Wunsiedelchen acht Euro

Antifaschistische Reisen sind meist Schnäppchen und versprechen Wellness, Spaß und Sport mit Gleichgesinnten. Lastminute- und andere Tipps für Antifas. von peter sonntag

Sommer, Sonne, Sonnenschein, aber kein Geld zumVerreisen? Womöglich noch Flugangst? Nix mit eben mal nach Madrid jetten für 20 Euro? Den ganzen Sommer in der gleichen stinkigen Stadt, im gleichen miefigen Dorf? Das muss nicht sein! Unternehmen Sie mit Bus und Bahn Städtereisen oder Kurztrips an Orte, die auf der Landkarte nur schwer zu finden sind; ergreifen Sie die Möglichkeit, mit vielen Gleichgesinnten und für einen guten Zweck die gewohnte Umgebung zu verlassen und mal etwas ganz anderes kennen zu lernen! Tickets sind in gut sortierten linken Buchläden oder Kulturzentren erhältlich. An Ort und Stelle angelangt, kann die interessierte Antifaschistin an interessanten, von Ortskundigen organisierten Stadtrundgängen teilnehmen, die oft von freundlichen City-Guides in Grün begleitet werden, damit niemand vom rechten Weg abkommt und sich in unwirtliche Gegenden verirrt.

So empfiehlt sich am Samstag eine Reise ins schöne Hamburg, das nicht nur mit Flora und Fischmarkt lockt, sondern auch mit dem Elbstrand und Planten un Blomen. Der revisionistische Wanderzirkus macht am 30. Juli dort Station, um mit einem Trauermarsch der Bombardierung durch die Alliierten zu gedenken. Um elf Uhr morgens treffen sich Antifas am Hachmannplatz, um gegen die Neonazis zu demonstrieren, ab zwölf Uhr gilt es dann, sich den braunen Kameraden in den Weg zu stellen. Wem es am Meer besser gefällt, der möge am gleichen Tag Stralsund besuchen. Dort marschieren Neonazis gegen die Agenda 2010.

Bereits angefangen hat das 17. Antifa-Camp in Weimar/Buchenwald. Noch bis zum 30. Juli besteht für Kurzentschlossene die Gelegenheit, sich dort ein wenig weiterzubilden und antifaschistisch zu arbeiten. Seit dem Jahr 1990 ist Weimar ein Reiseziel für Antifas, die sich beispielsweise an der mobilen Pflegegruppe beteiligen wollen. Diese restauriert Orte, die zwar zum KZ Buchenwald gehörten, aber nicht Teil der offiziellen Gedenkstätte sind.

Ein weiteres, wenn nicht gar das Highlight der Reisesaison stellt die fränkische Festspielstadt Wunsiedel im Fichtelgebirge dar. Viel muss dazu eigentlich nicht mehr gesagt werden: günstige Anreisemöglichkeiten aus ganz Deutschland, eine wunderschöne Landschaft, architektonisch Wertvolles zum Angucken und mehrere Tausend Alt- und Neonazis, die dem Nationalsozialismus öffentlich huldigen. Im Jahr 1994 wurde der jährliche Gedenkmarsch für den Stellvertreter Hitlers, Rudolf Heß, der sich 1987 im Gefängnis in Berlin-Spandau umgebracht hatte, verboten. Seit fünf Jahren marschieren wieder Rechtsextremisten aus der ganzen Welt, um ihrem in Wunsiedel begrabenen »Friedensflieger« zu gedenken. Dort bietet sich die einmalige Gelegenheit, Nazis aller Altersstufen und aus ganz Europa, übersichtlich vor einer ansprechenden Kulisse angeordnet, zu beobachten.

Planen Sie am besten eine Gruppenreise, denn im Jahr 2004 standen über 4 500 Alt- und Neonazis lediglich 350 Antifas gegenüber. Das soll sich in diesem Jahr ändern, und so hat ein Bündnis unter dem Namen »NS-Verherrlichung stoppen!« für den 20. August zum Aktionstag aufgerufen. Eine für den ganzen Tag angemeldete Kundgebung bildet den Rahmen für Konzerte, eine Demonstration und heftige Unmutsäußerungen. Es ist dennoch anzuraten, den Kundgebungsort nur mit der Bezugsgruppe zu verlassen, da sich der gemeine Neonazi in Rotten bekanntermaßen gern zur Gewaltanwendung hinreißen lässt.

Wer schon einen Tag früher anreisen möchte, dem oder der sei ein besonderes Schmankerl anempfohlen: Der Motorradklub Kuhle Wampe ruft auf zur Sternfahrt in Wunsiedel. In einer Pressemitteilung heißt es: »Wer den Nazis zeigen will, dass sie auch in Wunsiedel keinen Freiraum haben, der kommt am 19. August 2005 nach Wunsiedel und fährt gegen Rechts.« In der Regel ist die Anreise eher eine biedere Sache, die jedoch zum unvergesslichen Erlebnis werden kann: Wer sich noch nie bei strahlender Morgensonne an einer Landstraße im Fichtelgebirge, umgeben von Bussen voller grölender Kameraden, die örtlichen Begebenheiten von der Polizei hat erklären lassen, hat wirklich etwas verpasst. In Wunsiedel wird gleichzeitig eine Reihe von Veranstaltungen des städtischen Bündnisses für Demokratie und Toleranz stattfinden, unter dem originellen Motto: »Wunsiedel ist bunt – nicht braun.« Es wird also für jeden Geschmack etwas dabei sein.

Zwar ist der Aufmarsch bisher nicht genehmigt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass entweder der Anmelder Jürgen Rieger oder der Hamburger Neonazi Christian Worch gegen das Verbot klagen werden. Im Internet findet die oder der Reiselustige Informationen, Aufrufe, Termine von Infoveranstaltungen und mehr.

Wer das Camp in Weimar verpasst hat, kann vom 2. bis 4. September nach Stukenbrok-Senne zwischen Bielefeld und Paderborn fahren. Dort findet unter dem Motto »60 Jahre danach. Wie weiter gedenken?« ein vom Antifaschistischen Kreisplenum Gütersloh veranstaltetes Workcamp statt. Der Ort liegt genau neben dem Stalag 326, einem ehemaligen NS-Strafgefangenenlager, in dem rund 65 000 zumeist russische Kriegsgefangene umgebracht wurden.

Auch Berlin ist immer wieder eine Reise wert, und wer nicht nur reaktiv reisen will, sondern gerne selber das Heft in die Hand nimmt, sollte am 10. September zur »We Will Rock You«-Demonstration kommen, die um 14 Uhr am S-Bahnhof Marzahn startet. Der Stadtteil bietet die Möglichkeit, Neonazis in ihrem natürlichen Umfeld im urbanen Raum zu beobachten. Die Demonstration findet im Rahmen der gleichnamigen Kampagne, die sich gegen »Naziläden, rechte Musik & rechten Lifestyle« richtet, statt. Auf der Website der Kampagne kann sich die engagierte Antifaschistin auch über weitere interessante Reiseziele in der Region sowie über rechte Marken und Bands informieren. Der Sommer muss also nicht langweilig werden. Es gibt viel zu tun und viel zu sehen.

www.antifainfo.de/juli.htm, www.antifacamp.de.vu, www.antifa-workcamp.de.vu, www.ns-verherrlichung-stoppen.tk, www.we-will-rock-you.tk