»Nicht alle haben gestrickt!«

Jürgen Reents

Als sich die Grünen im Januar 1980 in Karlsruhe gründeten, war Jürgen Reents dabei. Er war Delegierter aus Hamburg und zudem Mitglied der Programmkommission, die bereits vor dem Gründungsparteitag eingesetzt worden war. 1983 gehörte er der ersten grünen Fraktion im Bundestag an. Nach der so genannten Wiedervereinigung verließ er die Grünen, 1997 trat er in die PDS ein. Seit dem Jahr 1999 ist er Chefredakteur der Zeitung Neues Deutschland. Mit ihm sprach Stefan Wirner.

Was bewog Sie damals, an der Gründung der Grünen mitzuwirken?

Im Vordergrund stand der Protest gegen die Atomanlagen, an dem wir uns als Linke in Hamburg seit etwa 1975 beteiligt hatten. Darüber hinaus ging es uns vor allem um Demokratiedefizite. Gerade die Anti-AKW-Demonstrationen hatten es ja mit sehr massiven Polizeieinsätzen zu tun. Die Schmidt-Regierung war vom Brandtschen »mehr Demokratie wagen« weit entfernt und verfolgte eine rabiate Politik der inneren Sicherheit. Man muss wohl daran erinnern, dass es in den siebziger Jahren nicht nur den Terrorismus der RAF gab, sondern auch über 100 polizeiliche Todessschüsse. Ferner begann Ende der siebziger Jahre die Planung, atomare Mittelstreckenraketen zu stationieren, und in der Nato wurden Konzepte für einen »begrenzten Atomkrieg« in Europa debattiert. Es gab also genügend Gründe, über eine politische Alternative links von der SPD nachzudenken und sich an ihrem Aufbau zu beteiligen.

Wie ging es denn 1980 auf dem Gründungsparteitag in Karlsruhe zu?

Das war eine sehr bunte Mischung, die da zusammenkam, obgleich es sich nicht, wie heute behauptet wird, um 1 000 strickende Delegierte handelte. Nicht alle haben dort gestrickt.

Es gab zum einen die weitgehend auf ökologische Fragen beschränkten grünen Gruppen, in denen sich auch einige rechte Figuren tummelten. Das war für viele ein triftiger Vorbehalt, sich dort einzumischen. Zum anderen gab es die damals so genannte bunt-alternative Wahlbewegung. Dazu gehörten etwa die Bunte Liste Hamburg, die 1978 mit 3,5 Prozent das erste ansehnliche Wahlergebnis erzielte, und die Alternative Liste in Westberlin, die 1979 bei ihrem ersten Antreten auf 3,9 Prozent kam. Dazu ähnliche Listen in Hessen und lokal in Nordrhein-Westfalen.

Die grünen Organisationen um Herbert Gruhl, August Haußleiter und Baldur Springmann drängten auf eine schnelle Parteigründung und kandidierten 1979 gemeinsam unter dem Namen »Die Grünen« zur Europawahl. Das hielten wir für verfrüht, wir wollten einen längeren Diskussionsprozess, um das Gewicht der bunten und alternativen Listen besser vorbereiten zu können. Die Europawahl war für die Grünen jedoch mit bundesweit 3,2 Prozent ein Erfolg, sie hielten nun die Karten in der Hand. Wir mussten in der Frage der Parteigründung einen Kompromiss schließen. Das Ergebnis war der Parteitag in Karlsruhe.

War es offensichtlich, dass sich auch Rechte an dieser sozialen Bewegung beteiligten?

Wir hatten uns seit 1977 mit dieser Frage auseinandergesetzt. Von der Bunten Liste Hamburg wurde die Broschüre »Wie braun sind die Grünen?« herausgegeben, in der auf diese Gefahr hingewiesen wurde. Der Streit, der etwa die Bunte Liste in Hamburg und den Kommunistischen Bund dann spaltete, war: Soll man sich deswegen von der Chance einer erstmals größeren politischen Alternative abwenden, oder soll man versuchen, die rechten Einflüsse zurückzudrängen, und das entstehende Parteiprojekt für die Linke öffnen? Ich habe mich damals mit vielen anderen für den zweiten Weg entschieden, und wir waren damit erfolgreich.

