»Die Stimmung ist gelassen«

Ein Gespräch mit dem Soziologen bob jessop von der Universität Lancaster über die Auswirkungen der Anschläge auf die britische Politik

Es heißt, dass die Terroranschläge der schwerste Angriff auf Großbritannien seit dem Zweiten Weltkrieg waren.

Davon ist sogar ganz offiziell die Rede. Tatsächlich gab es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Anschläge, die einen höheren materiellen Schaden verursachten und die zumeist von der IRA verübt wurden. Aber üblicherweise gab die IRA Warnungen heraus, so dass die betreffenden Gebäude evakuiert werden konnten. Dieser Anschlag zielte hingegen offensichtlich darauf, Menschen zu töten und zu verängstigen.

Mit London wurde eine Stadt getroffen, die so gut überwacht wird wie sonst kaum eine. Sind dennoch Rufe nach mehr innerer Sicherheit zu hören?

Ich glaube, dass die britischen Reaktionen etwas anders ausfallen, als dies vielleicht in Deutschland der Fall wäre. Das hat mit der britischen Geschichte und Kultur zu tun. In den Medien, bei den Politikern und in der Bevölkerung überwiegt eine verhältnismäßig gelassene Stimmung. Man sagt: »Wir haben uns weder von den Deutschen noch von der IRA unterkriegen lassen und werden uns auch nicht von islamistischen Terroristen unterkriegen lassen!«

Aber es wurde schon zuvor über Gesetzesverschärfungen diskutiert. So sollen Personalausweise eingeführt werden.

Hätten Personalausweise diese Anschläge verhindert? Nun mussten auch Politiker, die sich vehement dafür ausgesprochen haben, einräumen, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat.

Im vorigen Jahr haben die Anschläge in Madrid maßgeblich zur Wahlniederlage José Maria Aznars und zum Rückzug Spaniens aus dem Irak beigetragen. Welche Konsequenzen sind für die britische Irak-Politik zu erwarten?

Die Regierung Aznars wollte jeden Bezug zum Irak ausblenden und hat daher anfangs die Eta beschuldigt. Diese Täuschung war ihr schwerster Fehler. Die britische Regierung hat sich viel zurückhaltender verhalten und folgendes gesagt: »Möglicherweise haben die Anschläge etwas mit dem Irak-Krieg zu tun. Aber dies wäre ein Preis, der uns von Anfang bewusst war.«

Trotzdem dürfte sich die Unzufriedenheit mit der Lage im Irak verstärken. Der Krieg verliert an Popularität, ohne dass sich dies in Form von Protesten ausdrücken würde. Dass der Krieg Tony Blair und seiner Regierung geschadet hat, wurde bei den Wahlen im Mai deutlich, als die Labour Party ihren Spitzenkandidaten fast versteckte. Bei der Neubildung des Kabinetts fehlten jene Minister, die sich am stärksten für den Krieg ausgesprochen hatten. Deshalb dürfte die Regierung kein Interesse daran haben, sich mit Hinweis auf die Anschläge um eine größerere Zustimmung zu ihrer Irak-Politik zu bemühen. Zumal nicht vergessen ist, mit welchen Unwahrheiten der Krieg vorbereitet wurde und welche Fehler dabei gemacht wurden.

Könnte man nicht der Antikriegsbewegung Fehler vorwerfen? Hat sie nicht den islamistischen Terror ignoriert?

Die Kritiker des Krieges, nicht allein aus der Linken, werden sich bestätigt fühlen. Sie können sagen: »Wir hatten keinen Grund, uns am Krieg zu beteiligen. Und wir haben davor gewarnt, dass der Krieg den Terrorismus nicht schwächen, sondern beflügeln und auch Anschläge in Großbritannien wahrscheinlich machen würde.«

Und die Bündnisse mit Islamisten, die etwa George Galloway oder Ken Livingstone gesucht haben?

Man sollte Galloway, der sicher eine populäre Figur ist, nicht zum Repräsentanten der gesamten Bewegung aufwerten. Ich denke, dass die Anschläge gerade die Wichtigkeit und Notwendigkeit von Bündnissen mit muslimischen Organisationen aufzeigen, die den Terrorismus verurteilen.

interview: stefan wirner und deniz yücel