Endverstrahlt ist noch untertrieben

Wenzel Storch schickt uns nach siebenjähriger Bastelarbeit mit seinem neuen Film auf eine bizarre »Reise ins Glück«. von jens friebe

Der Anfang

Das Zweitschönste an dem sieben Jahre lang ersehnten Film von Wenzel Storch ist sein Anfang. Ich werde ihn deshalb beschreiben: Während leiernde Jahrmarktmusik träge Heiterkeit verbreitet, sehen wir eine gebastelte Winterlandschaft mit einem kleinen zugefrorenen Teich, auf dem drei Schneemänner stehen. Diese dienen einem ebenfalls gebastelten Jungen als virtuelle Armee. Während er sich brüllend als Tyrann probiert, bricht das Eis unter seinen Füßen und er versinkt im Teich. Zwei weitere Jungen – wahrscheinlich Schulkameraden des ersten – kommen hinzu, pissen unter fröhlichem Geläster in das neu entstandene Wasserloch und verschließen es mit einem großen Schneeball. Als sie fort sind, erscheint eine vierte Puppe, die den Todgeweihten unter sächselnden Erwägungen (»Öischentlisch konn ischn jo nisch löiden. Öbö hür göhts üm öin Mönschnlööbn!«) aus dem See befreit. Wie mit Geld gefütterte Automaten setzen sich nun die Schneemänner in Bewegung. Während ihre Köpfe sich Chucky-die-Mörderpuppe-artig drehen, verkünden sie schnarrend den Handlung stiftenden Orakelspruch: »Was du getan hast, war gut, vielleicht zu gut. Den wirst du nicht mehr los! Von nun an seid ihr ineinander verschlungen wie eine Brezel.« Damit ist der einleitende Trickfilm zuende.

Ein Kind, das Schneemänner baut, um mit ihnen wie mit echten Personen zu reden, ist an sich schon ein schönes Bild. Es ist poetisch und prometheisch, denn es zeigt, wie des Menschen Schaffenskraft ihn, kaum ist sein Bewusstsein ausgeschlüpft, selbst Menschen formen lässt nach seinem Bilde und seelenlosem Stoff per Kunstsinn Leben schenkt.

Potenziert wird der Effekt dadurch, dass der Junge selbst wiederum nur ein komplett künstliches Geschöpf in einer Art Augsburger Puppenkistenwelt ist, nämlich in der von Wenzel Storch. Storch fungiert hier also als eine Art Meta-Prometheus, das von ihm geformte Kind ist jedoch in Wirklichkeit nicht nur ein Unter-, sondern geradezu ein Anti-Prometheus. Es schafft ja aus toter Materie seine Lebewesen nur, um sich spielerisch für seine Aufgabe als Diktator zu rüsten, die eben umgekehrt darin besteht, Lebewesen in tote Materie umzuwandeln, den Menschen das Feuer wegzunehmen und sie in Schneemänner zu verwandeln.

Die Mitte

So brezelartig verschlungen, wie die Schneemänner tun, sind Gustav (so heißt der Retter) und Knuffi (der Gerettete) im weiteren Verlauf des Films übrigens gar nicht. Die erwachsen gewordenen, nun von grotesk kostümierten Laiendarstellern verkörperten Antagonisten trennen sich aus geteilter Liebe zu einem Rasta-Girl, welches zu Knuffis Ärger an Gustav geht. Sie erleben getrennt einige Abenteuer in einer Bildwelt, die beweist, dass sich sieben Jahre Kulissenbasteln unter Umständen lohnen können. Selbst wenn Eugen Egners Gemälde sich plötzlich zu Rauminstallationen materialisierten, könnte deren geisteskranke Totalität nicht die von Storchs Erlebnispark übertreffen. Wie auf Lynchs Wüstenplaneten herrscht eine unfuturistische Art von Zukunft. Psychedelische Magie übernimmt hier die Funktion des »Spice«, was bedeutet, Technologie wird überflüssig und erscheint nur noch als schöne – zum Teil sogar wunderschöne – Antiquität.

Also, Gustav zieht mit der ein ländlich-humoristisches Achtziger-Idiom pflegenden (»was machstndudndadn?«) Rasta-Frau ab, um als Kapitän eines Schneckenschiffs die Welt zu bereisen und Unrechtsregime zu bekämpfen. Knuffi jedoch wird König eines faschistischen, aber bunten Inselstaats. Natürlich wird schließlich auch er von der Schneckenschiffguerilla angegriffen. Knuffis Schicksal besiegelt allerdings nicht ein militärischer Showdown, sondern eine durch verschiedene Kreuzungen zwischen Tieren und Gegenständen bewerkstelligte Zeitreise Gustavs. So kehren wir zurück an das Setting aus der Einleitung. Das Schönste am Film ist aber sein Ende

Das Ende

Wir sehen die Schneelandschaft vom Beginn – nun nicht mehr als Modell, sondern als wirkliche Winterlandschaft, in der echte, fette Kinder die Anfangssequenz wiederholen, mit dem Unterschied, dass nun auch der alte Gustav aus der Zukunft zur Stelle ist, um sich selbst in jung abzufangen. Er übergibt seinem kindlichen Ich ein Geschicklichkeitsspiel: eine medizinballgroße Schneekugel mit der Miniatur des zugefrorenen Teiches. Auch Knuffis Konterfei liegt unter der Wasseroberfläche. »Du musst die Kugel auf das Loch rollen«, weist der Alte den Jungen an, und während dieser das im Spiel tut, findet dasselbe, jetzt von ihm unbemerkt, im Hintergrund tatsächlich statt. So ist der präventive Tyrannenmord vollbracht und das Orakel ausgetrickst.

Liebe verdient der Regisseur Wenzel Storch zum einen wegen der reizend ausgearbeiteten Teichminiatur, die schon an sich apollinisch bezaubert und mit den beiden anderen Präsentationen der gleichen Landschaft zusammen ein Tryptichon der Entwirklichung bildet. Zum anderen verdient er sie wegen der guten Idee mit dem Geschicklichkeitsspiel, durch das diese Szene ein romantisches Kippbild zum Thema Ursache und Wirkung wird. Obwohl klar ist, dass der kleine Gustav lediglich abgelenkt ist und deshalb die schlechte Rettung verpennt, hat man den Eindruck von telekinetischer Aktivität – als wäre das Modell die Fernbedienung der Wirklichkeit. Die Logik des Voodoo fällt scheppernd mit der des abendländischen Schicksalsspiels zusammen. Und die Synapsen klatschen Beifall.

Bleibt nur noch zu betonen, dass »Reise ins Glück« nicht nur ein poetischer und psychedelischer, sondern auch ein sehr lustiger Film ist, und dass Storch mit dem kongenialen Komponisten Diet Schütte wirklich großes Glück hatte.

»Reise ins Glück« (D 2004). Regie: Wenzel Storch. Start: 6. Januar