»Die Reformer haben ihre Chance verpasst«

Niloofar Beyzaie

Bei den iranischen Präsidentschaftswahlen konnte der Hardliner Mahmoud Ahmadinejad einen Sieg verbuchen. Exilorganisationen und iranische Oppositionelle hatten zum Wahlboykott aufgerufen. Die Autorin und Theaterregisseurin Niloofar Beyzaie lebt seit ihrer Flucht aus dem Iran in Frankfurt am Main. Sie inszeniert vor allem Theaterstücke in persischer Sprache, oft ausschließlich mit Darstellerinnen. Mit ihr sprach Kerstin Eschrich.

Sie haben vor zwanzig Jahren den Iran verlassen. Unter welchen Bedingungen können Sie sich vorstellen, dahin zurückzukehren?

Es ist mein größter Wunsch, wieder in den Iran zurückzukehren. Ich bin nicht mit 18 Jahren von dort weggegangen, um im Ausland zu bleiben, sondern habe das Land verlassen müssen. Ich war zwölf, als es zur islamischen Revolution kam. Ich wurde sehr schnell in Richtung links politisiert. Als ich fast 14 war, kam ich zweimal kurz ins Gefängnis. 1981 wurde ich dann wieder erwischt. Das war dann schon eine schwierigere Situation. Ich war psychisch am Ende. Viele meiner Mitschüler waren politisch aktiv, viele von ihnen wurden hingerichtet. Ich konnte noch das Abitur machen, aber danach gab es für mich gar keine Möglichkeiten mehr.

Ich bin jetzt schon sehr lange im Exil und ich habe immer politisch darauf hingearbeitet und gehofft, dass sich etwas verändert. Für mich ist klar, dass ich nicht in den Iran zurückgehen werde, solange das islamische Regime an der Macht ist. Ich gehe davon aus, dass dieses System nicht demokratisierbar ist.

Wie muss man sich die Situation im Land nach der Wahl von Mahmoud Ahmadinejad zum Präsidenten vorstellen? Kann es denn noch schlimmer werden?

Es kann weitere Verschlechterungen geben. Ich habe erfahren, dass am 19. Juli in Maschad zwei junge Männer in aller Öffentlichkeit gehängt wurden. Der offizielle Vorwurf lautete: »Unerlaubte sexuelle Handlungen«. Die studentische Nachrichtenagentur Isna aus dem Iran und Homosexuelleninitiativen berichteten, dass einer der Jugendlichen unter 17 Jahre, der andere 18 Jahre alt gewesen ist. Vor der Hinrichtung erhielten sie über 200 Peitschenhiebe. Menschen in aller Öffentlichkeit hinzurichten, das hatte das Regime in letzter Zeit eigentlich nicht mehr gewagt. Dass es jetzt wieder geschieht, hängt sicherlich mit dem Sieg von Ahmadinejad zusammen.

Aber auch während der Regierung von Muhammad Khatami, die als Reformzeit galt, wurden die Studenten brutal unterdrückt. Einige sitzen jetzt seit sechs Jahren im Gefängnis. Die Möglichkeit, unbehelligt zu demonstrieren, gibt es im Iran seit langer Zeit nicht mehr.

Gibt es sichtbaren Unmut gegen das Regime?

Egal ob im Taxi oder im Bus, die Iraner schimpfen auf die Regierung. Aber da es die Möglichkeit, sich zu organisieren, nicht gibt, sind das nur Protestsprüche. In den ersten zehn Jahren nach der islamischen Revolution wurden alle Oppositionsgruppen zerschlagen und die Mitglieder hingerichtet. In den nächsten zehn Jahren gab es keine Gruppe oder Partei, die nicht das Wort »islamisch« im Namen führte. Wenn heutzutage Proteste stattfinden, stehen dahinter keine Organisationen, das sind eher spontane Versammlungen. Die Menschen werden für den Protest ins Gefängnis gesteckt und niemand weiß, ob sie jemals wieder entlassen werden. Je unbekannter die Menschen sind, die protestieren, und je weniger über sie im Ausland bekannt ist, desto leichter ist es, sie verschwinden zu lassen.

