Deutsch bis zum Grab

Der deutsche Nationalismus bestand vor 50 Jahren im Saarland seine erste Probe nach 1945. Von Stefan Ripplinger

Das Saargebiet war vor dem Aufbau der Schwerindustrie und ist nach ihrem Rückbau ein zu vernachlässigender Landzipfel zwischen Elsass, Lothringen, Luxemburg und der Pfalz. Vorher existierte es noch nicht einmal als Territorium, sondern war Anhängsel Frankreichs, Preußens, Bayerns. Hernach ist mit einigem Recht gefragt worden, ob es nicht ebenso gut von Mainz oder Wiesbaden aus regiert werden könnte.

In den Jahrzehnten aber, in denen die Schwerindustrie in vollem Betrieb war, gehörte das Saarrevier zu ihren wichtigsten Standorten in Europa. Nach dem Ersten Weltkrieg unterstand es politisch der Kontrolle des Völkerbunds, wirtschaftlich der Frankreichs und kulturell der des Vatikan. Der Versailler Vertrag hatte für das Jahr 1935 ein Referendum darüber anberaumt, ob es bei diesem Status quo bleiben oder das Gebiet Frankreich oder Deutschland zufallen solle. Alle Länder und Parteien entsandten ihre besten Agenten und Agitatoren, und als die Nazis, nicht ohne Terror und Tricks, die Abstimmung für sich entschieden hatten, war Polen offen. Die Anschlüsse und Annexionen, die folgten, wären ohne die Einverleibung des Saarlandes anders verlaufen, jedenfalls aber später gekommen.

»Ein Volk, das sich wiederholt so elementar geirrt hat, wie das Volk an der Saar, möchte keine Entscheidung selbst treffen«, behauptete Alfred Levy, der Verfasser der saarländischen Verfassung. (Fischer) Doch er irrte, die Saarländer wollten sich noch einmal elementar irren. Am 23. Oktober 1955 strömten sie fast vollzählig zu den Urnen, begruben das zwischen Frankreich und der Bundesrepublik vereinbarte Saarstatut und eilten heim ins Reich.

Die Frage, wohin das Saarland gehört, stand also 1955 offiziell gar nicht zur Abstimmung, sondern ein Statut, nach welchem bis zu dem Tag, an dem ein Friedensvertrag Näheres regele, ein »europäischer Kommissar die Vertretung der Saarinteressen auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten und der Landesverteidigung« wahrnehmen, die Wirtschaftsbeziehungen zu beiden großen Nachbarstaaten sich »gleichartig« gestalten und in allen innenpolitischen Ressorts saarländische Repräsentanten walten sollten. Kaum ein Wahlberechtigter hat dieses Statut gelesen. Man wollte ein zweites Mal Deutschland wählen und zwang so die Volksabstimmung in eine gespenstische Wiederholung von 1935.

Über dieser zweiten Abstimmung liegt, obwohl auch sie seinerzeit in ganz Europa aufmerksam beobachtet wurde, ein Nebel. Sowohl den Verlierern als auch den Gewinnern lag daran, die unglaublichen Szenen, die sich abgespielt hatten, ins Vergessen sinken zu lassen. Viele setzten ihre politischen Karrieren fort, andere zogen sich ängstlich zurück.

Johannes Hoffmann, der der ersten gewählten Saar-Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg präsidierte, wird noch heute, 50 Jahre nach seiner Niederlage und fast 40 Jahre nach seinem Tod, von Einheimischen gehasst, die statt Herzen Schwenkbraten in der Brust tragen. »Man braucht nur lange genug zu warten, dann kann man aus Besatzern Befreier, aus Deserteuren Helden, aus Emigranten Widerstandskämpfer, aus einem, der sein Land an Besetzer verkuppeln will, einen gottesfürchtigen Landesvater machen«, heißt es in einer Zuschrift an die Lokalzeitung, nachdem eine Gedenktafel für Hoffmann angebracht worden ist. Ein anderer Leserbriefschreiber entrüstet sich, dass ein »Mann, dessen Ziel es war, das Saarland auf immer von seinem angestammten Vaterland zu trennen«, einem Platz seinen Namen geben soll (Gestier 2004).

