Die besseren Menschen

»Die Reise der Pinguine« ist mehr als nur ein Tierfilm. Vor allem für konservative Christen ist er eine Parabel auf Monogamie und ein Beweis für die Schöpfung Gottes. von andreas hartmann

Auf dem Plakat einer aktuellen Image-Kampagne für das Reiseland Österreich sieht man unter dem Slogan »Endlich. Österreich« ein Pinguin-Pärchen, das ganz offensichtlich gerade in der winterlichen Alpenrepublik angekommen ist und es sich erstmal in Klappstühlen vor einem herrlichen Panorama bequem gemacht hat. Die beiden wirken total entspannt, man ist im Urlaub; am Liegestuhl des einen baumelt ein Fotoapparat, wahrscheinlich werden gleich zwei Almdudler serviert.

Diese Kampagne wirkt beinahe wie ein Kommentar auf das, was in dem französischen Natur- und Tierfilm »Die Reise der Pinguine« zu sehen ist. Entspannung und einfach mal nichts tun, das ist im Leben der Pinguine eigentlich nicht eingeplant, lehrt dieser Film. In der Antarktis dreht sich vielmehr alles um die Reproduktion und um das Überleben, und selbst wenn der Pinguin mal ein wenig Freizeit hat und sich im Wasser austoben kann, sollte er vor allem nach Nahrung suchen, damit der Nachwuchs gefüttert werden kann.

Der Tierfilm, der weltweit einen unglaublichen Erfolg hat, zeigt den Auszug der Königspinguine aus den Gewässern am Südpol im Frühjahr. In riesigen Karawanen ziehen sie hunderte von Kilometern ins Landesinnere, obwohl sie sich auf dem Trockenen kaum fortbewegen können. Es ist ein mühsamer Marsch, den nicht jeder der Pinguine überleben wird. Doch er muss sein, die Pinguine müssen ins »Tal der Liebe«, wie es im Film heißt. Dort, im geschützten Landesinneren, finden sich Pärchen, die ein Jahr lang zusammenbleiben, um dann gemeinsam ein einziges Ei zu produzieren, das sie in der Eiseskälte hegen und pflegen und vor allem ausbrüten müssen.

Ist das Ei da, muss das abgemagerte Pinguin-Weibchen erneut hunderte von Kilometer zurück zum Meer wackeln, um sich erstmal wieder frisch zu machen. Derweil hütet der Pinguin-Papa das Ei, steht monatelang als Wärmespender einfach nur so da und brütet es aus. Er muss mindestens acht Wochen ohne jede Nahrung aushalten, und wenn das Kleine dann geboren ist, muss er sogar noch Nahrungsreserven erbrechen, die er irgendwo gespeichert hat, um sie dem winzigen Wuschelknäuel als Essbares anzubieten. Erst wenn Mutti zurückkehrt, kann er selbst völlig erschöpft die Reise zum Wasser antreten, was in seinem Zustand ein gefährliches Unterfangen ist. Kommt Mutti nicht rechtzeitig, muss er seinen Nachwuchs im Stich lassen, um selbst überleben zu können.

Diese »Pinguin-Passion«, wie sie Spiegel-Online in Anlehnung an Mel Gibsons Jesus-Splatter-Saga »Die Passion Christi« nennt, thematisiert der Film. Er erzählt von Aufopferungsbereitschaft, Treue, Liebe und solchen Dingen, von denen auch gerne Sonntags in der Kirche erzählt wird. Dass diese Pinguine niemals auf die Idee kämen, auf diesen grausam anmutenden Reproduktionsstress zu verzichten und sich stattdessen wirklich einmal zwei Klappstühle in Österreich zu schnappen, davon will er nichts wissen. Dass es sich dabei einfach um Naturphänome handelt, um ganz simple Instinkte, die hier zählen, interessiert in dem Film nicht. Nein, es soll schon die ganz große Geschichte erzählt und ein wahres Wunder der Natur gezeigt werden, und dass die Diskussion über diesen Film inzwischen vor allem in den USA derart absurde Züge angenommen hat, muss sich der Filmemacher schon selbst zuschreiben.

Aber natürlich nur zum Teil. Es konnte ja auch keiner ahnen, dass die »Reise der Pinguine« bereits jetzt der erfolgreichste französische Film aller Zeiten in den USA ist. Und das passiert ausgerechnet einem Tierfilm – ein Genre, dessen beste Jahre seit Walt Disneys Zeiten eigentlich längst vorbei sind. Es konnte auch niemand voraussehen, dass die Fraktion der Kritiker von Darwins Evolutionstheorie und überhaupt die christliche Rechte, sich derart auf einen Film mit tierischen Hauptdarstellern stürzt. So sah Luc Jacquet, der Regisseur von »Reise der Pinguine«, sich bereits gezwungen, via Le Monde kundzutun, dass er überzeugter Darwinist sei und sich gegen »jede Form des Bekehrungseifers« wende.

Wahrscheinlich hatte Luc Jacquet nicht geahnt, wie dämlich, verbohrt und fanatisch die Vertreter des »intelligent design« – der Lehre, dass hinter jedem Naturereignis der Wille eines Schöpfers erkennbar ist – in den USA wirklich sind, und dass sie anscheinend nur auf eine Story wie diese gewartet haben. Er wollte bestimmt nur einen Film für die ganze Familie drehen, deswegen auch der teilweise wirklich unerträgliche Kitsch, das Pathos und die permanente Überhöhung des schlichten Pinguinlebens. Dieser Film soll auch etwas für Kinder sein, deswegen wird Pinguin-Sex als »Tanz« umschrieben, und der natürliche Feind der Frackträger mit Watschelgang ist kein Seeleopard, sondern ein »Ungeheuer«.

Machen die Pinguine im »Tal der Liebe« Liebe, dann erklingt dazu eine Eisprinzessinen-Musik, so eine Art Eiszapfen-Elektronik samt Kinderstimmen-Gesang, was man zwar nicht aushält, was aber erhaben und eindrucksvoll wirken soll. Und dass Mama und Papa Pinguin andauernd unerträglich verständnisvoll mit menschlichen Stimmen miteinander quatschen, das hätte nun wirklich auch nicht sein müssen, wirkt aber kindgerechter.

Allerdings wird so das Leben von Tieren über Gebühr vermenschlicht und verkitscht. Man kann denjenigen, die in den Film alles Mögliche hineinprojizieren und Lehren für ihr eigenes Leben ziehen möchten, am Ende nicht einmal einen Vorwurf machen. Sie folgen ja nur den Handlungsanweisungen.

Es sind im übrigen nicht nur die Kreationisten, die in dem Film etwas entdeckt haben wollen, das für ihre Theorien spricht. Kirchenvertreter mögen außerdem die Monogamie der Königspinguine, während wiederum einige Feministinnen in der Tatsache, dass die Pinguin-Papas die Eier ausbrüten, indes die Mamas schwimmen gehen, ein Vorbild für alleinerziehende Eltern erkannt haben wollen. Andere wiederum werfen dem Film vor, er unterschlage, dass in Zoos bereits homosexuelles Verhalten unter Pinguinen entdeckt worden sei und dass Pinguine überhaupt gelegentlich zur Promiskuität neigten.

All das, dachte man einmal, müsse uns Menschen gar nicht kümmern. Die Tiere organisieren ihre Leben, wir unsere. So weit waren wir eigentlich schon. Sollen wir nun wieder ernsthaft von Tieren lernen? Gar von Pinguinen? Nur, wenn sie irgendwann wirklich auf ihren ewig gleichen Reproduktionsstumpfsinn verzichten und sich tatsächlich endlich die Klappstühle schnappen.