Glut und Asche

Der Staat verdient kräftig an Tabakwaren und schikaniert trotzdem die Raucher und die Industrie. Aber es gibt Alternativen. von melis vardar

Der bürgerliche Staat ist dazu da, die Bedingungen zu schaffen und zu sichern, unter denen aus Kapital mehr Kapital wird. Erst der bürgerliche Staat formt die Interessen der Einzelkapitale und Kapitalfraktionen zu einem kapitalistischen Gesamtinteresse und garantiert und sanktioniert das Eigentum, den Vertrag, den Handel etc. Zugleich muss er immer wieder gegen einzelne Unternehmen und Branchen vorgehen. Denn während diese um den Preis ihres Untergangs stets den höchstmöglichen Profit anstreben müssen, muss der Staat dafür sorgen, dass auch die Klasse der Lohnabhängigen etwas vom gesellschaftlichen Reichtum abkriegt und so ihre Reproduktion gewährleistet ist.

Mag die Formel aus dem »Kommunistischen Manifest« arg verkürzend sein, enthält sie doch den Grundgedanken aller marxistischen Staatstheorie, dass nämlich der Staat der Gegenwart dem Kapital nichts Äußerliches ist: »Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet.«

Was das alles mit dem Thema Rauchen zu tun hat? Die staatliche Politik gegenüber der Tabakindustrie ist nicht unbedingt dazu geeignet, derlei staatstheoretische Annahmen zu bestätigen, im Gegenteil. Mag sonst die Regel gelten, dass eine Partei, die nicht »Wirtschaftsförderung« und »Arbeitsplätze« verspricht, erst gar nicht bei Wahlen anzutreten braucht, scheinen für die Tabakindustrie andere Grundsätze zu gelten – obwohl nach Angaben des Verbands der Cigarettenindustrie allein in Deutschland 9 000 Menschen direkt und rund 90 000 indirekt in der Branche beschäftigt sind, die einen Gesamtumsatz von 20 Milliarden Euro verzeichnet.

Auch wenn Deutschland im internationalen Vergleich als Land des – horribile dictu – ungehemmten, öffentlichen Genusses bezeichnet werden kann, geht es auch hierzulande nicht nur dem Raucher an den Kragen, sondern ebenso der Tabakindustrie. Im Fernsehen und Radio darf schon lange nicht mehr für Tabakprodukte geworben werden, bis zum Juli will die Bundesregierung gemäß einer Ende 2002 von der EU beschlossenen Richtlinie die Werbung in Zeitungen, Zeitschriften, im Internet und auf großen Sportveranstaltungen verbieten. Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) erwägt, Zusatzstoffe wie Kakao, Lakritze und Rum zu verbieten, von denen bislang kaum jemand wusste, dass sie in den Zigaretten enthalten sind und von denen die Ministerin vermutet, dass sie den Einstieg erleichtern. Auch in Deutschland schützt selbst eine langjährige Firmenzugehörigkeit nicht davor, dass einem wegen eines Verstoßes gegen ein betriebliches Rauchverbot »verhaltensbedingt« gekündigt wird. Krankenkassen wollen von Rauchern höhere Versicherungsbeiträge kassieren. Schließlich dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis das Rauchen in Bars und Restaurants hier ebenso untersagt wird wie in den USA, in Italien oder neuerdings auf Kuba.

Nicht zuletzt wird das Zeug immer teurer: Zwischen 3,60 und 4,15 Euro kostet derzeit eine Packung Markenzigaretten, rund drei Viertel davon streicht der Staat ein, über die Mehrwertsteuer, vor allem aber über die Tabaksteuer. In einer Reihe anderer EU-Staaten sind der Staatsanteil und der Verkaufspreis noch deutlich höher.

Versuchen Sie mal, ein Produkt zu verkaufen, für das Sie nicht werben dürfen, das wegen der vielen Steuern unverschämt teuer ist, dessen gewöhnungsbedürftigen Geschmack Sie nicht ein wenig nachwürzen dürfen und dessen Nutzen, nun ja, fragwürdig ist.