Keinen Widerspruch erregt es hingegen, dass Straßennamen die Erinnerung an Hoffmanns Gegenspieler Franz von Papen und an jenen glorreichen Tag wach halten, an dem die Saar den Nazis in die Hände fiel. »Vom Schlachthof zur Polizeikaserne / die Straße des 13. Januar in Saarbrücken. / Seit neunzehnhundertfünfunddreißig.« (Arnfrid Astel)

Im Zentrum

Johannes Hoffmann ist der Sohn eines Bergmanns, zugleich katholisch, patriarchalisch, monarchistisch, sozial engagiert ist das Milieu, aus dem er stammt. Der Vater tritt als »Knappschaftsältester, örtlicher Leiter einer genossenschaftlich organisierten Bank und Gemeinderatsmitglied« (Schleiden) und damit in jenen Gremien auf, in denen ein seit Bismarcks Kulturkampf an Selbstbewusstsein gewinnendes katholisches Proletariat und Kleinbürgertum seine Rechte geltend macht.

Seine politische Erweckung erlebt der damals 21jährige Sohn, als 1912 Bartholomäus Koßmann in den Reichstag gewählt wird. Der aus bitter armen Verhältnissen stammende Koßmann tritt an gegen die »saarabische Reaktion«, für die Hüttenarbeiter, die in Zwölf-Stunden-Schichten arbeiten müssen, bekennt sich zugleich gegen Streiks und zum »Vaterland«. So überzeugt er auch die evangelischen Bauern und gewinnt knapp gegen den nationalliberalen Mandatsinhaber, General Conrad von Schubert, einen Schwiegersohn des Freiherrn von Stumm-Halberg. (Bost)

50 Jahre später erinnert sich Hoffmann: »Wie gingen damals die Wogen der Begeisterung hoch in Saarabien! Als das Resultat bekannt wurde, stürmten wir jugendlichen Bewunderer des katholischen Arbeiterkandidaten, der sich in vielen Wahlversammlungen tapfer geschlagen hatte, in den Kirchturm und läuteten die Glocken.«

Der Sieg Koßmanns, der ein Weggefährte Hoffmanns werden soll, ist politisch nicht viel, symbolisch alles wert. Denn er scheint dafür zu stehen, dass der Industriellen-Absolutismus zu wanken beginnt. Drei große Konzerne herrschen über die Wirtschaft, zwei große Industrielle wie Fürsten über die Bewohner. Neben den Dillinger Hüttenwerken sind das Gebrüder Stumm in Neunkirchen und die Röchlingschen Eisen- und Stahlwerke in Völklingen.

Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg, der »Scheich von Saarabien« (Friedrich Naumann), beschäftigt die Arbeiter nicht, er besitzt sie. Statt sich zu organisieren, soll sich ein jeder mit seinem Anliegen direkt an ihn, den Vater der Fabrik, wenden. Darin besteht seine »strenge protestantische Ethik« (Conrad). Politische oder gewerkschaftliche Betätigung ahnden Stumms Betriebe mit sofortiger Kündigung, den Hinweis auf das Elend der Bergleute und Stahlarbeiter duldet er nicht einmal von den evangelischen Geistlichen, denen er eine Kirche bauen lässt.

So väterlich und heimatverbunden sich die Großindustriellen von der Saar geben können, so deutschnational empfinden sie und schmieden Deutschlands und bald auch Hitlers Waffen. Hermann Röchling lässt während des Ersten Weltkriegs in besetzten Gebieten Frankreichs Stahlwerke – zu Gunsten seiner eigenen – demontieren und Stahlarbeiter verkrüppeln (Stanley). Als einziger Industrieller duldet er auch in den zwanziger Jahren keine französische Kapitalbeteiligung, er stellt sich an die Spitze derer, die den Anschluss an Nazi-Deutschland fordern, baut für Hitler die V 3-Kanone, wird von ihm zum Leiter der Wehrwirtschaft und zum Vorsitzenden der Reichsvereinigung Eisen ernannt, organisiert die Versklavung von Arbeitern in den besetzten Ostgebieten.

Sein Werk in Völklingen verfügt dann sogar über ein eigenes Umerziehungslager, in dem ungezählte Sklavenarbeiter zu Tode kommen. Als ein Journalist sich im Jahr 2000 nach diesem zweifachen Kriegsverbrecher erkundigt, haben die Völklinger nur Gutes über ihn zu berichten: »Er kam hier mit dem Pferd hochgeritten und hat an die Kinder Geschenke verteilt.« (Humbs)

Das Unbehagen der katholischen Politiker an solchen Landesfürsten entzündet sich an ihrer Selbstherrlichkeit. Es schließt weder umstürzlerische noch antinationale Momente in sich. Johannes Hoffmann selbst beweist sich als deutscher Patriot und nimmt als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil. Sein Studium der Philosophie und Volkswirtschaft bricht er ab und tritt als Journalist in die Dienste der Zentrumspartei. In den zwanziger Jahren wirbt er für eine Eingliederung des Saarlandes ins Deutsche Reich.