Der auf die Gründung in Karlsruhe folgende Parteitag der Grünen im März 1980 in Saarbrücken verabschiedete ein Programm, das stark von der Linken geprägt war, das ökologisch und radikaldemokratisch war. Dies führte schließlich auch zu den Austritten von Baldur Springmann, Herbert Gruhl und ihrer Entourage.

Wie erlebten Sie Joschka Fischer, als Sie ihn kennenlernten?

Wir hatten in der Anfangszeit der grünen Bundestagsfraktion 1983 eine herzliche und gute Zusammenarbeit. Es gab zu dieser Zeit noch nicht den später die Grünen beherrschenden »Fundi-Realo-Konflikt«, sondern eher die Differenz, eine ernsthafte parlamentarische Politik zu machen oder den Bundestag als verlängerte Werkbank für Einzelanliegen aus dem direkten Umfeld der neuen Abgeordneten zu sehen. Die heutige grüne Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer hat Joschka Fischer, Otto Schily, Hubert Kleinert, Christian Schmidt und mich heftig angegriffen, weil wir pragmatisch an einer grünen Machtposition gefeilt hätten. Sie nannte das einen Männerbund, und das war es ja auch. Nun ist sie Teil davon und hat sich regelrecht in den Bundestag verliebt.

Was dachten Sie in der Frage, ob man mit der SPD koalieren sollte?

Ich war dagegen, die Grünen zu billig zu verkaufen, konnte aber auch der Position nichts abgewinnen, die Grünen ein für darauf festzulegen, nur Opposition zu sein. Wir hatten in Hamburg ja sogar den ersten Versuch gestartet, in einen realistischen Dialog mit der SPD zu kommen, und 1982 über die erste Tolerierung verhandelt. Nachdem er zu den Grünen gestoßen war, rief Joschka Fischer mich an und sagte, wir sollten in dieser Richtung zusammenarbeiten. Er hoffte wohl, mit den Hamburgern einen verlässlichen Bündnispartner für frühe Koalitionsüberlegungen zu finden. Das war ein Irrtum.

In Hamburg verabschiedete sich die Mehrheit um Thomas Ebermann vom eigenen Versuch, über fundamentale Opposition hinauszudenken, und im so genannten Realo-Lager begann man, programmatische Grundsätze einzureißen. Man war zunehmend bereit, jede ideelle Vorleistung zur unbedingten Staatstreue und zur Nato-Bindung abzugeben, selbst wo es landespolitisch gar nicht bedeutsam war. Heute sind die Grünen eine Partei geworden, die als Regierungspartner die ersten deutschen Kriegsbeteiligungen nach 1945 mit zu verantworten hat, in Jugoslawien und Afghanistan.

Die Grünen hingegen betonen ihre Erfolge: die Einführung der Homoehe und der doppelten Staatsbürgerschaft, den angeblichen Atomausstieg. Antje Vollmer sagte einmal, die Grünen hätten die Republik »gründlich zivilisiert«.

Es bleibt sicher auch Positives, aber kein Stoff für eine überhöhte Legende. Die Grünen haben das politische Klima in diesem Land wesentlich mit verändert, das ist wahr, etwa in der Frage des Respekts gegenüber Minderheiten. Dem stehen jedoch erhebliche Verluste gegenüber, vor allem in der Friedenspolitik, aber auch im Umgang mit sozialer Gerechtigkeit.

Sind Sie deshalb 1991 aus der Partei ausgetreten?

Ja, und weil die Grünen während des deutschen Einheitstaumels auf den Zug gesprungen sind, Menschen auszugrenzen und zu stigmatisieren. Mein letzter Konflikt bei den Grünen war, sich nicht gegenüber denjenigen abzuschotten, die aus der SED bzw. PDS heraus versuchen wollten, sich und die nun gemeinsame Gesellschaft in Deutschland zu erneuern. Die Grünen haben jeden Dialog in dieser Richtung verweigert.

Was stimmt Sie zuversichtlich, dass es mit der PDS eine andere Wendung nehmen wird als mit den Grünen?

Meine Zuversicht ist nach aller Erfahrung mit Skepsis gepaart. Aber es lohnt jeder neue Versuch zu etwas Besserem. Sich abzuwenden, halte ich nicht für eine brauchbare Alternative.