Kontrolle auf Vorrat

Technische Innovationen ermöglichen die massenhafte Erhebung persönlicher Daten. Die ab 1. April erleichterte Kontenabfrage ist nur ein Beispiel dafür. von kai pohl
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Steht der Fall des Bankgeheimnisses unmittelbar bevor? Das »Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit«, das am 1. Januar 2004 in Kraft getreten ist, ermöglicht dem Bundesamt für Finanzen ab 1. April 2005 mit der »automatisierten Kontenabfrage« den Zugriff auf Daten von mehr als 500 Millionen Konten und Depots in der Bundesrepublik Deutschland. Das Gesetz, das Ende 2003 eilig durch den Bundestag gebracht wurde, ermöglicht die Abfrage der Kontenstammdaten, jedoch nicht von Kontenständen und Kontenbewegungen. Um diese Daten zu erhalten, müssen die Behörden gesonderte Auskunftsersuchen an die betreffende Bank stellen.

Es ist merkwürdig, dass die Einführung des Gesetzes mit so viel Kritik einhergeht, obwohl doch staatliche Stellen schon längst die Möglichkeit haben, von den Banken Auskünfte über Konten einzuholen. Peter Schaar, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, erklärte im Handelsblatt: »Wir haben im Bereich der Finanztransaktionen bereits eine erhebliche Überwachungstiefe und -breite erreicht.« Ihm sei nicht klar, »wer mit welcher Berechtigung Kontoinformationen abfragen kann«.

Spiegel online hatte berichtet, dass mehrere Rechtsgutachten zu dem Ergebnis gekommen waren, »das Gesetz sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar«. Aus diesem Grund reichten mehrere Einzelpersonen und die Volksbank Raesfeld Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz ein. Das Bundesverfassungsgericht wies diese am 23. März im Eilverfahren vorerst zurück, so dass die Regelung am 1. April wirksam werden kann.

Nach Einschätzung der Berliner Zeitung fällt an diesem Tag das deutsche Bankgeheimnis. Das wird jedoch von staatlicher Seite dementiert, da das Bankgeheimnis allein für das Verhältnis zwischen Kreditinstitut und Kunde gelte und sich daraus kein Auskunftsverweigerungsrecht der Banken gegenüber den Finanzbehörden ableite. Eine geschickte Ausrede: Der Staat kann das Bankgeheimnis gar nicht verletzen, weil es für ihn nicht gilt.

Auf Teile der Kritik hat das Bundesamt für Finanzen bereits mit einer Verwaltungsvorschrift reagiert, die festlegt, dass die Betroffenen über eine Kontoabfrage nachträglich in Kenntnis gesetzt werden sollen. Außerdem soll die Rechtmäßigkeit einer Abfrage gerichtlich überprüfbar sein.

Nicht nur die Finanzämter, sondern alle Behörden, deren Gesetze an »Begriffe des Einkommenssteuergesetzes anknüpfen«, können über das Bundesamt Daten abrufen, wenn sie versichern, »dass eigene Ermittlungen nicht zum Ziele geführt haben oder keinen Erfolg versprechen«. Diese Formulierungen lassen Raum für willkürliche und auf bloßen Verdacht begründete Abfragen. Vor diesem Hintergrund erscheint die gesetzliche Regelung der »Steuerehrlichkeit« als ein billiger Vorwand, um den Zugriff auf Kontoinformationen für alle Ämter zuzulassen, die mit der Zuteilung von Geldern an Bedürftige befasst sind.

Gäbe es keine Datenschutzbeauftragten, die sich von Zeit zu Zeit beschweren, könnte glatt das Vertrauen des Bürgers zum Staat verloren gehen. Kein Wunder, dass der Datenschutz in der Bundesrepublik erfunden wurde. Im Jahr 1969 verabschiedete der hessische Landtag das erste Datenschutzgesetz der Welt. Zur Vorstellung des Gesetzentwurfes sagte der damalige hessische Ministerpräsident Albert Osswald (SPD): »Das Datenschutzgesetz ist erforderlich, um das Vertrauen der Bürger zum Staat im Zeitalter des Computers zu erhalten.«

