Kein Weg zurück

Roma, Ashkali und Angehörige anderer verfolgter Minderheiten werden wieder aus Deutschland ins Kosovo abgeschoben. Dort erwartet sie ein Leben in Unsicherheit und Armut. boris kanzleiter und dirk auer bereisten das UN-Protektorat

Heute waren nur 24 Leute an Bord, alles Albaner, also nichts Besonderes«, sagt Valbona Hajredini. Die Erleichterung ist ihr deutlich anzumerken, als sie mit schnellem Schritt zum Empfangsbereich des Flughafens von Pristina kommt. Dort warten Verwandte auf die Neuankömmlinge. Mit Schrecken erinnert sie sich an den vorletzten Dienstag. In einem Flugzeug aus Karlsruhe saßen 63 abgeschobene Flüchtlinge, gut die Hälfte davon waren Angehörige nicht-albanischer Minderheiten. »Es war eine Familie mit sieben Kindern dabei, die alle in Deutschland geboren wurden. Sie hatten kein Geld und keine Ahnung, wie sie nach Gjakove, dem Dorf der Großeltern, kommen sollten«, erzählt Hajredini. Die Familie zählte zur Gruppe der so genannten Ashkali, Albanisch sprechenden Roma muslimischen Glaubens.

Valbona Hajredini steht im Auftrag des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR am Flughafen von Pristina. Die junge Albanerin ist die erste Kontaktperson für die Menschen, die in diesen Monaten aus den Staaten der Europäischen Union, hauptsächlich aus Deutschland, ins Kosovo abgeschoben werden. Deren Anzahl wächst ständig, insbesondere seit die Bundesregierung Ende April ein Abkommen mit der UN-Übergangsverwaltung im Kosovo (Unmik) geschlossen hat. Seither können neben Albanern auch Angehörige von Minderheiten abgeschoben werden, deren Aufenthalt in Deutschland zuvor geduldet worden war, weil sie im Kosovo Übergriffen nationalistischer Albaner ausgesetzt waren. Auch andere EU-Staaten haben angefangen, diese Flüchtlinge abzuschieben, oder wollen dies demnächst tun.

Zunächst sollen Ashkali, Kosovo-Bosnier und so genannte Kosovo-Ägypter zum One-Way-Flug nach Pristina gezwungen werden. In Berlin ist man der Auffassung, dass sich ihre Sicherheitslage in den vergangenen Monaten erheblich verbessert habe. Wenn auch noch der Abschiebestopp für die serbisch sprechenden Roma aufgehoben wird, droht mehr als 50 000 Menschen die Abschiebung aus Deutschland ins Kosovo. Die deutsche Innenministerkonferenz will erklärtermaßen den Abschiebestop für serbisch sprechende Roma aufheben.

Valbona Hajredini kann den unglücklichen Neuankömmlingen im UN-Protektorat nicht helfen. »Ich stehe hier nur, um eine Statistik zu führen«, sagt sie über ihren Auftrag. Aber kalt lässt sie das Schicksal der Abgeschobenen nicht. »Wir hatten Fälle, wo die Leute fast nackt hier ankamen«, empört sie sich. »In dem Flugzeug aus Karlsruhe saß beispielsweise eine Frau ohne Schuhe.« Niemand habe gewusst, was mit ihr geschehen solle. Hajredini erzählt, wie sie schließlich ihre eigenen Schuhe auszog, um sie der Abgeschobenen zu geben. Wo die Frau jetzt ist? »Keine Ahnung«, zuckt sie mit den Achseln. »Es ist ein großes Problem, dass viele der Abgeschobenen überhaupt nicht wissen, wohin sie gehen sollen.« Viele wüssten nicht, ob ihr altes Haus noch stehe oder wer jetzt darin wohne. Oft sei auch der Kontakt zu Verwandten abgerissen.

Ob es tatsächlich stimmt, dass sich die Sicherheitslage für Nicht-Albaner im Kosovo nachhaltig verbessert hat, fragen wir. Schließlich verübten Zehntausende albanische Nationalisten noch im März vergangenen Jahres eine Hetzjagd auf Serben, Roma und Ashkali, in deren Folge über 4 000 Menschen aus ihren Häusern vertrieben wurden. Hajredini zuckt mit den Schultern.

