»Mein Vater war ein Mafioso«

Giovanni Impastato

Ein unabhängiges Kulturzentrum, ein unabhängiger Radiosender, Satire und Provokationen gehörten zu den Mitteln, mit denen Peppino Impastato in den sechziger und siebziger Jahren in Sizilien gegen die Mafia kämpfte. Als er im Mai 1978 von ihr umgebracht wurde, führten seine vor kurzem verstorbene Mutter Felicia und der jüngere Bruder Giovanni den Kampf fort. Es entstand ein unabhängiges Forschungs- und Dokumentationszentrum, dessen Vizepräsident Giovanni Impastato ist.

Mit ihm sprach Giuseppe Pitronaci.

Sind Sie durch Ihren Bruder zu einem politischen Menschen geworden?

Ich war im Kreis um Peppino und arbeitete bei dem Kulturzentrum und dem unabhängigen Radio mit. Aber ich gehörte nicht zu den Protagonisten. Peppino hat die anderen mitgerissen. Ihm gelang es, viele junge Leute einzubeziehen. Als er noch lebte, besaß ich nicht seinen Mut.

Haben Sie jetzt diesen Mut?

Ich habe sein Erbe angetreten. Nun muss man sagen, dass der Kampf gegen die Mafia nicht erst mit Peppino Impastato begonnen hat. Den Kampf gegen sie gibt es, seitdem es die Mafia gibt. Aber nicht alle sind so weit gegangen wie Peppino. Ich denke zum Beispiel an den 1980 ermordeten Präsidenten der Region Sizilien, Piersanti Mattarella. Auch er hat gegen die Mafia gekämpft, aber den eigenen Vater, der Verbindungen zu ihr hatte, hat er nie kritisiert. Später haben Giovanni Falcone oder Paolo Borsellino sicher wichtige Dinge getan. Aber sie waren Staatsanwälte und Richter, die vom Staat bezahlt wurden und ihre Pflicht erfüllten. Sie und andere Beamte haben Großes geleistet und dazu beigetragen, unsere Gesellschaft zu verändern.

Aber Peppino war anders. Er wurde von niemandem bezahlt; er war kein Abgeordneter, kein Senator, kein Vertreter der staatlichen Institutionen, sondern ein Radikaler, der sich gemeinsam mit den Leuten gegen die Mafia engagierte, die unter ihr litten. Er war der erste, der auch innerhalb seiner eigenen Familie den Bruch vollzog, einer Mafiafamilie übrigens. Mein Vater war ein Mafioso.

Warum gibt es so wenige radikale Brüche?

Weil die Kultur der Mafia tief in uns verankert ist. Das heißt nicht, dass es sonst nirgends auf der Welt kriminelle Organisationen gäbe oder alle Sizilianer Mafiosi wären. Aber unsere Denk- und Verhaltensmuster sind von der Mafia geprägt. Sie ist stark, weil sie sich auf eine bestimmte Kultur stützt. Bei uns herrscht keine Kultur des Legalen, sondern eine des Illegalen. In einer Gesellschaft aber, in der eine Kultur des Legalen herrschte und in der es keine Verbindungen zwischen der Staatsmacht und der Mafia gäbe, würde die Mafia von allein verschwinden. Die Mafia besteht aus Menschen. Wenn wir sie besiegen wollen, genügt ein Heer von Polizisten, Staatsanwälten und Richtern nicht. Sie wird mit einer Gegenkultur geschlagen.

Warum gibt es gerade in Sizilien diese starke »Kultur des Illegalen«?

Weil es die Mafia geschafft hat, einen Erneuerungsprozess in Italien und vor allem in Sizilien zu verhindern. Schon bei ihrer Entstehung in der Mitte des 19. Jahrhunderts ging es darum, dass bewaffnete Banden Großgrundbesitzer gegen Aufstände der Bauern schützten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielten viele Mafiosi Posten in der Politik und der Verwaltung. Damals gab es in Sizilien eine große Bauernbewegung, die gegen die Mafia und für eine Emanzipation kämpfte, aber von der Mafia niedergeschlagen. wurde. Damit begann das Unglück. Und dann kamen die 50 Jahre, in denen die Christdemokraten an der Regierung waren und nichts anderes taten, als die Kultur des Illegalen, der Begünstigungen und der Vetternwirtschaft weiter zu entwickeln.

Wie sehen Sie den Kampf gegen die Mafia seit den siebziger Jahren? War er erfolgreich oder ist er gescheitert?