Doch dieses Reich ist die Weimarer Republik, und als Journalist in Berlin sieht er sich nun mit jenen Elementen im politischen Katholizismus konfrontiert, die, ihrer Herkunft gemäß, von den Rechten selbst frommer Arbeiter nicht viel und gar nichts von der Republik halten, allen voran mit dem Herrenreiter Franz Joseph Hermann Michael Maria von Papen, Erbsälzer zu Werl und Neuwerk.

In ihm mag er die Fürsten aus Stahl und Eisen wiedererkannt haben, die um nationaler Ambitionen willen Menschenmaterial verheizen. »Für Hoffmann war Papen ein Intrigant, ein Spieler, eine lächerliche Figur aus dem Dunstkreis der Herrenclubs und der Adelskorporationen« (Heinrich Küppers in Gestier 2004). Nachdem von Papen als Reichskanzler Adolf Hitler die Tür geöffnet und die Machtübergabe arrangiert hat, organisiert er als »Saarbevollmächtigter« die Eingliederung des Reviers und bald auch Österreichs. Nebenbei sorgt er für die Entlassung Hoffmanns als Chefredakteur der Saarbrücker Landeszeitung, als dieser statt des bestellten Jubels zu »ein Jahr Hitler« antikatholische Äußerungen des NS-Landesleiters veröffentlicht.

Die Entlassung ist der Wendepunkt, 10. Februar 1934. Hoffmann lässt alle Rücksichten fahren und handelt fortan nach der Maxime »Primo deus, deinde parentes et patria« (erst Gott, dann Familie und Vaterland). In dem Satz des Thomas von Aquin liegen Einsamkeit und Exil beschlossen, die von nun an sein Leben bestimmen werden. Gegen den Protest des völkischen Trierer Bischofs Franz Rudolf Bornewasser, zu dessen Diözese er gehört, gründet Hoffmann ein Oppositionsblatt, die Neue Saarpost, er schließt Freundschaft mit dem Sozialdemokraten Max Braun und formiert die katholische Opposition gegen den Anschluss. Nur eine kleine Schar folgt ihm.

Selbst Koßmann, obwohl als Minister der Regierungskommission in Diensten des Völkerbunds, fordert den Anschluss »trotz Hitler«. Schließlich überzeugt der Hirtenbrief der niederrheinischen Bischöfe zu Weihnachten 1934 die meisten der wenigen Zweifler und Rechtschaffenen unter ihren Schäfchen: »Als deutsche Katholiken sind wir verpflichtet, für die Größe, die Wohlfahrt und den Frieden unseres Vaterlandes uns einzusetzen. Unsere wirksamste Hilfe ist das Gebet. Deshalb verordnen wir, dass an genanntem Sonntag in allen Kirchen nach dem allgemeinen Gebet 3 Vaterunser und Ave Maria mit den Gläubigen gebetet werden, um einen für unser deutsches Volk segensreichen Ausgang der Saarabstimmung zu erflehen.« (Gestier 1991)

Aus dem Exil

Nach dem 13. Januar weiß Hoffmann, dass er fliehen muss. Im Zuge ihrer Säuberungen hat die Naziführung bereits im Frühjahr 1934 etliche katholische Funktionäre, darunter Erich Klausener, von Papens rechte Hand, und andere aus seinem Zirkel ermorden lassen. Auf Hoffmann ist im September ein Anschlag verübt worden, der aber fehl geht. Noch im Januar übersiedelt er nach Luxemburg, wo er eine Zeitlang Schweine züchtet.

Das deutsche Regime lässt seine Verbindungen spielen, erreicht Hoffmanns Ausbürgerung. Er wird von seiner Familie getrennt, flieht weiter nach Paris und arbeitet von dort aus für das antifaschistische Radio Strasbourg. Die Deutschen rücken nach, die Gestapo im Gefolge. Nach Hoffmann wird gefahndet. Im Mai 1940 gelingt es ihm, bei den Oblatenpatres in Südfrankreich unterzutauchen. Doch auch Vichy-Frankreich beginnt mit Säuberungen und Deportationen.

Hoffmanns Flucht nach Brasilien ist filmreif. Die Szene spielt zunächst in der Schweiz, wo sein Kampfgefährte Hermann Görgen 45 Verfolgten, vor allem Juden, einen Weg ins Freie bahnt. Weil die Schweiz dazu übergeht, das Juden-J in Ausweispapiere zu stempeln, ein zunächst aussichtslos erscheinendes Unternehmen. Doch Görgen nutzt alle ihm zu Gebote stehenden internationalen Verbindungen. Der chinesische Gesandte Hoo-Chi Tsai stellt den Kontakt zum brasilianischen Generalkonsul her, Pfarrer Franz Weber fälscht Ariernachweise, der im Londoner Exil lebende tschechische Präsident Eduard Benes fertigt Pässe aus, für Transitvisen sorgt Papst Pius XII.

