Geliebt und verkauft

Was die türkischen Vornamen über Land und Leute verraten. von esmahan aykol

Unlängst gab es Trubel im Stadtparlament von Ankara. Mit den Stimmen der Mehrheit, die von Mitgliedern der Regierungspartei AKP gestellt wird, wurde beschlossen, die Abdullah-Cevdet-Straße in der türkischen Hauptstadt umzubenennen. Schon immer war diese Straße nach Abdullah Cevdet benannt. Doch dann wurde der Namensgeber zur persona non grata. »Aus diesem Land wird nie etwas Ordentliches hervorgehen. Zur Aufzucht der Nation sollten wir gut aussehende Männer aus Ungarn einführen«, soll Abdullah Cevdet (1869 bis 1932) gesagt haben.

Kein Wunder, dass sich die Gemüter erregten. Und nicht nur das. Er war überdies ein Kurde und ein Freund der Armenier. Und außerdem war er Urheber eines schlimmen Verbrechens: der Übersetzung des Buchs des französischen Orientalisten Reinhardt Dozy mit dem Titel Histoire des Muselmans d’Espagne (1861). Gott behüte: In dem Buch fanden sich ungeheure Verleumdungen des Propheten Mohammed. Die Geschichtsbücher schreiben, dass es nach zahlreichen Protesten im Jahr 1910 von der osmanischen Regierung verboten wurde. Die beschlagnahmten Exemplare wurden in Istanbul von der Galata-Brücke ins Meer geworfen.

Nun wird die Straße nach einem »ordentlichen Mann« benannt werden, nach Professor Yusuf Halacoglu, dem amtierenden Vorsitzenden des Türkischen Geschichtsinstituts, das offiziöse Geschichtsschreibung betreibt, etwa wenn es um die Armenierfrage geht.

Zwar ist es nicht gebräuchlich, Straßen nach noch lebenden Personen zu benennen. Die Namen von Politikern finden sich erst nach deren Tod auf Straßenschildern wieder. Wie Adnan Menderes, der nach dem Militärputsch von 1960 wegen Hochverrats zum Tode verurteilt wurde. Heute sind zahlreiche Alleen, aber auch der Flughafen von Izmir, nach ihm benannt. Doch um die Kurden- und Armenierfrage zurechtzurücken, war es für die frommen Nationalisten kein Problem, die Abdullah-Cevdet-Straße nach einem lebenden und leibhaftigen Ideologen zu benennen.

Im Vergleich zu den Namensänderungen in Osteuropa in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts – in Kroatien gab es zum Beispiel eine Kommission für die Umbenennung von Straßen – kamen die Türken nach der Gründung des Nationalstaats im Jahr 1923 eher glimpflich davon. Zwar kam es 1934 zu einem Gesetz über die »Türkisierung« von Namen, dessen erste Opfer Patisserien und Cabarets waren. So wurde beispielsweise die »Patisserie Loryan« – der Name wurde aus dem französischen »l’orient« entlehnt – in »Baylan« umbenannt; aus der »Passage Mulen Ruj« – »Moulin Rouge« – wurde »Çaglıyan«. Doch dieses Gesetz ermöglichte es, dass man bei der Namensfindung fast grenzenlos kreativ werden konnte – solange die neuen Namen aus dem Türkischen stammten und nicht etwa aus dem Kurdischen.

Vor einem Jahrzehnt kämpften kurdische Eltern darum, ihren Kindern kurdische Namen zu geben, was die Behörden aber ablehnten. Auch die Boulevardpresse beteiligte sich an dieser Auseinandersetzung. In Erinnerung ist der Fall von den Eltern, die für ihre Tochter auf dem kurdischen Namen Rozerin (»Gelber Tag«) beharrten, während der Beamte in diesem Namen die Inkarnation des Bösen erblickte; denn Rozerin war der Name einer Leibwächterin des PKK-Führers Abdullah Öcalan. Heute hat der Staat Frieden mit den kurdischen Namen geschlossen. Im Juni konnte eine kurdische Freundin problemlos ihrer Tochter den Namen Helin (»Vogelnest«) geben, und ihre Schwester, die ebenfalls eine Tochter erwartet, hat den kurdischen Namen Bercem (»Am Rande des Bachs«) ins Auge gefasst.