Es gab wichtige Strafprozesse und Gesetze. Und nach den Morden an Borsellino und Falcone kam es zu einer großen Mobilisierung der Bürger. Aber seit einigen Jahren gibt es auch eine gegenläufige Tendenz. Denn nach der Inhaftierung von Salvatore »Toto« Riina im Jahr 1993 hat die Mafia ihre Strategie völlig geändert. Vom Gemetzel ist sie zum Untertauchen übergegangen. Es entstand eine lautlose Organisation, die weniger sichtbar ist als zuvor, aber dafür umso stärker. Sie hat es nicht mehr nötig zu töten.

Die Mafia ist heute das größte Wirtschaftsunternehmen Italiens und hat nach Angaben der Staatsanwaltschaft einen Jahresumsatz von 100 Milliarden Euro, doppelt so viel wie der Umsatz von Fiat. Wie konnte es dazu kommen?

Weil sie sich so gut ins wirtschaftliche und politische System einfügen konnte. Sie sucht den Dialog mit den offiziellen Institutionen. Und das scheint ihr zu gelingen. So hat der Minister für Infrastruktur, Pietro Lunardi, gesagt, dass man bei öffentlichen Bauprojekten mit der Mafia leben müsse. Ich befürchte, dass die Menschen resignieren, dass sie sagen: »Nun ja, die Mafia tötet niemanden mehr, sie macht ihre Geschäfte. Auch wenn es dreckige Geschäfte sind, das geht uns nichts an.« Wir müssen die Mafia bekämpfen, auch in einer Zeit, in der sie niemanden tötet, aber in der es ihr gelingt, ins Innere der Institutionen einzudringen.

Aber in Neapel sind in den vergangenen fünf Monaten 130 Menschen bei Kämpfen innerhalb der Clans ums Leben gekommen.

In Neapel und in Kampanien ist die Lage anders. Die dortige Camorra ist anders als die sizilianische Mafia, die Cosa Nostra. Die ist wie eine Pyramide aufgebaut, mit einem Boss und Unterbossen. Die Camorra hingegen ist horizontal gegliedert, mit vielen Gruppen und vielen Bossen. Sie geraten immer wieder aneinander und töten sich gegenseitig. Vor einigen Jahren hat Raffaele Cutolo mit allen Mitteln versucht, sie alle zusammenzubringen und die Camorra zu einer hierarchischen Organisation umzuformen. Er hat es nicht geschafft.

Die sizilianische Mafia verübt derzeit nur wenige Morde. Bernardo Provenzano, der seit 1963 als verschwunden gilt, ist der unangefochtene Boss. Ihm gelingt es, ein stabiles Gleichgewicht zwischen den Mafia-Organisationen zu halten.

Außerhalb Italiens ist die Mafia oft der erste Gedanke, der den Leuten zu Sizilien einfällt. Was antworten Sie darauf?

Die Leute haben ja nicht ganz Unrecht. Die Mafia ist in Sizilien entstanden, dort hat sie eine maßgebliche Rolle dabei gespielt, einen Wachstums- und Entwicklungsprozess zu verhindern. Es ist klar, dass die Menschen von außerhalb diese Gleichsetzung machen. Aber die Sizilianer sind nicht alle Anhänger der Mafia. Und ich kann Ihnen versichern, dass sie im Kampf gegen die Mafia einen hohen Preis gezahlt haben.

Man sieht Sie ohne Bodyguards. Haben Sie keine Angst?

Ich habe Angst, ich bin ja ein Mensch aus Fleisch und Blut. Aber nicht so sehr um mich. Viel größere Angst habe ich um meine Umgebung, um meine Kinder und meine Familie. Oft habe ich Schuldgefühle, weil ich mich dafür verantwortlich fühle, was ihnen passieren könnte. Die Mafia vergisst leider nicht. Wegen der Verbindungen mit der institutionellen Macht ist die Mafia immer in der Lage gewesen, sich ungehindert zu bewegen. Deshalb muss man sich mit viel Vorsicht engagieren, ohne den Helden zu spielen. Eine Gesellschaft, die Helden braucht, hat gewiss Probleme.

Ist die Mafia nicht mehr als bloß eine kriminelle Organisation?

Die Mafia ist nichts einfaches, aber es ist auch nicht so schwer, sie zu erkennen und sie zu verstehen. Das Problem ist , dass man dies immer verbergen möchte. So stellt man die Mafia als unbesiegbar dar. Aber das ist sie nicht.