Niemand zuständig

Kann es wirklich sein, dass aus Deutschland Tausende Flüchtlinge abgeschoben werden und sich im UN-Protektorat Kosovo niemand um ihre Unterkunft kümmert? Beim Rundgang durch die internationalen Institutionen in Pristina glauben wir uns bald in einer Möbius-Schleife gefangen. Bei der Pressestelle der Unmik verweist man auf die International Organisation of Migration (IOM) und das UNHCR. Die Mitarbeiter der IOM allerdings sind irritiert. »Forced returns?« Nein, mit denen habe man hier gar nichts zu tun.

Also vorbei am Gebäude der Vertretung der Bundesrepublik Deutschland, wo Menschen in einer langen Schlange vor der Visastelle stehen, wieder zurück ins Zentrum der Stadt zum UNHCR. Dort verweist man auf ein Positionspapier der Organisation vom März, in dem von einer weiterhin angespannten Sicherheitslage im Kosovo die Rede ist, und gibt ansonsten die Verantwortung zurück an die Unmik.

Deren Zentrale liegt praktischerweise direkt gegenüber. Von den Angestellten des Office of Returns and Communities wird die Unmik als eine Einrichtung vorgestellt, die den Rückkehrprozess in halbwegs geordneten Bahnen zu halten versuche. Der Mitarbeiter Karsten Lüthke erklärt, es gebe keine Pflicht der internationalen Institutionen, abgeschobene Flüchtlinge aus Deutschland zu unterstützen. Was die »soziale Integration« – was immer das heißt in einem Land mit über 60 Prozent offizieller Arbeitslosenrate – und finanzielle Hilfen angehe, seien die kosovarischen Institutionen gefragt. »Die dürfen wir nicht aus der Verantwortung entlassen«, sagt der Beamte aus Deutschland. Auf die skeptische Nachfrage, ob das denn funktionieren könne, kommt das Eingeständnis: »Es gibt da gewisse Probleme.«

Von Meißenheim nach Gjakove

Ohne große Probleme haben wir die neunköpfige Ashkali-Familie aus dem südbadischen Meißenheim gefunden, von der Valbona Hajredini am Flughafen erzählte. Nach einer wahren Irrfahrt sind die Qorris inzwischen in Gjakove angekommen, einer kleinen Stadt im Südwesten des Kosovos. Im winzigen Häuschen der Großeltern haben sie eine vorübergehende Unterkunft gefunden. Die Szenerie, die wir dort vorfinden, hat etwas Surreales. Sieben Kinder im Alter von vier bis 14 reden wild durcheinander, alle im besten badischen Dialekt. Mittendrin: die Großmutter. Ihre Enkel hat sie vor vier Tagen zum ersten Mal gesehen. Doch die Freude ist getrübt. Das Leben war auch so schon schwer genug. Ihr Mann arbeitet den ganzen Tag. Im Müll sucht er nach Altmetall, abends gibt er seine Ladung ab und erhält für 30 Kilo einen Euro, manchmal auch nur 50 Cent. »Wie sollen wir da noch zusätzliche neun Menschen durchfüttern?« fragt sie.

Die Familienzusammenführung war alles andere als freiwillig: »Die haben uns einfach abgeschoben, ohne Vorwarnung«, berichtet der 14jährige Alfred Qorri. Mitten in der Nacht stand plötzlich die Polizei vor der Tür ihrer Wohnung in Meißenheim. Mitnehmen durften sie nur ein paar Kleider und Medikamente. Alles Geld mussten sie an die deutschen Beamten abgeben – für die Transportkosten im Abschiebejet. In Gjakove schlafen sie seitdem auf dem nackten Boden und ernähren sich von Wasser und Brot.

Finanzielle Unterstützung scheint es nirgends zu geben. In Deutschland habe man ihnen gesagt, dass sie bei der Ankunft in Pristina etwas Geld bekommen würden, was sich bald als Lüge herausstellte. »Die haben uns verarscht«, stellt Alfred resigniert fest. Auch in Gjakove sind alle Versuche, von irgendwoher Geld zu bekommen, gescheitert. Die Qorris haben genau das gemacht, was Karsten Lüthke von der Unmik empfiehlt. Sie haben sich an die lokalen Behörden gewandt. Aber die hätten sie nur ausgelacht, erzählt Alfred. »Die haben gesagt, dass wir zu Präsident Ibrahim Rugova gehen sollen, weil der doch die Leute wieder zurück haben will.«

Der Vater, Flutrin Qorri, ist verzweifelt. Seit der Ankunft in Pristina hat er kaum geschlafen. »Ständig nur auf- und abgehen und denken: Was soll werden?« Immer wieder bricht er in Tränen aus, kann nicht fassen, was passiert ist. Auf dem Tisch liegen Fotos aus Deutschland, die die Familie in besseren Tagen zeigen.

