Fischer ordnet die Welt

Der deutsche Außenminister ruft in seinem neuen Buch die »Rückkehr der Geschichte« aus. von gerhard hanloser

Der pechschwarze Einband verspricht schweren Stoff und diskussionswürdige Thesen – man denkt unweigerlich an Bücher wie »Das Schwarzbuch Kommunismus« des französischen Ex-Maoisten Stephane Courtois. Doch eine ähnlich aufgeregte Debatte wie dessen Werk wird das Buch »Die Rückkehr der Geschichte« des deutschen Außenministers Joschka Fischer nicht provozieren. Dafür ist es schlichtweg zu banal, zu brav – ganz so, wie Fischer sich auf dem Pressefoto des Buchumschlags präsentiert.

Wer einen theoretischen Entwurf erwartet hat, eine Absage an das vom Rechtshegelianer Francis Fukuyama im Jahre 1992 verkündete Ende der Geschichte, wird enttäuscht sein. Zwar zitiert Fischer zwei Mal Hegel, damit hat es sich dann aber auch schon. Ohnehin zitiert der Außenminister gern und oft und zeigt sich als belesener Autodidakt, wobei der Sinn seiner Aussagen durch die Zitate nicht immer schlüssig begründet wird. Im Großen und Ganzen erfährt der Leser nicht viel und vor allem nichts Neues. Für den Inhalt seines die Weltpolitik betreffenden und mit Banalitäten gespickten Buches wurde ein viel zu wichtigtuerischer Titel gewählt. Fischer ist kein Dialektiker, mit Hegel hatte er noch nie etwas am Hut. Als antiautoritärer Sponti war er eher Linksnietzscheaner, der in den Siebzigern eine lebensphilosophisch begründete Revolte gegen das Establishment anführen wollte. Mittlerweile ist ein Realo-Wille zur Selbstermächtigung davon übrig geblieben.

Interessant ist es schon, was der grüne Außenminister zur Welt nach dem 11. September zu sagen hat. In seiner militanten Vergangenheit konnte er sich für die fundamentalistisch-reaktionäre Revolution 1979 im Iran erwärmen und lobte ihre Absage an die »kulturimperialistische« Dominanz des Westens. Er teilte den gewöhnlichen linken Antiamerikanismus und verband ihn mit der beliebten Absage an westliche Fortschrittskonzepte und den Universalismus, gleichzeitig war er wie die gesamte Neue Linke durch und durch »amerikanisiert« und setzte auf die revolutionäre Wahrheit der Abschaffung des falschen Bestehenden. Was ist davon übrig geblieben, was schimmert heute noch durch?

Fischers Biografie ist voller Widersprüche. Anhand seines Buches »Die Rückkehr der Geschichte« lassen sich mehr biografische Brüche als Kontinuitäten aufzeigen. So sucht man linken philanthropischen Kulturrelativismus und Verständnis erheischende Bekenntnisse zur Toleranz gegenüber dem Islam vergeblich, dafür ist viel von »Revolution« die Rede: von totalitär-revolutionären Bewegungen des Islamismus und von einer revolutionären Wende in der US-Außenpolitik nach dem 11. September. Statt eines Antiamerikaners spricht hier jedoch ein glühender Verteidiger der USA, mit Goethe und Tocqueville weiß er: »Amerika, du hast es besser!« Natürlich ist Fischer ganz Europäer, doch entgegen so manchem frisch gebackenen Alt-Europäer, der sich seiner Identität nur mittels einer Karikatur der USA versichern kann, ist er erfüllt von dem Glauben an die offene Gesellschaft par excellence, an die USA, deshalb zitiert er auch gerne Karl Popper.

Er selbst sieht sich als Angehörigen der »prowestlichen Linken« und man könnte nach der Lektüre des Buches so weit gehen und sagen, dass Fischer ein europäischer Neocon ist. Laut Irving Kristol ist ein Neokonservativer ein Linker, dem die Realität auf die Füße gefallen ist. In diesem Sinn hat die schlechte Realität Fischer aus den Turnschuhen gehoben und gehörig auf den Kopf gestellt. Denn nun muss sich der Weltgeist, also Fischer selbst, um so einiges bemühen. Mit dem Islamismus ist der Welt eine neue totalitäre Gefahr erwachsen, die »in der historisch-ideologischen Regression eher dem Faschismus/Nationalsozialismus ähnlich« sei. Diesem Totalitarismus könne man nur begegnen, wenn es zu einer Kooperation zwischen den USA und Europa kommt. Die Geschichte erzwingt die »Erneuerung des Westens«.