Die Gruppe, darunter der Schriftsteller Ulrich Becher, reist, so ausgewiesen, in einem plombierten Eisenbahnwagen durch Vichy-Frankreich und das faschistische Spanien ins neutrale Portugal. Auch für Ján Jácub Hoffmann sind Papiere ausgestellt, mit denen er sich nach Portugal durchschlagen muss, was ihm in letzter Minute gelingt. Eine »furchtbare Nerven- und Seelenqual« (Hoffmann) ist vorüber, das Schiff legt ab. Es beginnen schwierige, aber ruhige Jahre in Rio de Janeiro.

Nach der Kapitulation der Wehrmacht gehört Hoffmann zu den Ersten, die zurückkehren. Das Saarland ist von den Amerikanern besetzt, die Hans Neureuther zum Regierungspräsidenten ernannt haben, »ein feinnerviger, hochgebildeter, toleranter und korrekter Jurist, der aus rassischen Gründen im Dritten Reich viel zu leiden hatte. Ich machte ihm in den ersten Tagen einen Besuch und blieb seitdem in stetem Kontakt mit ihm.« (Hoffmann)

Mit Billigung der Amerikaner und der Franzosen, die bald die Aufsicht übernehmen, leitet Neureuther die Abtrennung des Saargebietes ein. General de Gaulle will unter allen Umständen ein neues »Reich centralisé« verhindern, sein Außenminister Georges Bidault erklärt, dass »wir beabsichtigen, Deutschland endgültig der Gebiete zu berauben, die ihm bisher als Waffenkammer und als Sprungbrett für den Angriff nach Westen gedient haben« (Hoffmann).

Die Verfolgten der Nazis begreifen dieses Misstrauen nur allzu gut. Hoffmann ist in dem Bewusstsein zurückgekehrt, dass die Grenzen »verspielt« sind und das Saarland mit gutem Recht auch an Frankreich fallen könnte. Die neuere Nationalgeschichtsschreibung hingegen nennt Neureuthers Wirken »staatsstreichartig« (Pohlmann), und als ebenso unbelehrbar erweisen sich bereits die Deutschen nach 1945, die sich aber ihre Aversion gegen die Alliierten tunlich nicht anmerken lassen. Auch die erste Regierung Hoffmann findet Zustimmung, denn sie sorgt für eine baldige Besserung der wirtschaftlichen Lage.

Von den acht Mitgliedern des ersten gewählten Kabinetts besitzen nur zwei keine Emigrationserfahrung. Bartholomäus Koßmann, der nach Gestapo- und KZ-Haft – die Nazis verdächtigen ihn der Nähe zum Kreis um Carl Goerdeler und Jakob Kaiser – ein Bein verloren hat, wird Ehrenvorsitzender der CVP, die im Saarland das Erbe des Zentrums antritt.

Der alte Kämpe erregt den Unmut des Gouverneurs Gilbert Grandval, als er sich zu einem »Rebellen« für die »Freiheit des Saarvolks« aufschwingt. (Bost) Doch er kann sich in der Partei nicht mehr durchsetzen. Mit ehemaligen Verfolgten, mit Katholiken und sogar mit Kommunisten besetzt Hoffmann die Verwaltung; mit den saarländischen Sozialdemokraten (SPS) bildet er trotz der absoluten Mehrheit seiner CVP eine Koalition. Vom Vaterland wollen er und die meisten seiner Koalitionäre und Gefolgsleute nichts mehr wissen. In geduldigem Verhandeln mit Paris und Bonn betreiben sie die Europäisierung der Saar.

Obwohl kein einfacher Partner, duldet Grandval diesen Prozess, ja er befördert ihn sogar. Grandval ist als Hirsch-Ollendorff geboren, hat in der Résistance seinen jüdischen Namen abgelegt und behält den nom de guerre auch später bei. Dass er trotz dieser Vergangenheit der Bewegung für einen Anschluss an Frankreich, dem von Emigranten gegründeten MRS, seine Unterstützung versagt, erscheint unter dem Blickwinkel der Geschichte und der Macht als ein Fehler, nicht jedoch unter dem der Demokratie. Undemokratisch ist hingegen, dass Hoffmann, gedeckt von Grandval, alle prodeutschen Parteien verbieten lässt. Doch hätte er die Nationalisten gewähren lassen, wäre das Land schon vor 1955 an den Rand des Bürgerkriegs getrieben worden.

