Generation Erlebnis

In Büchen bei Hamburg feierte die »Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehem. Waffen-SS« ihr 55. Jubiläum. von jan raabe und andreas speit

Wir halten nicht die Reden und singen nicht die Lieder, die sie erwarten«, sagte Franz Schmitz. Überhaupt sei der »große Appell« der »Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS« (Hiag) bloß eine Vereinssitzung. »Wir feiern nur unser 55. Jubiläum«, erklärte der langjährige erste Vorsitzende des Landesverbands Hamburg der Hiag. Zuvor hatte der rüstige ältere Herr gemeinsam mit älteren SS-Kameraden und jüngeren Burschenschaftlern sich bemüht, mit Schubsen und Treten unliebsame Journalisten vom Gelände des Ausflugslokals »Waldhalle« zu entfernen.

Über 300 ehemalige Angehörige der SS kamen am Samstag in dem Lokal in Büchen nahe Hamburg zusammen. Der Veranstalter, die Hamburger Hiag, hatte versucht, den Ort der Versammlung am 28. Mai geheim zu halten. Die teils aus Österreich und Belgien angereisten Herren und Damen wollten unter sich bleiben. Umso verärgerter schimpfte ein Veteran: »Für euch haben wir gekämpft!« Ein ehemaliger Angehöriger der SS-Totenkopfdivison log: »Auf das deutsche Reich, nicht auf den Führer waren wir eingeschworen«, und betonte: »Wir kämpften, wo man uns hinstellte.« Auf die Frage, wo sie eingesetzt waren, antworteten sie auch immer wieder: »Im Westen.« Vom Holocaust, da waren sie sich alle einig, wussten sie nichts. »Da wird ja viel erzählt«, meinte ein ehemaliger SSler. Berichte über die Verbrechen der SS sehen sie als Verleugnung und Verunglimpfung ihres »opferreichen Kampfes«.

Im Saal des Ausflugslokals mit Schießstand saßen aber nicht nur ältere Damen und Herren. Vor der Bühne standen Burschenschaftler in voller Kluft, Säbel und Fahnen präsentierend. Sie einte die Vorstellung, dass die SS, wie es Schmitz einmal ausführte, »dem Überfall der roten Armee durch unseren Angriff zuvorkam und dadurch Europa vor dem Bolschewismus bewahrte«. Unter Applaus erzählte er am Samstag, welchen Einfluss die Hiag in den ersten Jahren der Bundesrepublik hatte. Zwischen den weiteren Reden und Grußworten spielte die »beliebte Fünf-Mann-Hauskapelle«, wie sie bei der Hiag genannt wird.

Zur »Großen Armee abberufen«, wie der Tod in diesen Kreisen heißt, wurde jedoch inzwischen der Ehrenvorsitzende, der SS-Brigadeführer und Generalmajor der Waffen-SS Otto Kumm. Im Jahr 2000 zum 50. Jubiläum am selben Ort war er noch dabei. Über »400 Kameradenfrauen und Kameraden« der Waffen-SS kamen damals zusammen und schworen sich auf ihr Motto ein: »Ehre, Treue, Kameradschaft ist weiter unser Ziel.« Mit Kumm verstarb ein wichtiger Aktivist, er hatte 1948/49 in Hamburg die erste Landesgruppe der Hiag gegründet. Das »Vorbild unserer Jugend«, wie ihn 2004 das Hiag-nahe Magazin Der Freiwillige nannte, baute mit alten Kameraden ab 1950/51 die Hiag zur bundesweiten Organisation aus.

