Mitsingen verboten

Betreiber von Songtextseiten wehren sich gegen eine Flut von Abmahnungen aus einer Berliner Anwaltskanzlei. von jörg meyer

Die Zeiten, in denen sich Hobbyklampfende einen Songtext und die dazugehörigen Akkorde für die nächste Lagerfeuersession per Suchmaschine im Internet besorgen konnten, scheinen passé. Das Downloaden von Musik steht bereits unter Strafe. Bis zu fünf Jahre Knast gibt es für dergestalt wirtschaftsschädigendes Verhalten. Nun sind die Texte dran.

Am 19. März wurde bekannt, dass die Berliner Anwaltskanzlei Wollmann & Partner massenhaft Betreiber von Internetseiten abmahnt, die Liedtexte zur Verfügung stellen. In einer Stellungnahme zu den Abmahnungen erklärt das Team von lyricsworld.de, dass die Veröffentlichung von Songtexten im Netz schon immer eine rechtliche Grauzone darstellte. Sie sagen: »Wir respektieren natürlich die Entscheidung der Urheber dieser Texte, ganz gleich aus welchem Grund sie einer Veröffentlichung der Texte auf unserer Seite widersprechen.« Jedoch beklagen sie, dass die bisher unkomplizierte Praxis – jede der betreffenden Seite hat im Impressum den deutlichen Hinweis, dass ein Widerspruch per E-Mail genügt, damit die Texte sofort gelöscht würden – nun »eine ganz neue Dimension erreicht« habe.

Die Empfänger der Anwaltspost sollen sich mit ihrer Unterschrift zum einen bei Androhung von 10 000 Euro Vertragsstrafe »für jeden Fall der Zuwiderhandlung« zum Entfernen des betreffenden Textes verpflichten. Zum anderen wird mit der Unterschrift eine Erstattung »der durch die Einschaltung der Kanzlei Wollmann & Partner entstandenen Kosten auf der Grundlage eines Gegenstandswertes von 50 000 Euro« in Höhe von 1 600,57 Euro pro Song fällig. Das sind im Falle der Seite song-suche.com rund 6 400 Euro. Deren Betreiber, Dennis Lassiter, hat angekündigt, »außer den 55 Cent Porto für die Rückantwort« nichts bezahlen zu wollen, und hat vorsorglich alle Texte von seiner Seite genommen. Das gilt auch für beinahe alle anderen Betreiber und Webmaster, die Songtexte auf ihren Seiten anboten.

Die Internetpräsenzen sind in vielen Fällen nicht kommerziell und werden von Fans und Hobbymusizierenden genutzt und beschickt. Pascal Tavanti, der für den Fall zuständige Rechtsanwalt bei Wollmann & Partner, erklärt der Jungle World, dass es in erster Linie um kommerzielle Websites gehe: »Es ist einfach nicht in Ordnung, urheberrechtlich geschützte Positionen zu verletzen, um damit Geld zu verdienen.« Kriterium für die Kommerzialität sei die Nutzung von Werbung oder Dialern auf den Seiten. Bei nachweislich nicht kommerziellen Anbietern sei man jedoch bereit nachzuverhandeln, dann »gehen die Kosten nach unten, je nachdem, was da gerade läuft«. Abgemahnt wurden anscheinend viele. Tavanti erzählt, er selber habe nicht recherchiert, sondern die Abmahnungen nach den Angaben seiner Auftraggeber veschickt.

