Playing Auschwitz

Der Spielfilm »Die Grauzone« schildert den Häftlingsaufstand in Auschwitz-Birkenau im Oktober 1944. von christiane müller-lobeck

In der Metapher Auschwitz verdichten sich die unterschiedlichen Aspekte der Judenvernichtung: Zwangsarbeit und Völkermord, medizinische Versuche sowie die Verwertung des Vermögens und der körperlichen Überreste der Ermordeten. Allerdings gibt es einen Ort, an dem dies tatsächlich geschah – die Gaskammern und Krematorien des Lagers Auschwitz-Birkenau. Es waren SS-Angehörige, die die Massenvernichtung durchführten und dazu jüdische Häftlinge in so genannten Sonderkommandos zwangsverpflichteten. Jetzt wagt sich erstmals ein Spielfilm mitten in dieses Zentrum des Holocaust. Tim Blake Nelson, bekannter als Schauspieler (u. a. »O Brother, Where Art Thou« von den Coen-Brüdern), zeigt in der Verfilmung seines Theaterstücks »Die Grauzone« alles, was für diejenigen, die an diesem Ort gearbeitet haben, zu sehen gewesen ist. Der Todeskampf der Opfer im Gas gehört nicht dazu, aber ihre Schreie erspart der Film den Zuschauern nicht. Nelson hat sich also kaum eins der »Darstellungsverbote« auferlegt, von denen im Zusammenhang mit der filmischen Fiktionalisierung der Judenvernichtung immer die Rede ist.

Wer mit Bildern an die Judenvernichtung erinnern und über sie reflektieren will, kommt nicht umhin, rücksichtslos gegenüber den Opfern zu sein. Schon das Foto einer nackten, ausgemergelten Leiche verdoppelt die Entsubjektivierung der Ermordeten. Auch Claude Lanzmann ging für seinen Dokumentarfilm »Shoah« mit seinen Interviewpartnern, Überlebenden des Holocaust, nicht durchweg schonend um. Die Frage, wie die Ermordung so vieler Menschen möglich gewesen ist, lässt sich nur beantworten, wenn man den Blick dafür schärft, wie die SS ihre Opfer bei dem bürokratisch und industriell organisierten Massenmord zu Helfern gemacht hat.

»Die Grauzone« trägt dem Rechnung und transzendiert zugleich das Schuldgefühl, das Überlebende aus den Lagern der SS aus genau diesem Grund mit sich herumtragen. Denn der Film handelt von einem Akt des Widerstands: Am 7. Oktober 1944 brach unter den jüdischen Häftlingen des Sonderkommandos ein Aufstand aus.

Mit Harvey Keitel als Produzent und Darsteller eines SS-Oberscharführers, Steve Buscemi, David Arquette sowie Mira Sorvino hat Nelsons Film eigentlich genügend populäre Namen aufzuweisen, um ein ähnlich großes Publikum zu finden wie Steven Spielbergs »Schindlers Liste«. Trotzdem fehlte Geld für Werbung und Vertrieb, weshalb der Film, schon 2002 fertiggestellt, erst jetzt, zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, in die deutschen Kinos kommt. Das Theaterstück wie auch der Film fußen auf dem Bericht des rumänischen Häftlingsarztes Miklos Nyiszli. Allerdings stellt der Film den Aufstand, der bei Nyiszli nur wenig Raum einnimmt, ins Zentrum seiner Erzählung.

Den Aufständischen gelang es, eins der vier Krematorien mit Sprengstoff vollständig zu zerstören, ein zweites wurde stark beschädigt. 451 von den 661 Häftlingen der insgesamt vier Sonderkommandos wurden noch am selben Tag erschossen. Der Film endet mit den Erschießungen, nicht ohne dass sich zwei der Protagonisten des Aufstands zuvor noch eindringlich gegenseitig ihres Heldenmuts versichert hätten. Den Gang der Massenvernichtung konnte die Erhebung nicht aufhalten. Und so viel man weiß, war das auch nicht das Ziel der Aufständischen – was der Film jedoch nicht wenigen seiner Helden unterstellt.

