau medizinischer Infrastruktur, des Bildungswesens, sorgt für Wasserzufuhr, Müllbeseitigung usw. Lauter Dinge, die sich der Staat schon lange nicht mehr leisten kann.

Im März dieses Jahres erklärte Patrick Renault, der eine EU-Delegation anführte, im Abschlussbericht seiner Inspektionsreise, »dass die makroökonomische Situation immer schlechter wird und schwierige Zeiten anbrechen. Alleine 2004 beträgt die zu bezahlende Schuldenlast 13 Milliarden.« Entlastung könnten nur Exporte in die EU bedeuten, aber viele der libanesischen Produkte, gerade aus dem Agrikultursektor, erfüllten nicht die EU-Normen.

»Deshalb wird die EU«, so Renault weiter, »ein neues Programm initiieren, das den Qualitätsstandard verbessert.« Dazu bedürfe es aber der Bereitschaft, den gesamten privaten und öffentlichen Sektor zu modernisieren. Ein schwieriges Unterfangen in einem Land, in dem für gewöhnlich rund ein Drittel des Geldes durch Korruption verschwindet.

Bereits im Mai 2001 wurde mit 6,4 Millionen EU-Euro ein Euro-Libanesisches Zentrum zur Modernisierung der Industrie (Elcim) gegründet. Fadi Abbou, der Präsident der Vereinigung der Libanesischen Industrie, glaubt, der Anstieg der Exporte von 2002 bis 2003 sei »ein Resultat der Arbeit des Elcim«. Das Abkommen mit der EU biete für den Libanon, meint Abbou weiter, »eine Möglichkeit, seine Wirtschaft zu transformieren und ein Magnet für europäisches Investment und Joint-Venture-Partnerschaften zu werden«. Trotz aller Hindernisse versucht die EU weiter, den Libanon zu einem »stabilen Handelspartner« zu machen, der ihrem kapitalistischen Kalkül genügt.