Der zweite Tote

Weil er sich gegen den Hitlergruß verwahrte, musste ein Mann in Schwerte bei Dortmund sterben. von robert schwarz

Keine drei Wochen, nachdem ein Neonazi am Ostermontag in Dortmund einen Punk erstochen hat (Jungle World, 14/05), kommt es in Schwerte bei Dortmund zu einem weiteren Todesfall. Am 15. April trifft der 34jährige Christian W. in den Schwerter Ruhrwiesen auf eine Gruppe von Jugendlichen. Er grüßt mit »Heil Hitler«, der gleichaltrige Bochumer Arthur K. stellt ihn deshalb zur Rede. Nach einem Gerangel zückt W. ein Klappmesser und sticht fünf Mal auf sein Opfer ein, das innerlich verblutet.

Dennis* von der Antifa im nahe gelegenen Hagen kennt den Täter. »Der war bei uns auf einigen Punkkonzerten. Nachdem er da immer wieder durch aggressive Provokationen aufgefallen war, erhielt er im Kulturzentrum Pelmke Hausverbot«, erzählt er. Auch im Schwerter Kulturzentrum »Rattenloch« verhielt sich W. schon aggressiv. Bereits im Mai 2003 stach er einen anderen Besucher mit einem Messer in die Lende. Der Prozess gegen ihn wurde im Januar vertagt.

Wie die Westfälische Rundschau berichtet, sei der Mann schon einmal wegen eines Hitlergrußes aufgefallen und deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Der regen Neonaziszene der Region möchte Dennis ihn nicht zuordnen. Auch in einem Posting auf Indymedia von einem, »der den Täter seit Jahren kannte«, wird ein »rechtsradikaler Hintergrund« ausgeschlossen, W. sei ein gewaltbereiter Provokateur. Eine organisierte rechtsextreme Szene gibt es in Schwerte nach Angaben der Antifa in Unna auch nicht, dafür aber eine »subkulturelle Skinheadszene«.

Im nahe gelegenen Dortmund hingegen existiert ein rechtsextremes Milieu. »Die Dortmunder Neonaziszene ist in den letzten Jahren immer aktiver geworden und hat stetig und erfolgreich Nachwuchs angeworben«, heißt es in einer Stellungnahme von 37 Antifa-Gruppen aus Nordrhein-Westfalen zum Mord in Dortmund. Ihrer Einschätzung zufolge handelt es sich bei dem Personenkreis um die »Kameradschaft Dortmund«, die »Autonomen Nationalisten östliches Ruhrgebiet« und die Band »Oidoxie« um die derzeit »stärkste Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen« .

Eine junge Schwerterin sagt, dass sich die Jugendlichen in der Stadt, die 50 000 Einwohner hat, in allen Bereichen an Dortmund orientieren. »Hier ist gar nichts los, das ist ein absolut verschlafenes Ding. Dortmund ist das Zentrum«, sagt sie. Die Rechtsextremen sehen das wohl ähnlich.

Auch wenn W. anscheinend nicht dem rechtsextremen Milieu zuzurechnen ist und Dennis nicht beurteilen mag, wie gefestigt eine mögliche rechtsextreme Überzeugung des Täters sei, findet er: »Den Mord kann man durchaus als politisch bezeichnen.« Denn wie in Dortmund am Ostermontag habe ein Mensch dafür mit dem Leben bezahlt, dass er sich gegen Naziparolen wehrte.

Die Morde zeitigen nach Angaben von Thomas*, einem Mitglied der »Antifa United« in Unna, bereits Wirkung. »Ich habe mich schon mit mehreren Menschen unterhalten, die sagen, dass sie jetzt mehr Angst haben«, berichtet er. »Vor allem Ältere haben mir gesagt, dass sie eigentlich gegen Naziparolen einschreiten, es sich jetzt aber überlegen würden«, fügt er hinzu. Damit haben die Neonazis ein Ziel erreicht, das Axel W. Reitz vom »Kampfbund Deutscher Sozialisten« am 6. April im Internetforum des »Freien Widerstands« im Zusammenhang mit dem Mord von Dortmund formulierte: »Ansonsten scheint der anderen Feldpostnummer dank unserer Jungens und Mädels in Dortmund der Arsch auf Grundeis zu gehen.« Der Kölner, der seine Einträge mit einem Foto und einem Zitat des SA-Führers Ernst Röhm schmückt, freut sich: »Dortmund ist und bleibt eine einzige national befreite Zone.«

Nach Thomas’ Einschätzung tritt die dort ansässige Neonaziszene nach dem Mord vom Ostermontag mit ungebrochenem Selbstbewusstsein auf. »Ich habe schon mehrfach gehört, dass die in der U-Bahn anfangen, mit ihren Butterfly-Messern zu spielen, wenn sie einen Linken sehen«, erzählt er.

Für den Staatsanwalt Bernd Maas aus Hagen hat der Mord von Schwerte keinen politischen Hintergrund, wie er am Tag danach auf einer Pressekonferenz mehrfach betonte. Dennis hält diese Reaktion von staatlicher Seite für typisch. »Rechtsextreme Taten werden gerne heruntergespielt«, sagt er. Zu dieser Verschleierungstaktik passe, dass der Mord von Schwerte erst nach dem Ende zweier Demonstrationen in Essen am Tag danach bekannt gegeben wurde. Am 16. April zogen knapp 300 Neonazis unter dem Motto »Keine Waffen für Israel« durch die Stadt, etwa 1 000 Menschen protestierten gegen den Aufmarsch. Die Nachricht vom Mord hätte die Demonstrationen möglicherweise eskalieren lassen können.

Nicht nur staatliche Stellen bestreiten gerne den politischen Hintergrund von Straftaten, die von Neonazis begangen werden. Auch »SS-Siggi« Siegfried Borchardt, nach seinen eigenen Angaben ein »nationaler Sozialist im freien Widerstand« und laut Verfassungsschutz ehemaliger stellvertretender Bundesvorsitzender der 1995 verbotenen Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP), äußert sich dahingehend in einer Mitteilung auf der Homepage des »Aktionsbündnisses Westdeutschland«. Diese Vereinigung wurde vor einem Jahr von Neonazikadern aus den Regionen Dortmund, Köln, Hamm und Wuppertal und dem Sauerland gegründet, um »die Kräfte des freien Widerstandes auch im Rheinland-Westfalen zu bündeln und zu einer aktiven Kampfgemeinschaft zu formen«, wie es in einer Selbstdarstellung heißt.

Borchardt schreibt in seiner Mitteilung: »Auseinandersetzungen zwischen jugendlichen Gruppen gibt es immer und überall. Und nicht selten sind Todesopfer zu beklagen. Nur weil die Gegner zufällig oder vermeintlich auch noch andere politische Sympathien hegen, wird daraus noch lange kein Politikum.« Mit dieser Meinung steht »SS-Siggi« offensichtlich nicht allein da.

* Name von der Redaktion geändert.