Verstärkt wird die Heroisierung der Aufständischen außerdem dadurch, dass die von Nyiszli geschilderten Vorgänge den populären Erzählkonventionen des Knast- und Kriegsgefangenendramas untergeordnet werden. Um der filmischen Fiktion zum Holocaust Wahrhaftigkeit zu verleihen, gibt es aber kaum etwas Wirkungsvolleres als ihre Einbettung in ein Genre: Das dem Publikum Bekannte ist hier immer auch das Wahre. Aus diesem Grund hat sich inzwischen so etwas wie eine eigene Bildsprache von Holocaust-Filmen entwickelt. Es mag oft langweilig wirken, aber eine geradlinige Erzählweise und entsättigte, also weniger sinnliche Farben gehören zu der Strategie, mit der sich Spielfilme über die Judenvernichtung gegen Vorwürfe zu wappnen versuchen, nur Lüge und Lust zu sein. Bei einer Preview von »Die Grauzone« in Köln äußerte Henryk Mandelbaum, einer von zwei Überlebenden der Sonderkommandos, die zur Zeit des Aufstands in Birkenau gearbeitet haben, der Film zeige nicht die Wahrheit, sondern nur »geschminkte Schauspieler«. Dieselben Strategien, mit denen eine Filmerzählung über die Judenvernichtung Wahrheit bekräftigen will, lassen ihr ebendiese Wahrheit umgehend um die Ohren fliegen. Denn der Rückgriff auf Genrekonventionen bewirkt, dass das Einzigartige der Judenvernichtung aus der Darstellung verschwindet. Man muss sich die Dramaturgie von Nelsons Film wie eine Mischung aus dem US-Kriegsgefangenenfilm »Gesprengte Ketten« und dem KZ-Widerstandsdrama »Nackt unter Wölfen« vorstellen. Von Letztgenanntem leiht er sogar das Motiv der Rettung eines einzelnen Kindes, hier ist es ein Mädchen, das von der Widerstandsgruppe beschützt wird, wodurch der Aufstandsplan gefährdet wird. Wie in geläufigen Gefängnisdramen raunzen sich in »Die Grauzone« stoppelhäuptige Männer allenthalben halblaut konspirative Dinge zu.

Nun ist die Crux der meisten Widerstandsaktionen von Juden zur Zeit der Deportationen und Massenermordungen, dass die Akteure sich ein in gewissem Maße unangemessenes Bild von ihrer Lage gemacht haben: Sie haben auf der Grundlage eines Narrativs gehandelt, das den Kern des Vernichtungsprozesses nicht traf. Tatsächlich hatten sowjetische Kriegsgefangene, die als Juden im Sonderkommando gelandet waren, erheblichen Einfluss auf die Planung des Aufstands im Sonderkommando. So glaubte man beispielsweise – den Aufwand unterschätzend, den die SS bei der Geheimhaltung des Massenmordes betrieb –, im Zuge des Aufstands werde zumindest für einige Häftlinge die Flucht aus dem Lager möglich sein. Für eine solche (Fehl-)Einschätzung bedurfte es der Kontakte der Kriegsgefangenen zu Partisanengruppen außerhalb des Lagers. Viele der Waffen, die während des Aufstands zum Einsatz kamen, waren außerdem von Partisanen zu ihren Kontaktmännern unter den Kriegsgefangenen geschmuggelt worden.

Unstimmig an Nelsons Film ist einzig, dass er das Narrativ von gewöhnlichen Gefangenen benutzt, ohne den entscheidenden Einfluss derjenigen, die sich selbst weniger als Verfolgte denn als Gefangene sahen, auch nur zu erwähnen. Wie bei den US-amerikanischen Kriegsgefangenen in »Gesprengte Ketten« scheint es nun, als sei kaum mehr als etwas menschliche Aufwallung nötig gewesen, um die Wachmannschaften in Bedrängnis zu bringen. Damit provoziert »Die Grauzone« aufs Neue die denunziatorische Frage, warum sich die anderen jüdischen Häftlinge nicht auch gewehrt haben. Und das ist ärgerlich für einen Film, der ansonsten ein außergewöhnlich genaues Bild vom Funktionieren der Judenvernichtung in ihrem letzten Stadium zeichnet.

»Die Grauzone« (USA 2002). Buch/Regie: Tim Blake Nelson. Darsteller: Harvey Keitel, Steve Buscemi, David Arquette, Mira Sorvino. Start: 27. Januar