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Die Sozialproteste erfordern eine stärkere Orientierung auf den Alltag. von der gruppe fels, ag soziale kämpfe

Am 3. Januar startete der Versuch einer überregional koordinierten linken Intervention gegen das Kernstück der rot-grünen Arbeitsmarktreform. Dem Aufruf, die Arbeitsagenturen zu blockieren und den Start von Hartz IV zu verhindern, folgten Menschen in 83 Städten. Im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Kräften, wie den Gewerkschaften oder der PDS, ist es uns mit der Aktion gelungen, diesen Tag auch als einen Tag des Protests ins Gespräch zu bringen. Auch die Tatsache, dass sich im ganzen Bundesgebiet auf lokaler Ebene Gruppen zusammengefunden haben, die bei den Sozialprotesten aktiv sind oder werden wollen, gehört zu den erfreulichen Nachrichten rund um den Agenturschluss.

In Berlin wurden die Aktionen der Agenturschluss-Kampagne im Rahmen des Bündnisses »Ende der Bescheidenheit« organisiert. Die Gruppe FelS (Für eine linke Strömung) hat sich als Teil des Aktionsbündnisses Act! an der Vorbereitung beteiligt. Unsere Bilanz betrifft also sowohl unsere eigenen Aktivitäten als auch das Auftreten linker Gruppen innerhalb der Sozialproteste allgemein.

Und da ist neben den erwähnten erfreulichen Tatsachen auch festzustellen: Weder in Berlin noch anderswo waren die Agenturschluss-Aktionen ein neuer Startschuss für Sozialproteste. Das allerdings war der Maßstab für die Bewertung der Ereignisse des Tages. Denn schließlich lautete die ausgegebene Parole: Am 3. Januar werden flächendeckend die Agenturen dicht gemacht. Gemessen an den Erwartungen ist der Agenturschluss also enttäuschend ausgefallen, ja musste zumindest in der Berichterstattung zwangsläufig als Niederlage interpretiert werden.

In Berlin – aber nicht nur hier – ist am 3. Januar außerdem deutlich geworden, wie groß die Distanz linksradikaler Aktionspolitik zu den von Sozialkürzungen Betroffenen ist. Etwa bei dem spontanen Besuch von ca. 100 AktivistInnen im Arbeitsamt Mitte. Die Betroffenen von Hartz IV, jedenfalls die, die wir an diesem Tag angetroffen haben, konnten mit der Aktion nichts anfangen. Es ist deutlich geworden, dass sich unsere Aktionsformen nicht an ihren Problemen orientieren, ja nicht einmal darauf zielen, sie einzubinden. Auch wenn es kaum offene Ablehnung gegen uns gab, waren viele not amused darüber, dass sie noch länger als geplant warten mussten. Logisch: Für alle, die ihr Geld nicht rechtzeitig bekommen haben, deren Anträge verschwunden sind etc., hat es erstmal Priorität, das zu klären. Diese Haltung als Ausdruck von Passivität oder Fatalismus abzuqualifizieren, ist sinnlos und zeugt eher von mangelndem Interesse, sich mit den realen Problemen und Bedürfnissen der Hartz-IV-VerliererInnen auseinander zu setzen.

Soweit das Resümee. Und nun? Nun heißt es nachdenken, wie die weitere politische Intervention im Bereich der Sozialproteste aussehen kann. Aktionen und Protest-Events reichen nicht aus. Sie verpuffen, weil sie allein keine Perspektive aufzeigen können. Diese Erfahrung haben wir so ähnlich auch in der Kampagne »Berlin umsonst« gemacht. Es wäre also angesagt, den Kontakt zu anderen von Sozialabbau und Prekarisierung Betroffenen herzustellen und eine Vorstellung von gemeinsamen Problemen und Handlungsmöglichkeiten zu gewinnen. Die Voraussetzung dafür ist, dass wir erreichbar sind, also offene Treffpunkte, Cafés etc. schaffen. Auch »Spaziergänge« zu Ein-Euro-Arbeitsstellen, auf denen die Diskussion mit den zur Ein-Euro-Arbeit Gezwungenen gesucht wird, sind eine solche Möglichkeit.

Voraussetzung ist ferner, dass wir Aktionsformen entwickeln, die Antworten auf Probleme des Alltags bieten. Das kann bedeuten, Informationen zusammenzustellen, was einem auf dem Amt und im Job zusteht, wie man seine Ansprüche durchsetzen kann, wie man sich Dinge des täglichen Lebens umsonst organisiert usw. Es kann der gemeinsame kostenlose Konzertbesuch oder die gemeinsame Rabatt-Einkaufstour sein. Wichtig ist, dass in dem, was wir tun, ein Nutzen erkennbar ist für all jene, die für immer weniger Geld immer mehr arbeiten sollen.

Dass wir eine stärkere Orientierung auf solche Formen der Alltagsorganisierung einfordern, bedeutet keine Absage an spektakuläre Aktionsformen oder Demonstrationen als geeignete Mittel linker Intervention. Ohne solche öffentlich wahrnehmbare politische Praxis kann es auch zukünftig nicht gehen. Aber wenn sich die Linke der sozialen Seite des Kampfes gegen die Zumutungen des kapitalistischen Alltags verweigert, dann bleibt sie unglaubwürdig.