Nach Europa

Als drei Monate vor der Abstimmung über das Saarstatut auch die deutschen Parteien wieder zugelassen werden müssen und Konrad Adenauer, ein Europäer teils aus Einsicht, teils aus Rücksicht, mehrfach für dessen Annahme plädiert (er erhofft sich Hoffmanns Abgang von der nächsten Landtagswahl), formiert sich der »Deutsche Heimatbund«.

Wie vor 1935 die »Deutsche Front«, vertritt er nahezu alle nationalen Kräfte: die CDU-Saar, die sich in einem gewissen Gegensatz zu Adenauers offizieller Politik, aber im Einklang mit Jakob Kaiser, inzwischen Minister für gesamtdeutsche Fragen, befindet, die SPD, befeuert von der nationalistischen Politik der Bundespartei, und schließlich die DPS, wie ihre Schwesterpartei FDP nationalliberal orientiert und Sammelbecken alter Nazis.

Die KP spielt eine Sonderrolle. Nach dem Krieg weiß sie sich wie CVP und SPS frei von nationaler Sentimentalität und trägt die Zoll- und Währungsunion mit, schon allein um den Lebensstandard der Arbeiter zu heben. Hoffmann tritt in dieser Zeit gemeinsam mit KP-Kadern auf. (Pohlmann) Aber indem sich Moskau neu orientiert, orientieren sich auch die saarländischen Kommunisten neu und optieren schließlich gegen eine Westbindung und für ein wiedervereinigtes sozialistisches Deutschland. Dennoch werden sie nicht verboten und sind von 1950 bis Mitte 1955 die einzige oppositionelle Partei, wenn auch bei neun Prozent Stimmenanteil keine allzu gefährliche.

Im Abstimmungskampf stehen die Kommunisten, obwohl sie sich dem Heimatbund nicht anschließen wollen, diesem in nichts nach. Die Lehren von 1935 sind vergessen, man marschiert nun mit den Nationalisten, die ihre Lokale mit Deutschlandfahnen schmücken und ihre Kundgebungen mit dem Deutschlandlied und mit »Deutsch ist die Saar« beschließen: »Deutsch ist die Saar, deutsch immerdar! Und deutsch ist unsres Flusses Strand und ewig deutsch mein Heimatland.« Die zweite Strophe beginnt mit »Deutsch bis zum Grab«.

Sowohl Gewerkschaften als auch Kirchen unterstützten die deutschen Parteien. Zunächst mit Blick auf die Vorratskammer der Ausrichtung auf Frankreich nicht abgeneigt, schlägt die IV Bergbau bald patriotische Töne an. Ihr Vorsitzender Aloys Schmitt lehrt, die saarländische »Volksseele« fühle deutsch. (Freymond) Paul Kutsch, Präsident der Einheitsgewerkschaft, bemüht ein biblisches Bild: »Wir lehnen es ab, als Lamm auf dem Altar Europas geopfert zu werden.« (Schneider)

Den Ausschlag gibt wie schon 1935 die Kirche. Evangelische Pfarrer verfassen ein Flugblatt: »Gott wende unsere Entscheidung zum Segen durch die endgültige Heimkehr der Menschen an der Saar zum angestammten deutschen Volke! Das walte Gott in Gnaden!« Doch entscheiden kann in einem zu drei Vierteln katholischen Land nur der katholische Klerus. Unbeirrt von den grausigen Folgen, die seine Einlassung schon während der ersten Abstimmung gezeitigt hat, verkündet Erzbischof Bornewasser bereits 1947: »Vaterlandsliebe bedeutet Treue. Wer die Treue bricht, ist ein Verräter.« Ein Wort, das gegen die Emigranten gewendet wird.

Den Heiligen Geist beleidigt ein Studentenseelsorger der Universität, der einen Monat vor dem Referendum predigt: »Wer nicht an den Geist glaubt, an den Geist der Einheit, der wird auch an der Trennung, an der Aufspaltung, an der ungesunden Aufspaltung unseres Volkes festhalten. Wer aber davon überzeugt ist, dass das deutsche Volk wie das russische und das englische und das französische eine Idee Gottes ist, der wird nicht anders können, und er wird nicht eher ruhig sein, bis diese Einheit wiederhergestellt ist, und zwar aus dem Geiste, aus dem Pneuma heraus und nicht aus dieser verderblichen Materie der Aufspaltung und der Trennung.« (Gestier 1991)

Die Predigt wird vom Saarländischen Rundfunk übertragen, den zu dieser Zeit Hermann Görgen leitet; er beruft den für die Morgenandachten zuständigen Prediger ab.