Dass in den Nürnberger Prozessen 1946 die SS und die Waffen-SS als verbrecherische Organisationen verboten und die Bildung von Nachfolgeorganisationen untersagt wurden, störte dabei nicht. Bis in die sechziger Jahre saßen ihre Interessenvertreter in allen größeren Parteien sowie in den Soldaten- und Traditionsverbänden. Der Kalte Krieg, die Gründung der Bundeswehr und nicht zuletzt das Wählerpotenzial von 900 000 ehemaligen SS-Angehörigen dürfte ihren politischen Spielraum erweitert haben. So bemühte sie sich, die Verurteilung von SS-Verbrechern zu verhindern und die Renten- und Versorgungsleistungen für SS-Angehörige durchzusetzen.

Erst in den achtziger Jahren stellten CDU-Bundestagsabeordnete ihre Tätigkeit für die Hiag ein, und die SPD fällte einen Unvereinbarkeitsbeschluss. Die Funktionäre lösten 1992 den Bundesverband auf, doch einzelne Landesverbände blieben bestehen.

Um den Geist der »europäischen Freiwilligenarmee« zu erhalten, wurde mittlerweile aus dem Umfeld der Hiag die Lehr- und Forschungsgemeinschaft »Europa Erbe« gegründet. Enge Beziehungen bestehen zu der Kriegsgräberstiftung »Wenn alle Brüder schweigen« und zu dem Verband deutscher Soldaten e.V. (VDS). Die Bundeswehr kündigte im vergangenen Jahr die offizielle Zusammenarbeit mit dem VDS wegen der rechten Verbindungen auf. Doch das ist kein Hindernis für einen Bundeswehrangehörigen, zum Hiag-Jubiläum anzureisen.

Nachdem die Hilfsgemeinschaft in den letzten Jahrzehnten erfolgreich die soziale Sicherung der SSler erkämpfte, streitet sie vermehrt um das politische Geschichtsverständnis. Der Hamburger Landesverband führt monatlich ein Treffen in einem »Vereinslokal« durch. Jedes Mal kämen über »80 Kameraden«, erzählte Schmitz stolz den Gästen. Regelmäßig, so sagte er weiter, führe der Verband – der in der Hansestadt als gemeinnützig anerkannt ist – Tagesausflüge und Auslandsreisen durch. In Ungarn und Lettland, berichtete Der Freiwillige, gedachten sie ihrer gefallenen Kameraden. In Vahrendorf bei Hamburg erinnern alljährlich über 100 Hiag-Aktivisten auf dem Ehrenfriedhof an ihre beerdigten SS-Kameraden.

Die Hiag leistet aber auch praktische Solidarität. Zwar erhalten die Mitglieder der »lettischen Freiwilligenlegion« seit Jahren Gelder aus dem deutschen Versorgungsgesetz, dennoch sammeln die deutschen Waffenbrüder für die lettischen SS-Männer. Als der SS-Verbrecher Friedrich Engel aus Hamburg in die Revision gegen seine Verurteilung ging, bat Der Freiwillige um »sachdienliche Hinweise« für die Verteidigung.

Längst bestehen gute Beziehungen zwischen der Hiag und den »Freien Kameradschaften«. Gerne laden die militanten Neonazis die »Angehörigen der Erlebnisgeneration« als Redner bei den Aufmärschen, fahren gemeinsam mit ihnen zu den alten Schlachtfeldern und schreiben im Freiwilligen. In dem Organ schalten auch die Hamburger »Burschenschaft Germania« und die »Pennale Burschenschaft Chattia« Anzeigen für ihre Veranstaltungen.

Der Hamburger Verfassungsschutz (VS) beobachtet diese Annäherung kaum. »Die Hiag wird nicht mehr systematisch beobachtet«, erklärte Manfred Murck, stellvertretender Leiter des VS.

Mit dem vertrauten Signal »Soldaten müssen schlafen gehen« müsste am Abend die Veranstaltung zu Ende gegangen sein. Auch die Betreiberin der Waldhalle dürfte zufrieden gewesen sein. »Mir ist egal ob rot, braun oder grün kariert.« Sie freue sich über jede größere Gruppe in dieser »schwierigen Zeit«, da Steuern und Abgaben sie plagen.