Nicht nur die kurdischen, sondern auch die türkischen Namen haben oft Bedeutungen, die aus der Sprache der Gegenwart stammen. Auf dem Gymnasium hieß meine beste Freundin Olgun (»Die Reife«), heute heißen meine besten Freundinnen Canan (aus dem Persischen: »Die Geliebte«) und Arzu (»Die Begierde«). Bei meinem Namen, Esmahan, haben meine Eltern Arabisch und Türkisch vermischt. Im Arabischen bedeutet Esma »Namen«, Han bedeutet im Türkischen »Khan«, der »Herrscher«. Somit bin ich eine »Prinzessin der Namen«. Mein Friseur in Istanbul trägt den Namen Ahır, was im Arabischen »Das Ende« bedeutet. Er behauptet, seine Eltern hätten den Namen in einem Rechtschreiblexikon gefunden, ohne seine Bedeutung zu kennen.

Es gibt aber viele, die sich bei der Namensgebung der Bedeutung durchaus bewusst waren, und sogar solche, die bei der Namenswahl den Drang nach Geburtenkontrolle zum Ausdruck bringen. So heißen Mädchen Yeter (»Es reicht!«) und Jungs Dursun (»Es soll aufhören«). Die Frommen haben mit der Namensgebung symbolisch auch der hohen Sterblichkeitsrate unter Kindern den Kampf angesagt. So gibt es Namen wie Yasar (»Er lebt«) und Satılmıs (»Verkauft«, im Sinne von »an Gott verkauft«).

Wenn ein Kind, das Mohammed heißt, stirbt, gibt es tatsächlich Leute, die behaupten, das Kind sei deshalb gestorben, weil der Name des Propheten zu schwer auf ihm gelastet habe. Vielleicht gibt es deshalb kaum den Namen Mohammed in der Türkei, sondern dessen Light-Version Mehmet.

In den siebziger Jahren wurden viele Kinder nach linken Studentenführern benannt, zum Beispiel Deniz (eigentlich: »Das Meer«), Mahir (»Gewandt«) oder Ulas (»Er soll ankommen!«). Oder man nahm gleich politische Begriffe wie Devrim (»Die Revolution«), Barıs (»Der Frieden«), Eylem (»Die Aktion«) oder Özgür (»Frei«).

Aber die revolutionäre Welle ist auch in der Namensgebung längst abgeebbt. Dafür hat man die Religion wiederentdeckt, und Namen wie Merve – so heißt ein Berg in Mekka – gelten jetzt als modern. Die Webseite des Türkischen Statistischen Instituts verrät uns, dass in den achtziger Jahren bei Mädchen am häufigsten solche muslimische und aus dem Arabischen stammende Namen verwendet wurden, die seit Jahrhunderten im Türkischen gang und gäbe waren, etwa Fatma, Ayse, Emine, Hatice und Zeynep. In den neunziger Jahren kamen völlig ungewohnte arabisch-muslimische Namen hinzu, wie Merve, Büsra und Kübra.

Bei Mädchennamen scheint die Experimentierfreudigkeit größer zu sein. Bei Jungen ist man mehr der Kontinuität verpflichtet. Seit 25 Jahren sind die meistverwendeten Namen Mehmet, Mustafa, Ahmet, Ali und Hüseyin. Doch Vorsicht ist auch bei Jungennamen geboten. Ali, Hasan und Hüseyin können auf die religiöse Gesinnung der Eltern verweisen, müssen es aber nicht. Die Namen sind bei den Aleviten sehr beliebt. Nie und nimmer würde ein Alevit aber sein Kind Ömer nennen.

Als mein Partner, der Ömer heißt, ein alevitisches Dorf besuchte, bekam er zu hören, dass er von Gott bereits durch seinen Namen gestraft sei, denn Schiiten und Aleviten zufolge war der Kalif Omar ein Gotteslästerer. Aber die ahnungslosen, säkularen Eltern haben meinem Lebensgefährten den unsinnigen, eklektischen Doppelnamen Hasan Ömer gegeben. Im Iran verschweigt er immer, dass er Ömer gerufen wird, und prahlt mit seinem Namen Hasan.

Oft tragen Namen auch die Bürde schwerer historischer Verbrechen. So ist es bei vielen armenischen Jungen, deren Eltern bei dem Massaker 1915 ermordet wurden und die von muslimischen Familien aufgenommen wurden: Bei dem Personenregister wurde stets als Name des Vaters Abdullah (»Sohn Gottes«) eingetragen. Mit großer Wahrscheinlichkeit entstammt alle Kinder, die vor und während des Ersten Weltkriegs geboren wurden und als deren Vater »Abdullah« angegeben ist, einem armenischen Elternhaus.

Esmahan Aykol ist Krimiautorin. Auf Deutsch erschien von ihr zuletzt »Bakschisch« (Diogenes).