Schwarzer Schimmel

Die Forderung nach einem Existenzgeld fußt auf der Illusion von einem nicht kapitalistischen Kapitalismus. von ulrich weiß

Du hast viel Zeit, bekommst regelmäßig Geld und lebst in einer reichen Gesellschaft, verbrauchst Wert und hältst dir zugleich die Arbeitsgesellschaft vom Halse. Kurz, du kriegst Existenzgeld. Wunderbar. Nur, die Sache funktioniert nicht; genauer: nicht massenhaft und nicht mehr.

Wieso? Die Gesellschaft ist reich, der Reichtum ist nur ungleich verteilt. Arbeitswillige haben immer weniger Chancen, mit Erwerbsarbeit ihre Existenz zu sichern. Kann das soziale Netz, das Jahrzehnte Alte, Kranke, Kinder und Arbeitslose einigermaßen auffing, diese Leute nicht mehr tragen? Oder: Her mit den 1 000 Euro oder zwei Dritteln des Durchschnittseinkommens! Die Politik zwingen und Umverteilung durchsetzen?

Reichtum und soziale Form

Der sachliche Reichtum dieser Gesellschaft wird in einer solchen sozialen Form produziert, dass man nur über Geld an ihn herankommt. Die Produktion und Aneignung von Produkten lässt sich durchaus auch anders vorstellen – in einer nicht kapitalistischen Produktionsweise. Die Verteilung nach Bedürfnissen ist gar nicht mehr so utopisch. Doch das Existenzgeld zu fordern, heißt, die bestehende Produktionsweise anzuerkennen und nach einem Anteil am kapitalistisch produzierten Wert zu rufen. Existenzgeld ist, über den Staat verteilt, Zugriff auf diesen. Er soll gratis erfolgen. Die Nutznießer selbst schaffen ihn nicht. Andere, die Lohnarbeiter, müssen sich genau dem unterwerfen, was die Empfänger des Existenzgeldes, als Arbeitssuchende oder als glückliche Arbeitslose, nicht tun: sich den Zumutungen der Verwertung aussetzen. Schön für die Erwerbstätigen, oder?

»Was redest du von Wert und Produktion?« wird mir entgegnet. »Es geht doch um Zivilisation, Kultur, politische Kräfteverhältnisse. Geld ist genug da!« Aber wer den Wert – auch das Existenzgeld – im Himmel, im Handel oder durch Raub und Betrug oder guten Willen entstehen lässt, wer den Zusammenhang zwischen sachlichem Reichtum und der sozialen Form, hier der Warenform, ignoriert, der will glauben und nicht wissen. Er ist ein Fall für Seelsorger und Politikersprüche.

Im Kapitalismus sind die unmittelbaren Produzenten von den Produktionsmitteln getrennt. Menschen kommen zu Lebensmitteln nur über die Wertform, über Geld. Den Arbeitenden geht es nicht um die konkreten Produkte, die sie herstellen, sondern um den Lohn, um möglichst viel davon. Auch für Unternehmer sind nicht die Produkte das eigentliche Produktionsziel, sondern die Verwertung von Wert. Ohne Produktion von Wert und Mehrwert gibt es weder eine kapitalistische Produktion noch einen verteilbaren Wert. Wie vermittelt auch immer: Arbeiter, Unternehmer, Aktien, die spekulativsten Kapitalanlagen, über den Staat verteilte Ressourcen – alle diese Momente sind den Notwendigkeiten der Verwertung unterworfen. Kapital, Verwertung von Wert – das ist das eigentliche Subjekt. Die Befürworter des Existenzgeldes wollen diesen Wert anzapfen. Wer das will, muss auch wollen, dass die Verwertung klappt.

Es war einmal …

… eine fordistische Produktionsweise. Sie benötigte einen Sozialstaat, eine Art große Verteilanstalt von Existenzgeld, und machte ihn auch möglich. Der Staat sicherte die gesellschaftlichen Voraussetzungen der Produktion, die von kapitalistischen Unternehmen selbst nicht profitabel hergestellt werden konnten: Straßen, Eisenbahnen, Post, Schulen, Krankenhäuser usw. Er sorgte für gebildete, belastbare, disziplinierte Lohnarbeiter. Dafür zog er Wert von dem in den Produktionen geschaffenen ab.

Geht es um Steuern, heulen betriebswirtschaftlich orientierte Unternehmer auf. Und doch lag dieser staatliche Wertabzweig im Interesse der Kapitalistenklasse und auch in dem der Lohnarbeiter, die ihn hart erkämpfen mussten. Diese Umverteilungen sicherten die Existenz und den zivilisatorischen Fortschritt der bürgerlichen Gesellschaft.

Auch in der innerfamiliären, meist weiblichen, Reproduktionsarbeit werden unverzichtbare Bedingungen für das Kapital geschaffen: als Arbeitskräfte verwertbare Menschen. Dies geschieht nicht in Form wertschöpfender Lohnarbeit. Die Werte, die hier verbraucht werden, waren bzw. sind noch im Lohn der »Ernährer« enthalten – im Existenzgeld für nicht lohnarbeitende Familienmitglieder. Eine staatlich und familiär gesicherte Voraussetzung für die Produktion: Bis in den Fordismus hinein trug dies die kapitalistische Verwertungsmaschine. Und das wird nun gerade zu Geschichte.