Die Totalitarismustheorie gibt ohnehin den theoretischen Rahmen ab, wenn man einen solchen für das Buch überhaupt ausmachen kann. Man könnte es lesen als ein gemütliches Diskussionsangebot eines europäischen Neocons an seine atlantischen Partner. Vor allem mit Robert Kagan, dem Mitbegründer des Project for the New American Century, will sich der Deutsche auseinandersetzen. Hatte Kagan den Europäern vorgehalten, mit Kant reinen, macht- wie realitätsfernen Idealismus zu vertreten, wogegen der harte Realismus von Hobbes mit seiner etatistischen Antwort auf den Krieg aller gegen alle der Realität angemessen sei und nur die USA dies erkannt hätten, so gibt Fischer zu bedenken, dass man Hobbes und Kant ja kombinieren könne. Das ist die Dialektik der europäischen Neocons: Wir brauchen die USA als fleischgewordenen Hobbes mit dem big stick, während Europa den Kant mit friedensstiftendem Markt verkörpert – um vielleicht, das unterschlägt Fischer natürlich, auch die Friedensdividende einzustreichen.

Der deutsche Außenminister weiß um die Beschränktheit historischer Vergleiche und Bezugspunkte, trotzdem setzt er sie immer wieder gekonnt ein. Jetzt will er sich in eine Linie stellen mit den früheren US-Präsidenten Woodrow Wilson und Franklin D. Roosevelt. Ungeachtet der Tatsache, dass vor allem Roosevelt mit dem roten »Totalitarismus«, also mit der Sowjetunion, erstaunlich wenig Schwierigkeiten hatte und auf Kooperation setzte, bezieht sich Fischer auf die beiden als Architekten und Ideenstifter der supranationalen Institutionen. Pikant ist hierbei, dass besonders Wilson vor allem wegen seiner pro-interventionistischen Politik ebenfalls eine beliebte Bezugsperson der US-amerikanischen Rechten ist, von Präsident George Bush selbst bis zu neokonservativen Vordenkern wie Newt Gingrich.

Doch Fischer würde sich wehren, in einen solchen Zusammenhang gestellt zu werden, er würde seinen Mit-Wilsonianern eher vorhalten, mit ihrer neoimperialen Politik gegen die Gründungsideologien der USA zu verstoßen, von denen er selbst ganz beseelt ist. Fischer ist Machtrealist, der sich ein wenig Kantschen Idealismus bewahren will, die »unerschütterliche Selbstbindung des Westens an die eigenen Grundwerte« einklagt und diese vor allem in Form der Uno universalisieren will. »Das Staatensystem des 21. Jahrhunderts wird also bis auf weiteres global auf zwei Pfeilern ruhen: der Weltmacht USA und der Weltorganisation UN.«

Dass Fischer seinerzeit die Kosovo-Intervention auch gegen die Vereinten Nationen befürwortete, während er sich nun als Fürsprecher einer UN als zweiter Machtsäule neben der USA stark macht – geschenkt. Denn wenn er über den Kosovokrieg 1999 schreibt, eine ganz spezielle Rückkehr deutscher Geschichte, geht es ohnehin um Selbstrechtfertigung. Doch dies betreibt er sehr geschickt, nämlich »kritisch«. Genschers Politik der forcierten Anerkennungspolitik gegenüber Slowenien und Kroatien wird kritisiert, die Verwandlung des Kosovo in ein UN-Protektorat wird als Verhinderung des islamistischen Totalitarismus hier verkauft, und eloquent, keinesfalls aggressiv werden die Antikriegsstimmen 1999 ins Abseits gestellt, immerhin: Der »Autor bezieht sich in dieser Kritik der damaligen pazifistischen Haltung der deutschen Linken selbstkritisch mit ein«. Wie schön, die damals zelebrierte innere Zerrissenheit, die doch erfolgreich gekittet wurde, nochmals vorgeführt zu bekommen.

Fischer tritt als antitotalitärer, idealistischer Europäer und atlantizistisch gestimmter, bescheidener Partner der USA zugleich auf. Schöner könnte europäische Machtpolitik nicht verschleiert werden.

Joschka Fischer: Die Rückkehr der Geschichte. Die Welt nach dem 11. September und die Erneuerung des Westens, Kiepenheuer und Witsch, Köln, 256 Seiten, 19,90 Euro