»Ich kann so sein, der Papst kann es nicht«

Helge Schneider
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Der 1955 in Mülheim an der Ruhr geborene Musiker, Filmemacher und Autor brachte 1989 seine erste Schallplatte heraus, die den Titel trug: »Seine größten Erfolge«. Ein Jahr später folgte das Album »New York, I’m Coming«. Bekannt wurde Helge Schneider aber erst 1994 mit dem Anti-Schlager »Katzeklo«. Er gab sich die Berufsbezeichnung »singende Herrentorte«, um zu vermeiden, dass Journalisten ihn als Kabarettisten bezeichnen. Als im Sommer 2004 sein 17jähriger Kater Fritz, der in »Katzeklo« besungen wird, aus einem Fenster im vierten Stock eines Berliner Mietshauses fiel, nahm die Öffentlichkeit an dem traurigen Ende des Haustieres regen Anteil.

Das Interview führte Max Dax.

Helge Schneider, Sie sind Komiker, Musiker, Schauspieler, Filmregisseur – und Romanautor. Sie leben seit Jahren in positiver Hinsicht vor, was heute negative gesellschaftliche Realität ist: flexibel sein zu müssen.

Ich habe für meine Flexibilität gezahlt. Ich wurde den Disziplinen nur gerecht, weil ich dafür vieles opferte. Familie und so. Kinder auch. Film- und Schallplattenaufnahmen involvieren einen als Künstler unbarmherzig. Nur wenn ich ein Buch schreibe – auch wenn es sich wie bei »Globus Dei« um den Reisebericht einer Weltreise handelt –, dann kann ich zu Hause sein.

Sie nutzen Freiheiten, die Ihr Beruf Ihnen bereithält. Haben Sie sozusagen einen krisenfesten Beruf gewählt?

Klar, das hat viel mit der Berufswahl zu tun. Ich kann so sein, der Papst kann nicht so sein. Ich lebe in einer Gesellschaft, in der ich die Freiheit habe, das Leben eines Künstlers führen zu können. Deswegen kann man den Papst und mich ja auch nicht vergleichen. Der Papst ist ein Beruf. Wie Schweißer. Künstler ist kein Beruf. Nichts gegen Berufe. Ich mache manchmal auch gerne einen Beruf. Aber meistens bin ich Künstler, also Leben.

Der Zwang zur Flexibilität, der den Menschen in diesen Zeiten zugemutet wird, ist oft nichts anderes als Ausbeutung.

Die Gesellschaft versucht vor allem, unsere Souveränität in Frage zu stellen. Egal, wo man geht und steht. Das kommt noch vor der geforderten Flexibilität. Doch machen wir uns nichts vor: Der Mensch, auch der ausgebeutete, ist unvollkommen, und er legt in der Regel ein noch plumperes Verhalten an den Tag, sobald es darum geht, was andere Menschen von ihm denken. Dann versucht er, vor denen gut da zu stehen. Dabei freut sich der Mensch viel mehr, wenn er in die Natur geht. Aber das verdrängt er in der Regel.

Genau darum scheint es in Ihrem neuen Roman »Globus Dei« zu gehen: Sie berichten in der Form eines surrealen Abenteuerromans von einer angeblich unternommenen Weltreise. Ist das Ihre Botschaft? Weg von der kapitalistischen Gesellschaft? Hin zur Natur?

Hmmh. Ich schreibe ja einfach drauflos. Ich denke mir da nichts dabei. Und dann kommt plötzlich der doofe Bär um die Ecke. Der wird dann nicht aus der Erzählung gestrichen. Oder in New York: Die Fußgängerampel ist rot, und ich bleibe stehen. Als einziger. Alle anderen gehen bei Rot über die Ampel. Ich beschreibe mich in meinem neuen Buch in vielen Situationen als minderwertig gegenüber anderen Menschen, etwa weil ich eine andere Frisur als diese habe.

Formal driftet Ihr neues Buch nicht mehr so oft wie in der Vergangenheit in Verlegenheitsabsurditäten ab. Ihre Geschichten sind zwar nach wie vor surreal, aber geradezu philosophisch erzählt.

Es ist natürlich etwas ganz anderes, einen Bericht über eine Reise als einen Kriminalroman zu schreiben. In einem Roman ist ja alles erfunden. Während eine Reise, selbst wenn sie sich nur im Kopf abspielt, nicht erfunden, sondern Realität ist. Anders gesagt: Ich fahre nicht hinaus, um die Welt zu zeigen, sondern ich will die Welt sein.

Wie praktisch: Dann muss man ja auch nicht mehr hinausfahren.