In der Falle

Der heimtückischste Agitator findet sich aber in den Reihen der DPS. Heinrich Schneider, ein Anwalt aus Saarbrücken, tritt bereits 1930 in die NSDAP ein, wird 1933 Leiter der Saarabteilung. Wie viele Helden unserer kleinen Geschichte »ereilen ihn die Geister, die er rief« (Fischer), er wird 1937 von der Partei ausgeschlossen, ficht aber den Ausschluss an. Zusammen mit dem Unternehmer Richard Becker, vormals Zentrum und NSDAP, gelingt es ihm, die DPS 1950 auf nationalen Kurs zu bringen – worauf Hoffmann sie verbieten lässt.

Schneider »versteht es, zu den Massen zu sprechen, mit aller Maßlosigkeit, die dazugehört. Er besitzt dieses Feuer der Volkstribunen, denen kein Satz zu widerlich ist. Und diese rednerischen Fähigkeiten, zusammen mit seiner starken politischen Persönlichkeit, lassen ihn bald zur Personifikation der prodeutschen Bewegung an der Saar werden. (Er) wird als ein Mann gesehen, der in Treue am deutschen Vaterland festhält. Dafür dient ihm sogar seine Nazi-Vergangenheit, gegen die die englischen und französischen und auch manche deutschen Zeitungen wettern. Er versucht diese Zeit nicht zu verbergen, sondern stellt sie im Gegenteil aus, behält ihre Phraseologie bei und veröffentlicht in der ersten Nummer der Deutschen Saar ein Foto, das ihn in der Uniform der Hitlerpartei zeigt.« (Cahn)

Er lanciert nicht nur den überaus erfolgreichen, auf den beleibten Hoffmann gemünzten Slogan »Der Dicke muss weg!«, seinem chauvinistischen Geist sind Broschüren wie »Die Saar = eine Kolonie Frankreichs?« und das Plakat »1939-45 hetzten sie gegen Deutschland – Heute missbrauchen sie unsre Toten« entsprungen; darauf zu sehen ist Hoffmann bei einem Radio-Auftritt in Paris, darunter ein toter Wehrmachtssoldat.

Das Motiv gehört zu Schneiders Antwort auf das Großplakat der CVP »Sie sind wieder da, die Nationalisten, aber nicht wieder da sind die 52 Millionen Toten!« Er kontert »mit zwei Gegenplakaten, indem wir die Tätigkeit einiger Politiker des Regimes an ›Feindsendern während des Krieges‹ gegen Deutschland herausstellten«. Auch an ein anderes Plakat erinnert er sich noch 20 Jahre später gut: »Der von unserem Landstuhler Freund, Professor Hans Schweitzer, gezeichnete Entwurf mit einem Kopf des saarländischen Arbeiters, dem eine blau-weiß-rot gekennzeichnete Hand den Stahlhelm der französischen Armee aufdrückt, war ein besonders wirkungsvolles und aussagekräftiges Plakat. Umsonst versuchte die Gegenseite später, diese Aussage zu dementieren, es nutzte nichts mehr.«

Der Historiker Markus Gestier erläutert: »Besonders wirksam, da die Massen emotionalisierend, war die Behauptung des Heimatbundes, bei der Annahme des Statuts müssten die jungen Saarländer später in Nordafrika Kriegsdienste leisten. Obwohl diese Behauptung jeglicher Grundlage entbehrte, verfing dieser von den Ja-Parteien als ›Marokkolüge‹ bezeichnete Propagandatrick.«

Die DPS und der Heimatbund prangern den »Verrat« an, den 1935 die Gegner des Anschlusses begangen hätten. Hoffmann und seine Freunde stellen sie als Büttel der Franzosen hin. Und das ist mehr als ein Propagandatrick, es ist tiefe Überzeugung. Noch kurz bevor ihm der Tod die Feder aus der Hand nimmt, notiert Schneider: »Eine der ersten französischen Entscheidungen war, Johannes Hoffmann aus seinem freiwilligen Asyl in Brasilien zurückzurufen, offensichtlich in der Absicht, ihn zum saarländischen Repräsentanten ihrer Politik zu machen.«

So angeheizt, eskaliert der Abstimmungskampf. Auftritte Hoffmanns gehen in Pfeifkonzerten und Schlägereien unter, er selbst kann mehrmals nur mit Hilfe der Polizei – von seinen Widersachern nach dem saarfranzösischen Innenminister Edgar Hector »Hectorpolizei« genannt – dem Mob entkommen. Häuser, in denen Befürworter des Statuts wohnen, werden mit »Separatist« und »Verräter« beschmiert, sie selbst tätlich bedroht. Wie 1934 wird auch 1955 ein Anschlag auf Hoffmann versucht. Doch wenn auch in dem Bekennerschreiben von »Ihrem Verrat« die Rede ist, ist der Attentäter kein Anhänger Schneiders oder Bornewassers, sondern ein Agent des DDR-Geheimdienstes.

