Staatliche Anti-Antifa

Nach einer Auseinandersetzung mit Neonazis im vergangenen November wird in München gegen 18 Antifas ermittelt. von magnus bosch

Sie seien von der Polizei rund 20 Stunden festgehalten worden. Man habe ihnen Blut abgenommen, DNA-Spuren analysiert, Schuhe, Kleidungsstücke und Mobiltelefone beschlagnahmt. »Nachts ließ man uns keine Ruhe, an Schlaf war nicht zu denken«, berichtet eine der Beteiligten der Jungle World. Gegen die Münchner Antifas läuft derzeit ein Verfahren wegen schwerer Körperverletzung und Landfriedensbruchs. »Medien und Polizei versuchen, einen organisierten Überfall zu konstruieren«, beklagt die Rote Hilfe München und bittet um Unterstützung für die Antifas.

Was war geschehen? Die rechtsextremistische Kameradschaft München hatte am 10. November in der Münchner Fußgängerzone eine Kundgebung abgehalten. 15 Neonazis standen rund 80 Gegendemonstranten gegenüber. Die Kameradschaft München ist die Nachfolgeorganisation der Kameradschaft Süd, die für den 9. November 2003 einen Anschlag bei der Grundsteinlegung des neuen jüdischen Zentrums geplant haben soll. Gegen einige damalige Mitglieder der Kameradschaft Süd läuft derzeit vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht ein Prozess wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung.

Die Kameradschaft München wollte ihre Kundgebung eigentlich bereits am 9.November 2004 veranstalten, dem 66.Jahrestag der Reichspogromnacht, doch diese offensichtliche Provokation wurde von der Stadt untersagt. Stattdessen durften die Neonazis ihre »Mahnwache gegen den Terror« am Tag darauf abhalten.

Auf der Kundgebung sprach Norman Bordin, der Anführer der Kameradschaft. Er wurde im Jahr 2002 zu einer 15monatigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt, weil er im Jahr zuvor an einer Aktion beteiligt gewesen war, bei der ein Grieche halb tot geprügelt wurde. (Jungle World, 43/01) Nach Angaben der Süddeutschen Zeitung war Bordin auch der Gründer der Kameradschaft Süd. Als Ende November vergangenen Jahres der Prozess gegen Martin Wiese und drei seiner Kumpane wegen des angeblich geplanten Anschlags auf das jüdische Zentrum eröffnet wurde, saßen Bordin und sein Kompagnon Hayo Klettenhofer unter den Zuhörern. Seit einigen Monaten ist Bordin zudem Mitglied der NPD.

Auf der Kundgebung wurden u.a. Schilder mit der Aufschrift »Gegen Terror durch Antifa« und »Gegen Terror durch U.S.rael« gezeigt. Nachdem die Neonazis ihre Versammlung gegen 19.30 Uhr aufgelöst hatten, wurden sie unter Polizeischutz zur S-Bahn gebracht. Neun der Rechtsextremisten fuhren anschließend zur Donnersbergerbrücke.

Dort kam es offenbar zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit mehreren Linken. Nach der Presseerklärung der Polizei erlitt einer der Neonazis dabei einen Nasenbeinbruch, eine Gehirnerschütterung sowie Prellungen und Hautabschürfungen. Als er am Boden lag, sei er von mehreren Leuten getreten worden. »Der zweite Verletzte konnte ambulant versorgt werden«, hieß es weiter.

Die Antifas seien anschließend von Beamten der Sondereinheit USK drei Stunden auf der Brücke festgehalten und nacheinander fotografiert worden, bevor sie ins Polizeipräsidium in der Ettstraße abtransportiert worden seien. Erst am folgenden Nachmittag gegen 16 Uhr seien sie wieder auf freien Fuß gesetzt worden, berichten zwei der Betroffenen.

Die Polizeisprecherin Sabine Allertseder gibt hingegen auf Nachfrage der Jungle World an, dass sich die »Maßnahmen« nur »bis gegen Mittag« hingezogen hätten. Auf die Frage, warum es für nötig erachtet wurde, die Antifas so lange festzuhalten, erklärt sie: »Auf Weisung der Staatsanwaltschaft München wurden aufgrund der Schwere der Tat diese Personen bis zur Abklärung der Tatbeteiligungen und bis zur Beendigung der strafprozessuellen Maßnahmen in Polizeigewahrsam gehalten.« Dies sei zur Durchführung einer beweiskräftigen Tataufklärung und Täterermittlung erforderlich gewesen, erläutert Allertseder.

Eine der Antifas indes erzählt der Jungle World, sie sei auf der Polizeiwache, als sie sich wehrte, an den Haaren gezogen und dann in einem Zimmer gegen die Wand gestoßen worden. »Du kannst soviel herumschreien, wie du willst, dich hört eh niemand«, habe sie zu hören bekommen. Die Wohngemeinschaft des Hauptverdächtigen wurde durchsucht, ein Computer, verschiedene Datenträger und Schriftstücke wurden konfisziert. Die Polizeisprecherin dementiert allerdings Berichte, wonach Beamte die Wohngemeinschaft mit gezogenen Waffen durchsucht hätten.

Der Vorfall auf der Donnersbergerbrücke sei eigentlich eine »Lappalie« gewesen, meint ein Sprecher der Roten Hilfe und beklagt, dass Linke von der Polizei einer »Sonderbehandlung« unterzogen würden. So seien etwa die drei Mitglieder der Kameradschaft München, die an Weihnachten in der Trambahn einen Farbigen angepöbelt und einem Mann eine Bierflasche mehrmals über den Kopf geschlagen hatten, von der Polizei nach der Vernehmung wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

Die Kameradschaft München treibt derweil weiter ihr Unwesen. Am 11. Dezember nahmen die Kameradschaftler an einer Kundgebung der NPD im nordöstlich von München gelegenen Dorfen im Landkreis Erding teil, um gegen das dortige selbstverwaltete Jugendzentrum zu agitieren. Es erschienen 50 bis 60 Neonazis aus dem Umfeld der freien Kameradschaften und der NPD. Rund 1 000 Menschen versammelten sich zu einer Gegendemonstration.

Auf Flugblättern forderten die Neonazis die Schließung des Jugendzentrums, da dort »gefährliche Linksextremisten« und »kriminelle Schlägertrupps« verkehren würden. Drei Wochen zuvor hatten Dorfener Jugendliche einen Informationsstand der NPD umgeworfen und Flugblätter zerrissen.Die Neonazis kündigten weitere Aktionen an. »Dorfen, wir kommen wieder«, heißt es auf der Internetseite widerstandsued.de.

Sie ist auf Bordin angemeldet, wie aus einer Abfrage bei der Registrierungsstelle für Domainnamen, denic.de, hervorgeht. Auf widerstandsued.de tauchen zudem das Aktionsbüro Süd sowie das Nationale Infotelefon Süddeutschland auf. In bewährter antisemitischer Manier mokiert man sich dort über »lächerliche Berichte« von »krummnasigen Zeitungen und Internetseiten«.