Sommer der Antiantifa

In der jüngsten Vergangenheit scheinen sich im Osten die Angriffe von Rechtsextremen auf alternative Jugendliche und linke Jugendclubs zu häufen. Manche vermuten einen höheren Organisationsgrad der Neonazis. von peter sonntag

Hallo Nazi« stand in groben Pinselstrichen auf den Fensterscheiben des rundherum in Glas gefassten Gebäudes in der Cottbusser Innenstadt. Der Schriftzug hatte bereits vor der Premiere des gleichnamigen Theaterstückes am 22. September für Aufsehen gesorgt.

In der Nacht zum 23. September wurden 17 Fenster des Kulturpavillons mit Steinen eingeworfen. Ein rechtsextremer Hintergrund wird von der Polizei und der Staatsanwaltschaft nicht ausgeschlossen. Dafür, dass es sich nicht um eine spontane, sondern um eine geplante Aktion handelte, spreche, dass die verwendeten Steine nicht am Tatort herumlagen, sondern von einem Bahndamm herbeigeschafft worden seien, heißt es seitens der Cottbusser Polizei.

Das Drei-Personen-Stück »Hallo Nazi« ist für die Aufführung an Schulen konzipiert und seit dem Jahr 2000 an verschiedenen Orten aufgeführt worden. Ausgangspunkt der Handlung ist ein Überfall von Neonazis auf einen polnischen Automechaniker in einer ostdeutschen Kleinstadt. Ein Täter und das Opfer werden gemeinsam in eine Zelle gesperrt, wo sie auf ihre Vernehmung warten. Der Ankündigungstext verspricht »eine explosive Begegnung hautnah«. Das Stück dauert 50 Minuten, danach ist Zeit für Diskussionen zwischen dem Publikum und dem Regisseur und Schauspieler Michael Becker.

Anschläge und Übergriffe von Neonazis sind in Cottbus nichts Neues. Zuletzt wurde im Mai dieses Jahres der Jugendclub »Fragezeichen« von 20 Neonazis angegriffen (Jungle World, 25/05). Die Angreifer stürmten vermummt und mit Baseballkeulen und Eisenstangen bewaffnet in den Club und schlugen wahllos um sich. Der Angriff deutet auf einen gewissen Organisierungsgrad der Neonazis hin. Drei Anwesende wurden damals verletzt, Einrichtungsgegenstände und Musikinstrumente zerstört. Lokale Gegner der Neonazis vermuten, dass die Kameradschaft »Sturm Cottbus« und ihr Umfeld hinter den jüngsten Attacken stecken. Der Angriff, der vermutlich im Zusammenhang mit einer im Jugendclub »Fragezeichen« geplanten Informationsveranstaltung über die rechte Szene stand, wird als der gewalttätigste der vergangenen Jahre bezeichnet. In diesem Jahr gab es nach Angaben des Vereins Opferperspektive bisher sieben gewalttätige Übergriffe auf Migranten, Linke oder Einrichtungen in Cottbus.

Die Polizei sieht indes keine organisierte Neonaziszene. »Es gibt in Cottbus keine Kameradschaft«, sagt Berndt Fleischer, der Pressesprecher der Cottbusser Polizei. Es handle sich lediglich um lose Verbindungen, und man kenne »sich halt von früher«. Josef Pfingsten, der Sprecher der Staatsanwaltschaft Cottbus, sagt, dass es zum Anschlag auf den Kulturpavillon noch keine Fahndungsergebnisse gebe. Jedoch werde weiter von einem rechten Tathintergrund ausgegangen.

Auf dem Internetportal »Mut gegen rechte Gewalt« des Stern und der Amadeu-Antonio-Stiftung wird berichtet, dass derartige Angriffe in den vergangenen Jahren zwar immer wieder stattfanden, aber seltener geworden seien. In den letzten Monaten drängt sich jedoch der Eindruck auf, dass sich organisierte Überfälle und Anschläge auf Linke und Jugendclubs häufen. Erinnert sei etwa an den Sprengstoffanschlag auf den Jugendclub »Dosto« im brandenburgischen Bernau im Dezember vorigen Jahres (Jungle World, 5/05), den von der Polizei vereitelten Angriff auf einen Jugendclub in Premnitz im Havelland oder mehrere Vorfälle in Potsdam in diesem Sommer (Jungle World, 28/05).

Zwar ist seit Jahren zu beobachten, dass die Anzahl rechter Übergriffe jeweils in den Sommermonaten ansteigt; der Organisationsgrad der Täter scheint jedoch eine neue Qualität zu haben. Die »Phase der blöden Rechten ist vorbei«, sagte im Mai dieses Jahres der Cottbusser Amtsgerichtsdirektor Wolfgang Rupieper. Für ihn sei der Überfall auf den Jugendclub »Fragezeichen« ein Anzeichen dafür, dass sich in der rechten Szene ein »gefährlicher Wandel« vollziehe. Selbst im Brandenburger Innenministerium, das bis vor kurzem rechtsextreme Straftaten notorisch herunterspielte, ist man inzwischen dieser Erkenntnis näher gekommen. Wolfgang Brandt, der stellvertretende Pressesprecher im Innenministerium Brandenburg sagt: »Es gibt in Cottbus Ansätze rechtsextremer Strukturierungen, die allerdings eine geringe Halbwertszeit haben.« Insgesamt könne in Brandenburg, kein Anstieg der organisierten Gewalt gesehen werden. »Lediglich bei den Auseinandersetzungen in Potsdam im Sommer waren es Aktionen, bei denen man von einem gewissen Organisierungsgrad sprechen kann.«

Aus anderen Städten wird zum Ende des Sommers von anwachsender rechter Gewalt berichtet. In Wolgast in Mecklenburg-Vorpommern überfielen drei Rechte einen Jugendlichen Ende August bei ihm zu Hause. Wie der Verein Lobbi, eine Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, bekannt gab, schlugen die Angreifer auf den Jugendlichen ein, nachdem er die Tür geöffnet hatte, und drohten ihm weitere Gewalt an. Er erlitt bei dem Angriff Verletzungen im Gesicht und Prellungen am Hinterkopf. Der Jugendliche sei bereits im Sommer von Neonazis angegriffen, beschimpft und geschlagen worden. Danach habe es immer wieder Drohungen und Hakenkreuzschmierereien am Haus der Familie gegeben. Die »unverhohlenen Drohungen und Einschüchterungen« seien ein Zeichen dafür, dass sich die rechte Szene in Wolgast sicher zu fühlen scheine, sagt Katrin Bredeke von Lobbi. »Seit der NPD-Funktionär Christian Deichen in Wolgast ein Internetcafé eröffnet hat, gibt es einen neuen Treffpunkt für die rechte Szene.« Es stelle ein sehr großes Problem dar, »dass immer mehr Rechte kommen und die alternativen Jugendlichen aus Wolgast wegziehen«. Für die gibt es kaum Angebote.

In Cottbus haben die Täter ihr Ziel jedoch nicht erreicht. Am Tag nach der Attacke auf den Kulturpavillon fand wie geplant die nächste Vorstellung statt.