Dem Kanzler ist unwohl

Ein Komplott der SPD-Linken soll Schröder dazu gebracht haben, Neuwahlen anzustreben. Aber wo stecken sie bloß, die Abtrünnigen? von jesko bender

Gerade schien sich der politische Wirrwar wieder zu ordnen, der der Ankündigung vorgezogener Bundestagswahlen gefolgt war. Die Sozialdemokraten hörten auf, die Grünen für das Elend der Regierung verantwortlich zu machen, und die zunächst heftig umstrittene Senkung der Körperschaftssteuer wurde in trauter Einheit von der rot-grünen Koalition in den Bundestag eingebracht. Kurz, man fühlte sich wie fast immer in den sieben Jahren unter der rot-grünen Regierung. Aber dann das: Gerhard Schröder habe die Bundestagswahl vorgezogen, weil er »ein erhöhtes Erpressungspotenzial in der Fraktion und in der Koalition« zu spüren meinte, beauptete der Spiegel.

Diese Aussage will das Magazin von einem Teilnehmer des Gesprächs zwischen Schröder und dem Bundespräsidenten Horst Köhler erfahren haben. Demnach habe Schröder seine persönlichen Gründe genannt, warum er Neuwahlen anstrebe. Weil die Kritik an seiner Politik immer schärfer werde, sei die Regierungsmehrheit instabil geworden.

In der offiziellen Begründung wurden dagegen bisher vor allem demokratische Überlegungen angeführt. »Wir wollen jetzt wissen, ob die Menschen bereit sind, unsere Politik auch weiterhin zu unterstützen«, hatte Schröder der Zeit erklärt. Das bedeute freilich, dass »nicht über meine Zukunft, sondern über die Zukunft der Politik« abgestimmt werden solle. Gerade angesichts des Patts zwischen Bundestag und Bundesrat, das nach der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen eintrat, sei dies nötig geworden.

Sicherlich hätte es nach der Landtagswahl einen heftigen Streit über die politische Ausrichtung der SPD gegeben. Ausgerechnet in Nordrhein-Westfalen eine so deutliche Niederlage einstecken zu müssen, war nicht nur für die »linken« Sozialdemokraten ein Schock. Hätte die SPD trotzdem weiter für die Agenda 2010 werben sollen? Wolfgang Clement zeigte sich wenig zuversichtlich: »Es wäre fraglich gewesen, ob man in der Lage gewesen wäre, über 15 Monate hinweg den eigenen Laden zusammenzuhalten.«

Nach Schröders Coup sieht die sozialdemokratische Welt wieder ein bisschen heiler aus. Das angebliche Erpressungspotenzial ist zum Meinungspluralismus geworden, der in demokratischen Parteien zwar gemeinhin herrscht, jedoch stets konsequent der Disziplin untergeordnet wird. Inzwischen will keiner mehr Schröder das Misstrauen aussprechen. Möglicherweise wollten seine Gegner so seine »Absicht konterkarieren«, vermutet Schröder. Folgt man dieser Sichtweise, so baut der »linke Flügel« der SPD permanent eine Falle für den Kanzler.

Betrachtet man sich diese Linken allerdings genauer, so fragt man sich, was an dieser Vermutung dran sein soll. Kurz nach der Ankündigung der vorgezogenen Wahlen zogen Sprecher der Linken in der SPD, Andrea Nahles und Michael Müller, vor die Presse und erklärten, sie unterstützten Schröders Reformpolitik. Auch die auf dem »Jobgipfel« vereinbarte Senkung der Körperschaftssteuer stellte für die Linken keineswegs einen Anlass für einen Bruch dar. Müller verwies darauf, dass es in den vergangenen Jahren wesentlich bedeutungsvollere Streitigkeiten gegeben habe, und trotzdem sei immer wieder eine Mehrheit zustande gebracht worden. »Bei diesem Punkt wäre dies eher eine leichtere Übung gewesen«, sagte Müller. In Zahlen ausgedrückt heißt das: 29 Mal ging es in sieben Jahren um eine Kanzlermehrheit, und 29 Mal waren genug Abgeordnete auf seiner Seite. Die SPD-Linke stimmte bisher jedem halbwegs strittigen Vorhaben zu. Kosovo-Krieg, Afghanistan-Krieg, Hartz IV – wer soll denn eigentlich diese SPD-Linke sein, von der Schröder seine Regierungsmehrheit in Frage gestellt sieht?

