Feindliche Übernahme

Gewalttaten von Neonazis gehören in Cottbus zum Alltag. Vor kurzem wurde ein Jugendzentrum überfallen. von charlotte elliot und luise pietsch

Der Cottbusser Stadtteil Sachsendorf bietet wenig Attraktives. Mehrspurige Straßen, bunt sanierte Neubaugebiete, Billigsupermärkte. Er ist das, was Plattenbausiedlungen in der Regel sind: trist und leer.

Wie ganz Cottbus verfügt auch Sachsendorf mit seinen Kneipen, Tankstellen, großen Plätzen und Bushaltestellen über diverse Treffpunkte für rechte Jugendliche. All das hat Geschichte. Wie in anderen ostdeutschen Städten kam es dort zu Angriffen auf Migranten und das Asylbewerberheim. In den neunziger Jahren blühte der Rechtsextremismus, der der Stadt und insbesondere dem Stadtteil Sachsendorf einen einschlägigen Ruf bescherte.

In der kulturellen Ödnis, die für derartige Stadtteile typisch ist, wurde, finanziert von der Stadt, in den neunziger Jahren ein Veranstaltungsort ins Leben gerufen, der zum Treffpunkt für linke Jugendliche wurde. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und nach mehr oder weniger organisierten Angriffen der örtlichen rechten Szene konnte sich der »Klub Südstadt« im Laufe der Jahre etablieren. Von Vorteil war dabei immer der pluralistische Anspruch der Betreiber. Er zeigte sich insbesondere kurz vor der Schließung im Jahr 2003, als stadtbekannte Neonazis, die sonst Konzerte in Cottbus veranstalteten und sich an Angriffen auf die Band Mother’s Pride beteiligten, dort ein und aus gingen oder teilweise gar als Sicherheitspersonal engagiert wurden.

Da blieb wenig von der hoch gelobten »Stadtteilkulturpolitik«. Streichungen im Haushalt taten ein Übriges, woraufhin das Kulturamt dem »Klub Südstadt« die Unterstützung entzog. Die Räume wurden dem bereits seit sechs Jahren existierenden Verein »Fragezeichen« überlassen. Er hatte von Beginn an das Konzept, in Sachsendorf Angebote für eine andere, selbstbestimmte linke Stadtteil- und Kulturpolitik zu machen und so den Jugendlichen Alternativen zu bieten.

Seitdem organisierten die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Vereins zahlreiche Veranstaltungen, Konzerte, Partys etc. und entwickelten das »Fragezeichen« zu einem dezidierten Ort der Gegenkultur in der Sachsendorfer Tristesse.

Am 14. Mai 2005 plante der Verein gemeinsam mit der örtlichen Antifa und dem Berliner Antifaschistischen Pressearchiv eine Informationsveranstaltung, der sich ein Konzert anschließen sollte. Als sich gegen 17 Uhr die ersten Gäste einfanden, waren darunter auch zwei dem rechten Spektrum zuzuordnende Personen. Eine von ihnen war der szenebekannte Neonazi Marcel Forstmeier. Der 25jährige ist seit Jahren im südlichen Brandenburg aktiv. Unter anderem outete er sich in einer Talkshow des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) zum Thema »Was tun gegen rechte Gewalt?« als Nationalist. Darüber hinaus ist er nach Angaben der Lausitzer Rundschau für den Internetauftritt der »Bewegung Neue Ordnung« verantwortlich, die sich zum Teil aus ehemaligen Anhängern der NPD zusammensetzt, denen die Partei zu »multikulturell« geworden ist. Auch mischen dort ehemalige Angehörige der »Gesinnungsgemeinschaft Süd-Ost Brandenburg« mit, die mit der Verteilung von CDs mit rechtsextremistischem Inhalt auf sich aufmerksam machte.

Als den Rechten am Samstag der vergangenen Woche der Zutritt zum »Fragezeichen« verwehrt wurde, riefen sie per Handy Verstärkung. Wenige Augenblicke später stürmten 20 zum Teil vermummte rechte Schläger die Räume und schlugen und traten wahllos auf die Jugendlichen ein. Sie zerstörten Instrumente und andere Teile des Equipments der Bands. Nur wenige Minuten später verließen sie den Ort. Drei Besucher mussten sich anschließend in ambulante Behandlung begeben. Der Angriff kann als der gewalttätigste in den vergangenen Jahren in Cottbus bezeichnet werden.

Besonders in den letzten Monaten kam es wiederholt zu Attacken auf Migranten und ausländische Studenten, vor allem in den Abendstunden und in öffentlichen Verkehrsmitteln. So wurde am 8. Mai ein 57jähriger Inder in einem Nachtbus von zwei Männern in rassistischer Weise beleidigt, verfolgt und zusammengeschlagen. Nur zwei Tage vorher schlug ein Deutscher in einer Diskothek einem 26jährigen Studenten aus Kamerun ins Gesicht. Anfang April wurde ein 16jähriger afghanischer Jugendlicher ebenfalls in einem Nachtbus von vier Männern beschimpft und mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Auch nicht rechte Jugendliche sind verbalen, aber auch physischen Attacken ausgesetzt. Seit Jahren kommt es, vor allem in den wärmeren Monaten, im Cottbusser »Puschkinpark«, einem Treffpunkt der örtlichen Punkszene, zu Angriffen in der Absicht, nicht nur Einzelne zu verletzen, sondern die Gruppen ganz aus diesem innerstädtischen öffentlichen Raum zu vertreiben.

Beobachtungen der lokalen Antifa zufolge nahmen die Neonazis aus Cottbus an diversen überregionalen rechtsextremen Veranstaltungen teil. Sie fuhren zum so genannten Heldengedenken nach Halbe, zu Demonstrationen nach Leipzig und Berlin, organisierten wiederholt Kranzniederlegungen zum Jahrestag der Bombardierung von Cottbus und beteiligten sich im Jahr 2004 als »Kameradschaft Cottbus« an Anti-Hartz-Demonstrationen.

Wie gut sie organisiert sind, stellten sie öffentlich bereits im Dezember 2003 unter Beweis, als an der ersten rechten Demonstration in Cottbus unter dem Motto »Keine EU-Osterweiterung! Deutsche Arbeitsplätze erhalten und neue schaffen!« ca. 150 Neonazis teilnahmen.

Allerdings sind derartige Veranstaltungen nicht unbedingt notwendig, um die regionale Bedeutung der rechten Szene zu veranschaulichen. Im Alltag der Stadt sind rechte Codes und die, die sie benutzen, allgegenwärtig. Der Verfassungsschutz und die Polizei observieren das rechte Milieu. Derzeit ermitteln sieben Beamte des Staatsschutzes gegen die Täter des Überfalls auf das Jugendzentrum. Elf von ihnen konnten bisher gefasst werden.

Der Trägervein des »Fragezeichen e.V.« bittet wegen des entstandenen Sachschadens von 3 500 Euro um Spenden. Fragezeichen e.V., Konto: 313 10 76, BLZ: 120 965 97

Am 28. Mai organisiert die Antifa Cottbus eine Demonstration, um 14 Uhr, Stadthalle Cottbus.