Inzwischen ist auch der Bruder Elvir eingetroffen. Er ist bereits vor vier Jahren aus Deutschland zurückgekommen, freiwillig. Er weiß, wie schwer das Leben hier ist, schlägt sich mühsam durch, holt Sachen aus dem Müll, die er auf dem Flohmarkt zu verkaufen versucht. »Ich bin allein, und das ist schon eine Katastrophe. Aber wie soll man hier mit sieben Kindern überleben, die alle in Deutschland geboren wurden?« Mit Schrecken denkt er an den letzten Winter. »Hier, schaut euch das an«, sagt er und reißt ein Stück von der Decke. »Alles nur Pappe. Im Sommer geht es, aber im Winter war es hier kaum auszuhalten.« Die Großmutter ist deshalb schon chronisch krank geworden. Ihre Medikamente hat sie bisher aus Deutschland geschickt bekommen, doch das ist jetzt vorbei. Auch Flutrin Qorri hat hohen Blutdruck und Atembeschwerden. Seit vier Jahren muss er deshalb verschiedene Tabletten nehmen. Die Arzneimittel, die er aus Deutschland mitnehmen konnte, reichen noch für drei Wochen. »Am besten, ich kaufe mir eine Pistole«, flüstert er zusammengesunken auf einem Stuhl. »Machen einmal tot und fertig.«

In der Geisterstadt

Für die Familie Qorri aus Meißenheim hat das Leben im Kosovo gerade erst begonnen. Sie wissen nur aus Erzählungen von der absurden Situation, die sich seit dem Bombardement der Nato im Frühjahr 1999 in der Provinz entwickelt hat. Mit der Begründung, »ethnische Säuberungen« serbischer Truppen an der albanischen Bevölkerung verhindern zu wollen, mobilisierte die westliche Militärallianz damals ihre Truppen und Luftwaffe. Das Stichwort der »humanitären Intervention« kursierte in der Weltpresse.

Bereits kurz nach dem Ende der Bombardements und des Einmarsches der Kfor ins Kosovo konnten die albanischen Flüchtlinge wieder zurückkehren. Andererseits wurden etwa 250 000 Menschen, hauptsächlich Serben und Roma, in den vergangenen sechs Jahren von der UCK und ihren Nachfolgeorganisationen aus dem Protektorat vertrieben. Diese »Säuberung« stoppte niemand. Die Internationalen waren ja schon vor Ort.

Wir fahren nach Mitrovica, der größten Stadt im Norden des Kosovo. Die Romska Mahala, das Roma-Viertel von Mitrovica war ehedem die zweitgrößte Roma-Siedlung auf dem Balkan.

Kurz vor der Brücke über den Fluss Ibar zum Südteil Mitrovicas müssen die Nummernschilder des Autos gewechselt werden. Wer im albanischen Südteil, wo UN-Schilder benutzt werden, mit den serbischen Schildern des Nordteils herumfährt, begibt sich in Gefahr. Das gilt auch umgekehrt.

Das Trümmerfeld der Romska Mahala liegt hinter einer Kaserne der französischen Kfor-Truppen. Hinter dem Stacheldraht sehen wir zuerst nur einige Ruinen aus dem Gestrüpp ragen. Wir gehen auf dem schmalen Pfad weiter, und auf einmal liegt das Trümmerfeld vor uns. Ruinen so weit das Auge reicht. Wie Skelette ragen die Betonpfeiler aus dem Boden. Es waren keine armseligen Hütten, die hier noch vor sechs Jahren standen.

Ein großes Loch

Drei Kilometer Luftlinie von der Romska Mahala entfernt, auf der anderen Seite des Flusses, liegt das Camp Cesmin Lug. Drei Kilometer, die für Menschen, die hier leben müssen, unüberwindbar scheinen.