Genau. Je länger ein Erlebnis zeitlich zurückliegt, desto mehr schmücken wir Menschen es in der Regel aus. Oft werden die belanglosesten Geschichten mit der Zeit zu Legenden. Das Wort »Legende« kommt ja von »Lüge«. Und doch beruhen Legenden immer auf einem wahren Ereignis. Mir ging es auch darum, der Phantasie wieder Raum zu geben. Ich sage Ihnen eins: Die Worte sind sehr wichtig, die man als Schriftsteller benutzt. Besonders schön wird die Literatur übrigens, wenn sie zu Dichtung wird. Zu absoluter Kompression, mit lyrischen Anwandlungen irgendwie.

Sie sind seit Jahren als Komiker und Musiker auf Reisen. Wurde in Ihrem Buch aus Bottrop Barcelona?

Jeder wache Mensch saugt an vermeintlich langweiligen Orten ebenso viele Eindrücke auf wie an angeblich interessanten. Das Gehirn ist voll von solchen Erinnerungen. Und wenn ich mich auf Weltreise begebe, dann ist es eigentlich noch schöner, zu Hause zu sitzen und mir vorzustellen, ich wäre am Nordpol – statt wirklich dort zu sein und zu frieren. An jedem Ort, den ich mir vorstelle, erinnere ich mich natürlich an Dinge, die ich tatsächlich irgendwo in Deutschland oder anderswo erlebt habe, die mir besonders imponiert haben.

Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Mülheim denken?

Fernsehen. Im konkreten Falle des Nordpols die Sendung, wo sich der Forscher dem Eisbären nähert. Ich habe übrigens volles Vertrauen zu solchen Fernsehbeiträgen. Deren Kernaussage ist schließlich ganz einfach: Der Mensch will zurück zur Natur, aber er verbaut sich den Weg, wo er geht und steht. Es bedarf eines Buches wie »Globus Dei«, um daran zu erinnern, dass man am Nordpol eben doch mit einem Heißluftballon aus Seide landen kann. Das nämlich kann einem das Fernsehen dann doch nicht zeigen.

Was unterscheidet das Bücherschreiben von Ihren anderen künstlerischen Aktivitäten?

Ich überlasse auch beim Schreiben das meiste dem Zufall. Ich improvisiere immer. Nur dass ich beim Schreiben die volle Kontrolle behalte.

Von Ihnen erwartet man, dass jede Pointe sitzt, dass Ihr Timing perfekt ist. Belastet das nicht die freie Improvisation? Gerade, wenn einem im Fernsehen Millionen zuschauen?

Ich glaube, je älter man wird, desto leichter hat man es zu brillieren.

Das ist beruhigend.

Ja, beruhigend. Finde ich auch. Ich kann heute anders auftreten als vor 20 Jahren. Je älter ich werde, desto mehr wird mir verziehen. Ich muss nicht mehr meine Stimme verstellen wie früher. Und wenn ich es dann doch mal mache, dann ist es auch gut, dann funktioniert es wie ein Zitat, wie ein Blättern im Katalog der eigenen Ausdrucksformen.

Sie haben es geschafft, Deutschlands beliebtester Komiker zu werden.

Ich verrate Ihnen das Geheimnis meines Erfolges: Ich bin immer sehr cool gewesen. Ich wollte nie Karriere machen. Das ist übrigens einer der Gründe dafür, dass ich so bekannt bin. Sonst wäre ich nie so weit gekommen.

Aber Sie spielen das Spiel mit. Sie gehen doch ins Fernsehen, wo Sie ein Millionenpublikum haben.

Aber auch da improvisiere ich. Im Fernsehen kann ich sagen: »Ich singe jetzt ein Lied von Harald Juhnke, der arme Kerl, den hat die Bild-Zeitung immer besoffen gemacht und dann fotografiert.« Ich darf alles sagen – aber es interessiert niemanden. Weil es ein Komiker, ein Quatschmacher gesagt hat. So funktionieren die Medien. Ganz andere Leute, Typen wie Matthias Reim etwa, stolpern darüber, dass sie etwas Ähnliches in einer völlig unbedeutenden Sendung sagen, die werden dann fertig gemacht. Aber auch das ist kein Zufall: Einer wie Matthias Reim ist jemand, der sich dieser Obrigkeit total untertan gemacht hat, das ist ein Untertan der Bild-Zeitung.

Sie meinen: Er hat sich erpressbar gemacht?

Richtig.

Und Sie sind nicht erpressbar?

Das kann mir nicht passieren. Ich war ja auf Weltreise. Da härtet man ab.