In der vergangenen Woche demonstrierte die Koalition eindrücklich, wie Vorhaben von Schröder, die heftig kritisiert werden, in die Regierungspraxis übersetzt werden. Die Senkung der Körperschaftssteuer von 25 auf 19 Prozent galt wenige Tage zuvor noch als möglicher Auslöser für einen Bruch der Koalition, ganz sicher aber als geeignetes Thema für eine Vertrauensfrage Schröders, mit der er scheitern könnte. Es hatte vehemente Kritik wegen der fehlenden Gegenfinanzierung gegeben, besonders von den Grünen. Als Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) im Koalitionsausschuss mit seinem Rücktritt gedroht haben soll, einigten sich die SPD und die Grünen jedoch schnell auf ein gemeinsames Vorgehen und stellten den Gesetzesentwurf am Donnerstag voriger Woche geschlossen im Bundestag vor.

Andrea Nahles weist jeden Vorwurf des Misstrauens gegenüber Schröder weit von sich. »Wenn man ein paar Diskussionen hat, dann heißt das nicht automatisch, dass das ganze Vertrauen schwindet«, sagte sie dem Fernsehsender N24. Deswegen müsse man sich um Schröder »keine Sorgen machen«.

Daran werden auch die jüngsten Forderungen der Linken unter den Sozialdemokraten nichts ändern. Ottmar Schreiners Vorschlag, mit einer Besteuerung von Vielverdienern in den Wahlkampf zu ziehen, klingt äußerst moderat, wenn man annimt, dass die Sozialdemokraten derzeit angeblich unvereinbare politische Richtungskämpfe führen. »Man kann doch nicht ständig darüber jammern, wie schamlos sich manche Manager selbst bedienen und ihnen durch die fortgesetzte Absenkung des Spitzensteuersatzes noch Geschenke hinterherschieben«, sagte der Vorsitzende der Arbeitnehmervereinigung in der SPD.

Die Meinung Schreiners passt gut zu Franz Münteferings Heuschrecken-Rethorik, abgesehen davon, dass diese dagegen geradezu revolutionär klingt, wenn auch eher im nationalen Sinne. Von einem geplanten »politischen Attentat« der Linken auf Gerhard Schröder, welches der Spiegel in seinem vorletzten Heft prophezeite, ist nicht viel zu bemerken. Folgt man der Argumentation des Magazins, dann gerade deswegen, weil Schröder Neuwahlen ankündigte.

Auch Oskar Lafontaines Austritt aus der Partei rang niemandem mehr als ein mitleidiges Lächeln ab. Ihm werden wohl keine weiteren prominenten Sozialdemokraten folgen. Schreiner, dem man das am ehesten zugetraut hätte, erklärte kurz nach Lafontaines Abgang, er werde weiterhin in der SPD bleiben. Er sei zuversichtlich, dass die SPD mit einem sozialdemokratischen Profil in den Wahlkampf ziehen werde.

Weil die Regierungsparteien ahnen, dass ihnen lange Jahre der Opposition bevorstehen könnten, machen sie, aller Unstimmigkeiten und Vorwürfe zum Trotz, so weiter wie bisher. 49 Gesetze will die Bundesregierung in den nächsten drei Wochen noch verabschieden.

Die disziplinierende Wirkung, die Schröders Vorgehen hat, zeigt sich bereits jetzt. Schon diskutieren die von ihm enttäuschten Sozialdemokraten über die richtigen Wahlkampfkonzepte. Die Debatte über das Selbstverständnis der Partei ist vertagt. Wirklich abtrünnig geworden wären die linken Sozialdemokraten ihrem Kanzler wahrscheinlich ohnehin nicht. Müntefering brachte es auf eine Formel, die wohl noch immer den meisten Sozialdemokraten aus dem Herzen spricht: »Opposition sein ist Mist.«