Von deren verzweifelten Geschichte der vergangenen sechs Jahre spricht Latif Masurica. Er steht vor seiner nach Schimmel riechenden feuchten Bretterbude in der gleißenden Sonne. Der vielleicht 30jährige Mann ist wütend, und er verbirgt es keinen Augenblick. »Was wollt Ihr hier?« fragt er barsch und gibt gleich eine Antwort. »Ihr wollt mit unserem Leiden doch nur Geld machen wie die ganzen korrupten Hilfsorganisationen, die alles für sich behalten.«

Doch wir haben Glück, weil uns ein Journalist begleitet, der selbst Roma ist und ebenfalls in Cesmin Lug lebt. Masurica lässt sich erweichen und erzählt, wie die Roma von Cesmin Lug bis zum Krieg im südlichen Teil von Mitrovica lebten. Während des Nato-Bombardements flohen sie in die nähere Umgebung, um sich in Sicherheit zu bringen.

Doch der eigentliche Schrecken begann für sie erst, als sie nach dem Ende des Krieges wieder in ihr Stadtviertel Romska Mahala zurückkehrten, in dem damals 8 000 Roma lebten. Ihre Häuser wurden von Einheiten der UCK gestürmt. »Die Soldaten der Kfor haben einfach zugesehen. Sie haben zugesehen, wie unsere Leute misshandelt, die Häuser geplündert und abgebrannt wurden«, berichtet Masurica verbittert. Völlig versagt hätten sie, die Internationalen, weil sie doch eigentlich hätten wissen müssen, dass im Kosovo auch Nicht-Albaner leben, die sie nun hätten schützen müssen.

Ein Teil der Bewohner des Romska Mahalla floh daraufhin nach Serbien, ein anderer nach Montenegro, viele gingen auch nach Italien und Deutschland. Die Übriggebliebenen verließen den albanischen Süden der Stadt und gingen über den Fluss in den serbischen Norden, wo sie zunächst in einer Schule einquartiert wurden. In einem vom UNHCR errichteten Zeltlager verbrachten sie den harten Winter zur Jahrtausendwende, bevor ihnen die jetzigen Grundstücke zugewiesen wurden. Eine norwegische Organisation gab das Material für den Bau der löchrigen Holzhütten. »Seitdem sind wir hier. Es gibt keine Arbeit. Die Leute suchen im Müll nach etwas zu essen. Es gibt Krankheiten«, sagt Masurica.

Lange Zeit nahm niemand von den Roma von Cesmin Lug Notiz. Das hat sich in den vergangenen Wochen geändert, als eine Reihe von internationalen Medien, darunter die britische BBC, einen Skandal witterte. Das Gelände liegt direkt neben der Abraumhalde der Trepca-Mine und ist enorm bleiverseucht. Messteams der Weltgesundheitsbehörde haben im vorigen Jahr bei über einem Drittel der Kinder extrem hohe Konzentrationen des Gifts im Blut festgestellt. Einige Kinder sind gestorben, es wird vermutet, dass dies mit ihrer Bleivergiftung zusammenhängt.

Bei den Internationalen ist das Problem schon lange bekannt, doch die Forderung einiger Nichtregierungsorganisationen nach einer sofortigen Evakuierung der Camps blieb bislang ohne Resonanz. Die Planungen der Unmik zielen vielmehr darauf, die alte Romska Mahala im Süden Mitrovicas wieder aufzubauen und die Roma dort wieder anzusiedeln.

Darauf angesprochen, schüttelt Masurica nur mit dem Kopf. »Nach Romska Mahala wollen wir nicht zurück. Unsere Häuser dort sind komplett zerstört, außerdem haben wir noch immer Angst vor neuen Übergriffen.« Er möchte in ein anderes Land auswandern, egal wohin. »Wir wollen in Sicherheit leben können wie normale Menschen. Irgendwo, nur nicht im Kosovo.«

Weiß Latif Masurica, dass nichts unrealistischer ist als dieser Wunsch? Weiß er, dass geflüchtete Ashkali und Roma nun aus Deutschland nach Kosovo zurückgebracht werden? Er nickt. Ja, gehört habe er davon, eine große Schande sei das. »Die Internationalen waren hier in sechs Jahren nicht in der Lage, grundlegende menschenwürdige Bedingungen zu schaffen. Was soll erst passieren, wenn die Flüchtlinge zurückkommen?« Nach all den Jahren, den vielen Ankündigungen und nicht eingelösten Versprechen hat Masurica resigniert. »Am besten wäre es, die Internationalen würden ein großes Loch graben, wo man alle Roma reinschmeißt und es dann wieder zuschüttet. So könnten sie das Problem auch lösen.«