Klar, die Bürger sollen dem Staat vertrauen – am besten blind. Jedoch scheint das Vertrauen nicht auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Würde der Fiskus nicht seinen Schäfchen misstrauen, wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, die »Förderung der Steuerehrlichkeit« gesetzlich zu fixieren. Im postmodernen Datennetz entscheidet aber nicht der Wortlaut eines Gesetzes, sondern dessen technische Implementierung über seine Wirksamkeit. Die Regeln werden von der Hardware gesetzt, von Protokollen und Zugriffsrechten für Nutzerhierarchien. Sobald die technischen Voraussetzungen für die automatisierten Abfragen von Konten gegeben sind, können täglich 50 000 Abfragen erfolgen. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2004 waren es 36 000. Quantitativ verändert sich also ein Menge, qualitativ weniger.

Dennoch erscheint der Staat als hochgerüsteter Schnüffler, während die Industrie Süßigkeiten verteilt. Mit Rabattmarken, Bonusmeilen und fußbemalten Osterhasen lassen sich die Konsumenten freiwillig dazu bewegen, Teile ihrer Privatsphäre und ihrer Gewohnheiten offen zu legen (Jungle World, 12/05). Auf diese Weise gelangen Hersteller und Handel in den Besitz von Kundenprofilen.

Dem Berliner Datenschutzbericht für das Jahr 2004 ist zu entnehmen, dass die Aussichten für den Datenschutz sich umso mehr verfinstern, je raffinierter und flexibler die Informationstechnologien werden: »Die permanente Erhebung personenbezogener Daten durch allgegenwärtige Sensoren würde zur permanenten Vorratsspeicherung von Daten führen, die keinem konkreten Zweck dienen und daher auch nicht aktuell erforderlich sind. Sie werden gesammelt, um sie bei passender Gelegenheit zu nutzen.« Bargeldloser Zahlungsverkehr, Online-Handel, die Ortung per Handy und GPS, die Speicherung biometrischer und genetischer Informationen oder die Produktkennzeichnung mit so genannten RFID-Chips, die neuerdings auch für die Identifikation von Tieren und Menschen Anwendung finden, sind nur einige Beispiele für ein Szenario, in dem die alles durchdringende und quasi verinnerlichte Datenverarbeitung das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vergessen macht.

So schreibt das Berliner Hundegesetz vor, dass künftig alle Hunde der Hauptstadt einen mittels Radiowellen lesbaren RFID-Chip tragen müssen. In den USA hat die Zulassungsbehörde für Medizinprodukte die Anwendung solcher Chips bereits bei Patienten genehmigt. Und in Barcelona können sich die Stammgäste einer Diskothek den Chip als bargeldloses Zahlungsmittel implantieren lassen. Das Eindringen von Überwachung und Kontrolle nicht mehr nur in die Privatsphäre, sondern direkt in die Körper der Individuen wird derzeit zur erschreckenden Realität.

Kein Staatswesen kann ohne Kontrollinstrumente existieren. Hinter dem gern beschworenen demokratischen Charakter unserer Gesellschaft verbirgt sich die Tatsache, dass wir es mit einer Form der Herrschaft zu tun haben, deren Macht sich unter anderem darauf gründet, Recht zu setzen, weshalb mit dem Recht auch schlecht gegen die Herrschaft vorzugehen ist. Das Rechtssystem erzeugt per se einen vorauseilenden Gehorsam, der sich in der Mentalität des ehrlichen Trottels offenbart, der meint, er habe nichts zu verheimlichen, solange er nichts Verbotenes tut. Nicht allein die Überwachung selbst, schon das bloße Wissen darum, dass sie jederzeit, willkürlich und unbemerkt stattfinden kann, bildet einen wichtigen Baustein im Gefüge der Unterordnung.

Auch wenn es wenig ist, was sich gegen den technologisch hochgerüsteten Überwachungskomplex ausrichten lässt, so sollte man zumindest das Wenige tun: im Laden statt im Internet einkaufen, sich keine Kundenkarten aufschwatzen lassen, bar bezahlen, den Hund verschenken, das Handy abschalten und ein Konto in der Schweiz eröffnen.