Ungeachtet aller Schikanen, die der Staat den Rauchern und der sie versorgenden Industrie auferlegt, ist das Rauchen für ihn ein gutes Geschäft. Nach der Mineralölsteuer ist sie die einträglichste spezielle Verbrauchssteuer. 13,6 Milliarden kassierte der deutsche Staat im vergangenen Jahr, die nächste Steuererhöhung von 1,4 Cent pro Zigarette ist für den 1. September beschlossen. Und die übernächste kommt gewiss, wie jede Raucherin schicksalsergeben weiß. Doch die Steuererhöhungen der letzten Jahre dürften ganz erheblich dazu beigetragen haben, dass die Einnahmen erstmals seit Jahren zurückgegangen sind. 2003 waren es noch 14,1 Milliarden Euro.

Weil ein immer größerer Teil des Taschengelds für die Kippen draufginge, sinkt der Anteil der jungendlichen Raucher. Süchtige wechseln zu Drehtabak, für den niedrigere Steuersätze gelten; andere hören ganz auf oder steigen auf preisgünstige, aber nicht legale Angebote um.

Und die sind eigentlich eine feine Sache, für die Konsumenten wie für die Industrie. Der Schmuggelhandel hat längst Dimensionen angenommen, die den Verdacht nahe legen, dass die Ware nicht vom Lastwagen fällt, sondern die Hersteller selbst beteiligt sind. Den Ermittlungsbehörden zufolge funktioniert der Trick so: Aus Deutschland oder anderen westeuropäischen Staaten werden große Mengen unversteuerter Zigaretten nach Osteuropa exportiert, anschließend wird das Zeug illegal zurückgebracht. In Staaten wie Montenegro steht nahezu die gesamte politische Klasse im Verdacht, an den illegalen Geschäften beteiligt zu sein.

Erst vor zwei Wochen verständigte sich der Reemtsma-Konzern (»West«) mit den Steuer- und Zollbehörden, gegen die Zahlung von knapp sieben Millionen Euro einen Teil des Strafverfahrens wegen Schmuggels und Geldwäsche einzustellen. Der Konzern soll in die russische Enklave Kaliningrad, wo knapp eine halbe Million Menschen lebt und Reemtsma einen bescheidenen Marktanteil hält, Milliarden von Zigaretten geliefert haben. Eine ähnliche Einigung erfolgte im vergangenen Jahr zwischen der EU-Kommission und dem US-amerikanischen Konzern Philip Morris (»Marlboro«), der 1,25 Milliarden US-Dollar an die EU zahlte. Das Verfahren wegen Zigarettenschmuggels gegen Japan Tobacco (»Camel«) läuft weiter. Elf Milliarden Zigaretten sollen im Jahr 2003 nach Deutschland geschmuggelt worden sein, während im selben Jahr 132 Milliarden legal verkauft wurden.

Dummerweise sind die Zeiten vorbei, in denen man, insbesondere in Berlin, bequem die Schmuggelware auf der Straße kaufen konnte. Der Kauf beim Vietnamesen im S-Bahnhof war nicht nur billiger, sondern irgendwie politisch korrekt. Nicht deshalb, weil Steuerhinterziehung revolutionär wäre, sondern weil Dutzende deutscher Kommissare im Fernsehen und Manfred Kanther und die Nazis in der Realität ihnen das Leben schwer machten. Inzwischen werden die Zigaretten über das Internet oder in Bars vertrieben, und mit einem bisschen Glück und Glaubwürdigkeit kann man sich die Mobilnummer eines Lieferanten besorgen, der die günstigen Kippen nach Hause liefert. Nur auf die freie Markenauswahl muss man verzichten.

Doch auch das Flair des Illegalen und Verruchten wird nichts daran ändern, dass das Rauchen sein einstiges Image verloren hat. Nicht nur die hysterische Nichtraucherkampagne ist eine ursprünglich amerikanische Erfindung, auch der Tabak selbst sowie die kulturellen Bedeutungen, die dem Rauchen zugewiesen wurden, kamen aus den USA. Im Mundwinkel eines James Dean oder Humphrey Bogart wurde die Zigarette zum Ausdruck romantischer Rebellion, durch europäische Intellektuelle wie Jean-Paul Sartre wurde sie zu einem Artefakt der geistigen Kontemplation. Die bürgerliche Gesellschaft von heute benötigt beide Mythen nicht mehr. Nicht mal mehr die Kippe danach.