Survival of the cheapest

Alles für alle für wenig Geld? Mit dem im Phantasma der Konsumentendemokratie verbrieften Versprechen auf klassenlose Gleichheit ist es einstweilen Balsamico, meint holm friebe

Beginnen sollte ein Beitrag über den Preisverfall im Einzelhandel und die allgemeine Billigmentalität stets und unter allen Umständen mit dem Zitat des Slogans eines bekannten Elektronikfachmarktes. Wie wäre es also zur Abwechslung mal mit diesem, den die Kette Media-Markt derzeit penetrant im Radio laufen lässt: »La-la-la-lass dich nicht verarschen / vor allem nicht beim Preis!« Anders als der epochale Claim des Konkurrenten Saturn, der die erotische Komponente anal-retentiven Verhaltens stark macht, kommt in diesem nicht minder schlimmen Ohrwurm in drastischer Sprache ein anderer, vielleicht sogar wichtigerer Aspekt des Discountphänomens ans Licht: die vermeintliche Ohnmacht des Verbrauchers gegenüber dem Einzelhandel, der danach trachtet, diesen wo es geht und nach Strich und Faden zu »verarschen«. Worauf die Werbung nicht ungeschickt abhebt, ist der miesepetrige Argwohn des kleinbürgerlichen Spießers, der sich einer feindlichen Welt von Beutelschneidern und Abzockern gegenübersieht. Dass sich der Absender zum Sprachrohr dieses Ressentiments macht und damit vermeintlich aus der Phalanx der Aggressoren ausschert, ist einer der gängigsten Tricks der Branche. Wichtiger ist, dass dieses Ressentiment tatsächlich existiert und in den letzten Jahren zum Leitmotiv des privaten Konsums geworden ist.

Der empfundenen »Verarschung« der Konsumenten – vor allem beim Preis – begegnen diese mit Bauernschläue, indem sie nämlich da einkaufen, wo es billiger ist und so den anderen ein Schnippchen schlagen. Der Aufstand der Pfennigfuchser und Preisvergleicher lässt sich auch, wenn man das will, emphatisch überhöhen als »Consumer-Democracy«. Der Schweizer Trendforscher David Bosshart, Autor des Buches »Billig – wer zu viel bezahlt, ist blöd«, sieht darin »die logische Weiterentwicklung aus der politischen Demokratie« und versteht darunter »das Versprechen, dass die Menschen Zugang zu einer Vielfalt von Angeboten haben, aus denen sie frei wählen können, was sie tatsächlich wollen. Consumer-Democracy überwindet die traditionellen Zugangsbarrieren und macht die Menschen unabhängig von Klasse und Rasse wirklich gleich.«

Tatsächlich ist diese Utopie der Konsumentendemokratie nicht mehr Utopie, sondern in einer karikierten Form längst Realität und dabei über das Ziel hinausgeschossen. Wie die politische Demokratie und der Kapitalismus offenbart sie immer deutlicher ihre Defizite, die darin liegen, dass individuell rationales Verhalten kollektiv suboptimale Resultate liefert. Die Fuchsigkeit der Konsumenten, die übers Internet die Preise vergleichen, nach dem Fall des Rabattgesetzes feilschen auf Teufel komm raus und jeden ethischen Skrupel noch der geringsten Ersparnis unterordnen, ist es, die die langfristigen Grundlagen der Konsumentendemokratie untergräbt und einem Strukturwandel direkt aus der Hölle Vorschub leistet. Klar geht alles immer noch irgendwie billiger, wenn man dabei in Kauf nimmt, dass der Schrott auch immer billiger produziert und dadurch immer schrottiger wird. Das »Survival of the cheapest« führt zum Aussterben der letzten Nischen von so etwas wie Handwerkstradition und zu einer Monokultur von Pseudo-Produkten. Es ist der Siegeszug der Kretins, die naiverweise annehmen, der Kapitalismus stelle immer mehr für immer weniger bereit, und die feinen Unterschiede sowieso nicht bemerken.

Mit einer »Demokratisierung des Luxus« hat das alles wenig zu tun, mal ganz abgesehen davon, dass »Luxus für jedermann« ohnehin ein Paradox ist, wenn man Luxus definiert als exklusiven Konsum, den sich gerade nicht jeder leisten kann. Für kurze Zeit schien dieses Paradox möglich, als die Discounter mit Pesto und Lachs aufrüsteten, und so genannte »smart Shopper« oder »hybride Konsumenten« ihre Mode bei Armani und ihren Champagner bei Aldi kauften. Jetzt lichtet sich der Nebel, und es ist genau das eingetreten, was Wolfram Siebek längst vorausgesagt hat, dass nämlich der Lachs vom einstigen Edelfisch zum »Prolo der Meere« herabsinken würde. Was will man dort auch an Qualität erwarten, wenn man bedenkt, dass sich der Anteil für Lebensmittel an den Konsumausgaben seit den frühen sechziger Jahren halbiert hat und statt dessen immer mehr Geld für Handy-Klingeltöne ausgegeben wird. Das ist – Hartz IV hin oder her – tatsächlich hausgemachte deutsche Doofheit, die gleichwohl Methode hat.

Denn mit dem im Phantasma der Konsumentendemokratie verbrieften Versprechen auf klassenlose Gleichheit ist es einstweilen Balsamico. Die von Pierre Bourdieu diagnostizierten feinen Unterschiede, die sich nicht zuletzt über den Konsum mitteilen, existieren weiter und werden durch die zunehmend ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland verschärft. Der kürzlich veröffentlichte Armutsbericht der Bundesregierung kann als Resultat von sechs Jahren rot-grüner Regierungstätigkeit verkünden, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet hat und die Zahl der von Armut betroffenen Haushalte seit 1998 von 12,1 auf 13,5 Prozent gestiegen ist. Gleichzeitig konzentriert sich der Reichtum stärker im oberen Zehntel der Vermögensskala.

Das ist eine Kluft, die sich auch durch den ostentativen Konsum von Pseudo-Luxus-Produkten nicht wirksam kitten lässt. Der deprimierende Einkauf bei Lidl und Aldi bleibt eben doch, auch wenn zwischenzeitlich angeblich Mercedes-Limousinen auf deren Parkplätzen gesichtet wurden, das soziale Stigma, das er immer war, weshalb die Discounter hierzulande allmählich an ihre Wachstumsgrenze stoßen. Den Knick in der Kurve machen sie mühelos durch Expansion in die Weltregionen wett, wo Kirberg und Goldhorn noch nicht so üppig fließen.

Für Deutschland aber gilt, dass sich die Polarisierung der Einkommen natürlich auch in einer Polarisierung des Konsums ausdrückt, die langfristig das mittlere Segment ausdünnt. Kein Wunder, dass gerade in diesen Tagen Karstadt und Opel, die beiden Ikonen der Mittelmäßigkeit, in die Krise rutschen.

Auch der Spirituosenmarkt liefert hier gutes Anschauungsmaterial. Während traditionelle Anbieter im mittleren Segment über Absatzprobleme stöhnen, sieht man weltweite Wachstumspotenziale vor allem im neuen Marktsegment »Super-Premium«, wo die Flasche schon mal ein paar hundert Dollar kosten darf. Der durchschnittliche ALG II-Empfänger wird seinen No-Name-Klaren dagegen wohl auch in Zukunft beim Discounter seines Vertrauens beziehen.