Der echte Spirit

Rrriot Girl-Fanzine

»2Morrow’s Riots Today« lautet der Untertitel des Fanzines Inhuman Interest Dept., das mir Erinç Güzel in die Hand drückt. Das Magazin ist in klassischer Punkmanier mit Schere und Klebstoff gelayoutet, copy & paste rules. Es transportiert genau den Rrriot Girl-Spirit, von dem man dachte, es gäbe ihn gar nicht mehr. Gründe deine eigene Band, bring dein eigenes Fanzine heraus, sag’ den Jungs bei deinen Konzerten, sie sollen sich gefälligst in die zweite Reihe verdrücken, und hab’ vor allem jede Menge Spaß. Darum ging es der Rrriot-Girl-Bewegung in den Neunzigern. Die Bands hießen Babes in Toyland, Bikini Kill oder Seven Year Bitch, interpretierten Punk neu und klangen unheimlich aggressiv. Diese Szene, das gibt Erinç zu, ist tot, aber »ihr Geist ist lebendig«.

Erinç ist eine unglaubliche Frau. Sie ist 22 Jahre alt und hat ihr Leben ganz eindeutig ihrer Sache verschrieben. Früher trug sie nach klassischer Rrriot Girl-Manier übertrieben viel Lippenstift auf, sagt sie, was dazu geführt habe, dass nicht nur einmal versucht wurde, sie zu vergewaltigen. Sie sei das einzige Rrriot Girl in der Türkei, meint sie, es gäbe zwar ein paar, die etwas von der Sache verstünden, aber eigentlich müsse sie ihr Ding in diesem Land mehr oder weniger alleine durchziehen. Ihre wahre Szene sei ein über die ganze Welt reichendes Netzwerk. Sogar von dem, was in Berlin passiert, weiß sie mehr als ich. Gerade ist Hanin Elias in Istanbul aufgetreten, natürlich hat Erinç sich mit ihr getroffen. Stolz zeigt sie ein Handyfoto von sich zusammen mit der ehemaligen Sängerin von Atari Teenage Riot.

Erinçs Besonderheit ist, dass sie den Rrriot Girl-Spirit noch wirklich ernst nimmt. In Deutschland hat sich die Szene zum größten Teil politisiert und ist schrecklich langweilig geworden. Man diskutiert Gender-Themen, hört brav Musik von Frauenbands und bestätigt sich gegenseitig, wie sexistisch Eminem sei. Damit kann Erinç nichts anfangen. Sie steht auf bösen, obszönen, auch Frauen verachtenden Metal, auf Bands wie Brutal Truth, Carcass oder Anal Cunt. Sie kann über den grenzenlosen Schwachsinn, den diese Bands verhandeln, lachen. »Ich mag Political Correctness nicht«, erklärt sie, »sie verhindert Kunst und Kreativität«. Dieses Jahr versuchte sie das erste »Ladyfest« in der Türkei zu organisieren, doch sie wollte auch »groteske und Jungsbands« einladen, was angeblich nicht so recht mit der »Ladyfest«-Ideologie vereinbar sei.

»What Metal Means To Me« heißt dann auch ein Artikel, den ein Mitglied der Rrriot-Girl-Band My Ruin aus Los Angeles für Erinçs Magazin geschrieben hat. Und genau diese Aneignung einer extrem männlich codierten Musik, um die es in dem Text geht, das ist Rrriot Girlism, wie er ursprünglich gedacht war. Die Strategie dieser Bewegung war es eben nicht vordergründig, Feindbilder zu errichten, sondern den Jungs die Felder, in denen angeblich nur sie sich auskannten, schlichtweg streitig zu machen.

Das komplette Magazin von Erinç wirkt derart erfrischend. Es geht um Vielfalt, nicht um etwas von Mädchen für Mädchen, sondern um etwas von Mädchen für alle. Erinç wurdeauch von einer Muslimin kontaktiert, die einen Text über ihre Lieblingsband A Perfect Circle schreiben wollte. Freundinnen von Erinç meinten: Bloß keine Muslimin, das ist der Feind. Doch Erinç nahm den Artikel an. Sie will einfach niemanden ausschließen.

andreas hartmann

Kontakt mit Erinç Güzel: venusxdiablo@yahoo.co.uk