Die internationale Öffentlichkeit zeigt sich von dem »im Abstimmungskampf angeschlagenen Ton zutiefst angewidert und beunruhigt« (Cahn), Kanzler und Kirche mahnen zur Mäßigung. Hoffmann erwägt, das Statut preiszugeben, um der Verfälschung und Verdrehung ein Ende zu setzen, hält aber dann doch an ihm fest. Unterdessen fallen immer mehr CVP-Funktionäre, selbst der Finanzminister, vom glücklosen Präsidenten ab und gehen mit fliegenden Fahnen zur CDU über. Kurioserweise gehört zu seinen wenigen Unterstützern die Industriellenfamilie Boch-Galhau (Villeroy & Boch), in die Franz von Papen eingeheiratet hat. Man fürchtet um den Absatz in Frankreich und empfiehlt den Beschäftigten das »Ja«.

Rückkehr der Röchlings

Das Referendum, das unter internationaler Aufsicht steht, endet, wie nun nicht mehr anders zu erwarten: 67,7 Prozent lehnen das Statut ab. »Ich hatte in offener Feldschlacht verloren«, resümiert Hoffmann. Noch in der Nacht zum 24. Oktober tritt er zurück. Seine Feinde streuen die Lüge, er hätte die Franzosen zum Einmarsch aufgefordert. Mit der Landtagswahl im Dezember haben die deutschen Kräfte gesiegt, ab dem 1. Januar 1957 ist das Saarland Teil der Bundesrepublik. Die KP wird verboten, Hoffmann der Zutritt zum Landtagsgebäude nicht länger gestattet, und die jungen Saarländer sind wehrpflichtig geworden, denn eine Armee gibt es ja schon wieder.

Auch Röchling ist bald wieder da. Zwar nicht der alte Kommerzienrat und Kriegsverbrecher Hermann Röchling, der, bereits 1951 aus der Haft entlassen, zwei Monate vor der Saar-Abstimmung stirbt – in Mannheim, denn an die Saar darf er nicht zurückkehren. Aber doch die Firma, um deren Besitz im Frühjahr 1955 ein Streit zwischen Frankreich, Deutschland und dem Saarland entbrannt ist.

Die Familie Röchling versucht seit Kriegsende, ihres Besitzes wieder habhaft zu werden, und droht mit dem Verkauf ihrer Anteile. In Frankreich wird eine »solution de force« verlangt, die Röchlings sollen ein für alle Mal von ihrem Besitz getrennt werden, damit das »explosive Gemisch aus deutschem Nationalismus und industriellem Kapitalismus« (Freymond) nicht wieder angerührt werden kann. Die Regierung Hoffmann will die Hütte nicht verstaatlichen, wie es die saarländischen Sozialdemokraten fordern, und bevorzugt eine Dreierlösung, nach welcher der größere Teil Frankreich und die andern beiden dem Saarland und der Familie zukommen sollen. Mit diesem Ziel verhandelt sie.

»Umso überraschter waren wir, als wir von der Zustimmung Röchlings zur Absprache Pinay-Adenauer erfuhren. Die Familie Röchling habe, wie es hieß, ›aus nationalen Gründen‹ nachgegeben.« (Hoffmann) Nun sollen der Konzern zwischen Frankreich und der Bundesrepublik geteilt, die Röchlings mit 200 Millionen Schweizer Franken abgefunden werden. Gilt der Satz »Wer Röchling hat, hat die Saar«, dann ist Hoffmann ab diesem Moment ein König ohne Land.