Produktivität und Arbeitszeit

Steigende Arbeitsproduktivität senkt die für die jeweilige Ware verausgabte Arbeitszeit und reduziert somit die Quelle des Werts. Das Kapital untergräbt seine eigene Basis. Wieso aber funktionierte es bisher, wieso konnte der Sozialstaat den Wert für allgemeine Aufgaben einsetzen und der Profit stimmte trotzdem? Trotz steigender Produktivität wuchs die Zahl der Arbeitskräfte. Der Einschränkung der Wertquelle standen andere Tendenzen entgegen. zum Beispiel die Ausweitung der gegebenen Produktion und die neuen Produkte. Einstige Luxusgüter (Autos, Möbel, hochwertige Haushalts-, Unterhaltungsgeräte) wurden für den Massenverbrauch industriell hergestellt, und zwar in solchem Maße, dass die steigende Produktivität, die Verwertung, der wachsende Bedarf an Arbeitskräften und das soziale Netz vereinbar waren.

Die Verwertung des Lebens erfasste immer mehr Tätigkeiten und menschliche Beziehungen, die als Bedingung menschlicher Existenz meist außerhalb der Wertproduktion geleistet bzw. gestaltet wurden: in der Erziehung, der Hausarbeit, der Pflege, im Sport, in der Freizeit etc. Biologische Prozesse, auch die Entstehung des Menschen, wurden zum Geschäftszweig. Unmittelbare Lebensfunktionen wurden in der Warenform realisiert oder bei Zahlungsunfähigkeit gar nicht mehr. Die Entstaatlichung führte dazu, dass einstige Staatsaufgaben von einzelnen Unternehmen selbst profitabel erfüllt wurden. Infrastrukturen, soziale Einrichtungen wie Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, alle möglichen so genannten Hoheitsaufgaben wurden zum unmittelbaren Verwertungsfeld. Die Produktivität und die globale Beweglichkeit von Kapital und Arbeit ermöglichten das. Die »allgemeinen Bedingungen des gesellschaftlichen Produktionsprozesses« würden nicht mehr »aus dem Abzug der gesellschaftlichen Revenu hergestellt (…), sondern aus dem Kapital als Kapital. Es zeigt dies den Grad (…), worin das Kapital sich alle Bedingungen der gesellschaftlichen Produktion unterworfen« habe. Diese Entstaatlichung sei »die höchste Entwicklung des Kapitals«, schreibt Karl Marx.

Fortschritt als Katastrophe

Der Fordismus hat seinen Höhepunkt überschritten, beim heutigen Stand der Produktivität bedeuten Investitionen meist Entlassungen. Die oben genannten Gegentendenzen zur Einengung der Wertquelle sind erschöpft oder sie schließen direkt die zahlungsunfähigen Menschen von der Möglichkeit aus, selbst ihre Lebensfunktionen zu sichern. Wo das Kapital selbst die allgemeinen Bedingungen des gesellschaftlichen Produktionsprozesses sichert, kann der Staat die Alimentierung der endgültig Herausgefallenen auch nicht mehr sichern. Es ist auch unnötig, werden diese doch ohnehin nicht mehr für den zukünftigen Verwertungsprozess gebraucht, und Moral oder Glaube produzieren keinen verteilbaren Wert.

Kann der Staat dem nicht entgegenwirken? Über Steuern zieht er seine Potenzen aus einer funktionierenden kapitalistischen Produktion, aus der Verwertung von Wert. Will er handlungsfähig sein, muss er diese sichern. Beim Stand der heutigen Produktivität aber heißt das, noch mehr Leute zu entlassen, die Verwertungsbasis noch weiter einzuschränken, weitere so genannte Hoheitsaufgaben an die private Wirtschaft abzutreten. Der galoppierende Kapitalismus treibt so auch seinen »eigenen« Staat in ein Dilemma, an dem keine politische Konstellation etwas ändern kann.Die Forderung nach einem Existenzgeld setzt auf einen unmöglich gewordenen zivilisationsverträglichen Kapitalismus. Doch einen fordistischen Sozialstaat kann es nicht mehr geben.

Es geht auch anders

Menschliche Existenz zu sichern und sachlichen Reichtum anzueignen, heißt heute, Wege aus dem Kapitalismus zu suchen. Arbeitslosigkeit in der bürgerlichen Form ist eine Katastrophe, bedingt durch eine Produktivitätsentwicklung, durch die »die Schöpfung des wirklichen Reichtums abhängig weniger von der Arbeitszeit und dem Quantum angewandter Arbeit als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden«, durch die sich der produzierende Mensch zunehmend »als Wächter und Regulator zum Produktionsprozess selbst« verhalte und »neben den Produktionsprozess« trete, »statt sein Hauptagent zu sein«, schreibt Marx. Menschlich steckt aber genau darin die Möglichkeit eines neuen Produzierens und Lebens. Mit wenig Arbeit über großen sachlichen Reichtum zu verfügen – wunderbar. Abzuzulehnen sind Banken, Staatsapparate, Werbung, Repräsentationszwänge, ökologisch Bedenkliches, das Militärische – alles, was Herrschaftsstrukturen geschuldet ist und der ihnen zugrunde liegenden Wertform. Diese aber betet das auch noch vergeblich.

Der Autor ist Mitglied der Gruppe »Wege aus dem Kapitalismus«