Wer sind denn diejenigen, die unzufrieden sind?

Es gibt eine neue Generation im Iran. Mehr als siebzig Prozent der Bevölkerung sind unter 35 Jahre alt. Viele sind erst nach der Revolution geboren worden. Sie wurden mit Propaganda vollgepumpt, sie sind damit aufgewachsen und haben eine gewisse Zeit auch daran geglaubt. Aber je mehr sie durch Internet und Kabelfernsehen von der Welt erfahren, desto kleiner erscheint ihnen die Welt, die ihnen diese islamischen Regierungen bieten. Diese Jugendlichen müssen nicht alle politisch sein, aber sie sind sehr unzufrieden mit ihrem Leben.

Aber warum wurde Ahmadinejad, als der offensichtliche Vertreter des fanatisch islamischen Regimes, gewählt, wenn es doch – wie Sie schildern – Unmut über dieses System gibt.

Aber was soll das denn für eine Wahl gewesen sein, zwischen den Kandidaten Ahmadinejad und Haschemi Rafsanjani? Der war schon zwei Mal Präsident und ist sehr unbeliebt. Er gilt als reicher Ausbeuter und als korrupt.

Wurde Ahmadinejad gewählt, weil er versprochen hat, dass es den Armen besser gehen wird?

Ja, für einen Teil der Bevölkerung kann man das so sagen. Das sind die unteren Schichten, die in den vergangenen Jahren eine Basis für die islamische Ideologie darstellten.

Aber vor der Stichwahl standen ja noch andere Kandidaten zur Auswahl, beispielsweise Mostafa Moin. Er galt als Vertreter der Reformer, und die Opposition setzte Hoffnungen in ihn.

Die so genannten Reformisten haben das Land nach acht Jahren an der Regierung in einer miserablen Verfassung zurückgelassen. Sie haben den Menschen Hoffnungen gemacht, dass sie Veränderungen herbeiführen können. Aber auf jeden Wink des religiösen Führers Ali Khamenei haben sie alle ihre Forderungen zurückgezogen. Auch Moin hat wieder so schön von Demokratie erzählt. Aber die Reformer haben ihre Chance verpasst. Sie waren ja nicht nur eine Regierungszeit an der Macht, sondern sie haben schon eine zweite Chance von den Menschen bekommen. Ihr Verhalten hat sehr viel dazu beigetragen, dass Moin und die reformistische Bewegung keine Chancen hatten.

Es war ja ebenfalls vorhersehbar, dass es mit Ahmadinejad noch schlimmer werden könnte. War es da nicht dennoch fahrlässig, zum Wahlboykott aufzurufen?

Viele Kritiker wollten auch zeigen: »Das hier ist kein demokratisches Land und diese so genannten Reformer sind keine Reformer.« Von 49 Millionen Wahlberechtigten haben über 20 Millionen nicht an den Wahlen teilgenommen. Das kann man an den offiziellen Zahlen ablesen, auch wenn diese teilweise manipuliert sind. Es wird ja nie gesagt, wie viele Menschen nicht an den Wahlen teilgenommen haben. Diese Nichtwähler sind die Kraft, auf die sich meine Hoffnungen stützen. Diejenigen, die sich nicht an diesem System beteiligen wollen, denen klar ist, dass es ohne ein Wagnis nicht möglich ist, in Richtung Demokratie zu gehen.

Ahmadinejad reagiert aber auch auf Druck. Ich habe gehört, dass er 18 Frauen für sein Kabinett nominiert hat. Das hat er natürlich nur getan, weil er immer wieder wegen seiner sehr frauenfeindlichen Einstellung kritisiert wurde. Da die Sehnsucht in der Bevölkerung nach Veränderungen so stark ist, kann sich auch solch ein fanatischer Ultrakonservativer nicht völlig verschließen.

Haben Sie noch Hoffnung auf Veränderungen? Sie lassen in Ihrem politischen Engagement ja nicht nach.

Ich kann nicht anders. Wenn du aus so einem Land kommst, aus so einer Situation, da kannst du fast gar nichts anderes machen, als dich zu engagieren. Man kann zwar auch schweigen, aber dafür bin ich nicht der Typ.