Islamische Slips

Die EU-Politik der AKP von oral çalislar

Je näher der 3. Oktober rückt, desto stärker werden die Spannungen in der Türkei. Die Auseinandersetzung in der politischen Debatte über Themen wie den Zypern-Konflikt, das kurdische Problem, Armenien und den politischen Islam wird schärfer, denn alle diese Fragen sind bedeutsam für die Beitrittsverhandlungen.

Die vielleicht größte Bedeutung hat die Frage, wie gefährlich der politische Islam in der Türkei ist. Die AKP entstand aus einer Tradition des antiwestlichen Ressentiments. Necmettin Erbakan, der bedeutendste islamistische Politiker der neunziger Jahre, bezeichnete seine Widersacher gerne als »Nachahmer des Westens«. Doch die Zeiten haben sich geändert. Tayyip Erdogans AKP und ihre Verbündeten verteidigen die EU. Als Regierungspartei hat die AKP die Vorgaben des IWF und der Weltbank bereitwillig erfüllt. In der Zypern-Frage wagt sie eine kompromissbereitere Politik, bei vielen Themen hat sie alte linke Thesen aufgegriffen und steht modernistischen Strömungen nahe. Aus einer antiwestlichen Bewegung ist eine Partei mit einer prowestlichen Linie hervorgegangen.

Leider hat die Linke in der Türkei die Dynamik dieser Entwicklung nicht wahrgenommen. Sie glaubt weiterhin an die »Sharia-Bedrohung« und hat ihre avantgardistische Rolle eingebüßt. In den vergangenen 20 Jahren hat die Türkei einen tief greifenden wirtschaftlichen Wandel durchgemacht, der auch die Bourgeoisie und das Kleinbürgertum Anatoliens zum Umdenken zwang. Die »anatolischen Tiger«, wie sie auch genannt wurden, haben in der Vergangenheit nur für den Binnenmarkt produziert und Handel getrieben. Ohne internationale Konkurrenz gab es keine Notwendigkeit, die Produktionsmethoden zu modernisieren.

Von dieser ländlich geprägten Führungsschicht dominierte Kleinstädte wie Mahmutpasa waren die Basis der Bewegung Erbakans. Die hier vorherrschenden Handels- und Produktionsmethoden, bei denen es beispielsweise zur Tradition gehört, dass Güter nie zum versprochenen Termin eintreffen, konnten in einer globalisierten, eng mit Europa verbundenen Wirtschaft nicht aufrechterhalten werden. Denn eine eintägige Verspätung brachte nun hohe Schadensersatzforderungen mit sich, ein kleiner Farbfehler konnte zur Rücksendung einer Schiffsladung führen.

Dieser Wandel hat auch den politischen Islam beeinflusst. Die althergebrachten ideologischen Muster waren für Menschen, die nun minutiös und pedantisch arbeiten mussten, nicht mehr zeitgemäß. Die Feststellung, dass die Ideologie durch den Charakter der Produktionsweise bestimmt wird, bewahrheitete sich erneut. Die Produktion wurde modernisiert, die Ideologie konnte nicht unverändert bleiben. Heute stehen in Mahmutpasa Schaufensterpuppen mit BHs und Slips in den Läden.

Auch die anatolische Bourgeoisie will im Handel mit der EU Geld verdienen, dazu passt die alte antiwestliche Ideologie nicht mehr. Die AKP-Regierung hat die Zypern-Politik geändert, um die Beitrittsverhandlungen zu erleichtern, und sie will das kurdische Problem lösen, um die Türkei wirtschaftlich und politisch zu stärken. Mit dieser Politik vertritt sie die Interessen ihrer Wählerschaft, die ihre vormals konservative Überzeugung zu diesem und anderen Streitthemen ändert.

Deshalb ist die Behauptung der Linken falsch, die prowestliche AKP-Politik sei nur »Tarnung«. Die Islamisten ändern sich tatsächlich, und solange die Linke diesen Wandel ignoriert, wird sie aus dem Fahrwasser der despotischen Etatisten nicht herauskommen.

Oral Çalıslar ist Kolumnist der linkskemalistischen Tageszeitung Cumhuriyet.