Nach dem Fall des Saarstatuts ist die Vereinbarung Makulatur. Die neue Landesregierung sorgt und zahlt zügig für die Rückkehr der Röchlings. Der neue Präsident, Hubert Ney (CDU), ist Hermann Röchling seit langem verbunden, ebenso ist es Heinrich Schneider: »Ich sah in dem ›Fall Röchling‹ vor allem die Erfüllung einer Treupflicht. (Wenn) einer Familie aus unserem Volke wegen ihres politischen Einstehens für Deutschland wirtschaftliches Unrecht geschehen sollte, dann mussten wir alle zusammenstehen!«

Der globalisierte Kapitalismus entschärft auch dieses Arsenal. Kohle und Stahl wird woanders billiger produziert, die Schwerindustrie lässt sich selbst mit hohen Subventionen nicht retten. Die Saar wird zu einem jener randständigen Gebiete, die den Länderfinanzausgleich belasten. Die Prophezeiung der CVP-Politiker, bald werde das Land eines sein, über das zu reden sich nicht mehr lohne, trifft ein. Doch lohnt sich noch immer, darüber zu reden, wie das geschehen konnte. Denn lange vor der zweiten Wiedervereinigung hat die erste gezeigt, wes Geistes die nationalen Kräfte in Deutschland sind, und dass die antinationalen ihnen nicht viel entgegenzusetzen haben.

Wenn nicht nazistische, so sind es völkische Prinzipien, die über die geschichtlich-politischen gesiegt haben. Die Verbundenheit der Saarländer mit Frankreich begründet schon 1918 André Tardieu, der spätere Außenminister, damit, dass sie an der Französischen Revolution teilgenommen haben. »Für das französische Geschichtsbewusstsein«, kommentiert der Diplomat Per Fischer, »werden die Saarländer durch diesen Akt zu Gliedern der Gemeinschaft der Franzosen. Weder Blut noch Sprachzugehörigkeit verlangt die französische Nation von ihren Kindern, sondern die Mitwirkung an der ›Großen Revolution‹.«

Doch die Knechtschaft, die vorauf geht und die folgt, auch die unter französischen Herren, hat aus Saarfranzosen Deutsche gemacht. Es ist merkwürdig, dass sich Funken jener säkularen Revolution ausgerechnet im Saar-Katholizismus erhalten haben, wo sie, trotz oder gerade wegen der Versuche des preußisch-protestantischen Nationalstaates, sie zu ersticken, noch einmal aufglühen, doch nur, um endgültig zu verlöschen.

Literatur

Klaus Altmeyer: Artikel Johannes Hoffmann. In: Neue Deutsche Biographie. Neunter Band, Hess-Hüttig. Berlin 1972

Reinhold Bost: Bartholomäus Koßmann. Christ – Gewerkschaftler – Politiker. 1883–1952. Mit einem Vorwort von Peter Müller. Blieskastel 2002

Jean-Paul Cahn: Le second retour. Le rattachement de la Sarre à l’Allemagne 1955–1957. Bern usw. 1985

Joachim Conrad: Artikel Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg. In Traugott Bautz: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. www.bautz.de

Oswald Dutch: The Errant Diplomat. The Life of Franz von Papen. Mit einer Einführung von Captain von Rintelen. London 1940

Per Fischer: Die Saar zwischen Deutschland und Frankreich. Politische Entwicklung von 1945 bis 1959. Ffm., Berlin 1959

Jacques Freymond: Le conflit sarrois. Vorwort von John Goormaghtigh. Brüssel 1959

Markus Gestier: Die christlichen Parteien an der Saar und ihr Verhältnis zum deutschen Nationalstaat in den Abstimmungskämpfen 1935 und 1955. St. Ingbert 1991

Markus Gestier, Hg.: Johannes Hoffmann – Eine erste Bilanz. Blieskastel 2004

Hermann Görgen: Ein Leben gegen Hitler. Geschichte und Rettung der »Gruppe Görgen«. Autobiographische Skizzen. Vorworte von Ignatz Bubis, Oskar Lafontaine und Manfred Abelein. Münster, Hamburg, London 1997

Hans-Walter Herrmann und Georg Wilhelm Sante: Geschichte des Saarlandes. Würzburg 1972

Johannes Hoffmann: Das Ziel war Europa. Der Weg der Saar 1945-1955. München und Wien 1963

Chris Humbs: Weltkulturerbe »Röchling-Völklingen« – bleibt ein Kriegsverbrecher der Namenspatron? Rundfunk Berlin-Brandenburg, 21. September 2000

Ulrich Pohlmann: Die Saarfrage und die Alliierten 1942–1948. Ffm. usw. 1993

Werner Reinert: Der Dicke muß weg. Ein Saar-Roman. Dillingen 1980

Karl August Schleiden: Johannes Hoffmann (1890-1967). In: Peter Neumann, Hg.: Saarländische Lebensbilder. Band 4. Saarbrücken 1989

Heinrich Schneider: Das Wunder an der Saar. Ein Erfolg politischer Gemeinsamkeit. Stuttgart 1974

Eugene Stanley: War and the Private Investor. A Study in the Relations of International Politics and International Private Investment. Garden City 1935