Wer diese Auftraggeber sind, konnte er nicht verraten; er unterliegt der anwaltlichen Schweigepflicht. Auch der »Berater in musikalischen Fragen der Kanzlei Wollmann & Partner«, der namentlich unerwähnt bleiben möchte, antwortet auf die Frage nach den Initiatoren vage mit »die Rechteinhaber«. Dabei macht er im Gegensatz zu Tavanti keinen Unterschied zwischen kommerziellen und nicht kommerziellen Anbietern. »Die muss man erst mal gleichermaßen behandeln, weil der Rechtsverstoß derselbe ist.« Man könne sich allenfalls »auf der Kostenebene« einigen. Für ihn ist es klar, dass auf der einen Seite die Rechteinhaber stehen, auf der anderen Seite die Rechtsverletzer, denen er empfiehlt, »jetzt nicht radikale Gegenmaßnahmen zu treffen. Das würde sicherlich zu einer Eskalation der ganzen Geschichte führen, die der Sache aus deren Sicht nicht dienlich ist.« Auf die Frage, ob der Hinweis im Impressum, dass bei einer Beschwerde der betreffende Text gelöscht würde, nicht ausreiche, sagt der Berater: »Davon halte ich wenig. Das ist so ähnlich wie mit der Probefahrt von einem Auto. Wenn jemand hinterher das Auto nicht zurückbringt, soll dann der Autohändler noch sagen: He, das geht aber so nicht.« Man könne nicht einfach rechtsfreie Räume schaffen. Und davon gebe es im Netz zu viele.

Die von der Anwaltskanzlei verschickten Abmahnungen, die der Jungle World vorliegen, sind in einem deutlichen Ton gehalten. Die Bitte um eine mögliche Kontaktaufnahme oder ein Gesprächsangebot gibt es nicht. Stattdessen fordern die Anwälte die fristgemäße Zahlung des genannten Betrages und drohen im Verzugsfall mit sofortigen gerichtlichen Maßnahmen, »ohne weitere Vorankündigung«.

Der 16jährige Dennis Lassiter von song-suche.com sieht die Sache anders. Er erwägt, selber einen Anwalt in Anspruch zu nehmen, sollte nicht wenigstens der Gegenstandswert gemindert werden, »obwohl ich mir den Anwalt nur schwer leisten kann«.

Lassiter erzählt, dass Gerichte in ähnlichen Fällen zu Ungunsten der mahnenden Parteien entschieden hätten. In einem Urteil des Kieler Landgerichts vom Oktober 2004 heißt es beispielsweise, dass die Forderung nach Kostenerstattung von Anwaltsgebühren nur dann gerechtfertigt sei, wenn der oder die Geschädigte, in diesem Fall die Rechteinhaber der betreffenden Texte, nicht in der Lage ist, selber für sein oder ihr Recht zu sorgen. Zudem »erschließt sich dem Gericht nicht, warum die Abmahnungen nicht durch die in einem großen Unternehmen wie der Klagepartei in der Rechtsabteilung beschäftigten Hausjuristen erfolgen können«.

In dem zitierten Fall dreht es sich zwar nicht um Songtexte, die Sachlage ist jedoch vergleichbar. Zehn der Auftraggeber gehören zum Familienunternehmen Meisel, einem renommierten Musikverlag mit Sitz in Berlin; der elfte ist Teil von Sony Music. Bei beiden ist wohl davon auszugehen, dass sie über eine kompetente Rechtsabteilung verfügen.

Auf einigen Rechtsratgeberseiten im Internet findet sich zudem der Hinweis, dass seit einigen Jahren »Anwälte teilweise die Kostenerstattungsgarantie bei Abmahnungen zur eigenen Bereicherung nutzen«. Die »zu Unrecht oder rechtmissbräuchlich Abgemahnten« scheuten häufig wegen der Höhe der Forderungen das Kostenrisiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung. Es wird geraten, dass Betroffene von massenhaft versandten Abmahnungen sich koordinieren, um den Forderungen etwas entgegensetzen zu können.

Das ist im vorliegenden Fall geschehen. Die von den Abmahnungen Betroffenen haben eine »Interessengemeinschaft Songtexte« gegründet. Unter der Adresse song-suche.com/int kann die Forderung nach der »Legalisierung von Songtextseiten« mit einer Mitgliedschaft, der Beteiligung an einer Unterschriftenliste oder einem Brief an die Musikverlage unterstützt werden.