Alles halb so links

Die SPD hat ihre Minsterinnen und Minister für die große Koalition benannt. Mit ihnen dürften die »Reformen« zügig weiter gehen. von mario a. sarcletti

Noch am Montag vergangener Woche wollte Franz Müntefering nicht über Personalien sprechen. »Das ist nicht die Stunde für Personalentscheidungen«, sagte der Vorsitzende der SPD. Bereits eine Woche nach der Wahl hatte Gerhard Schröder eine ähnliche Parole ausgegeben: »Erst der Inhalt, dann das Personal.«

Aber die Zeit ist schnelllebig, und nachdem Gerhard Schröder erklärt hatte, dass er der neuen Bundesregierung definitiv nicht angehören werde, war für Müntefering die Stunde der Personalentscheidungen gekommen. Er selbst wird Vizekanzler und Minister für Arbeit und Soziales, Peer Steinbrück, der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident, soll Finanzminister werden, und Sigmar Gabriel, der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident, darf sich am Umweltressort versuchen. Verkehrsminister wird der Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee; ob er auch für den »Aufbau Ost« zuständig sein wird, ist noch nicht entschieden. Der ehemalige Leiter des Kanzleramts, Frank-Walter Steinmeier, soll Außenminister werden. Daneben sollen Ulla Schmidt, Brigitte Zypries und Heidemarie Wieczorek-Zeul ihre Ressorts behalten.

Mit diesem Personal dürfte sich eine Drohung Schröders erfüllen, die er bei der Bekanntgabe seines Rückzugs äußerte. Er habe die »Weichen« in die richtige Richtung »gestellt«, nun müssten »andere daran arbeiten, dass der Zug über diese Weichen in die richtige Richtung fährt«, sagte er.

Die »Weichen« heißen vor allem Agenda 2010 und Hartz-Gesetze. Mit Steinmeier sitzt künftig der Mann im Kabinett, der als einer der Urheber dieser »Reformen« gilt. Der Politiker aus Lippe war immer ein treuer Gefolgsmann des Kanzlers und arbeitete im Hintergrund. Er plante zwar die Auslandsreisen Schröders, war aber nie selbst mit von der Partie. Weitere Auslandserfahrungen vom Schreibtisch aus sammelte er als Koordinator der Geheimdienste, als der er auch für den Auslandsgeheimdienst zuständig war.

Amüsant ist die Entscheidung, Sigmar Gabriel zum Umweltminister zu machen. Er war zuletzt als »Pop-Beauftragter« der SPD tätig, was auch immer man sich darunter vorzustellen hat, und kämpfte für eine Deutschquote im Radio. In Umweltfragen tat er sich bislang nicht hervor. Seine bisherigen Aktivitäten auf diesem Gebiet lassen bereits erkennen, was in der Umweltpolitik künftig zu erwarten ist. Immer wieder hintertrieb er in seiner Zeit als als Ministerpräsident Niedersachsens die Vorhaben Jürgen Trittins.

So opponierte er gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der CDU gegen das Naturschutzgesetz und forderte eine Lockerung der Lärmschutzverordnung. Sein Einsatz für eine Verschiebung der Einführung des Dosenpfands brachte ihm im Jahr 2001 von der grünen Landtagsfraktion die Auszeichnung »Ritter der toten Dose« ein. In Erinnerung geblieben sei neben seinem Kampf gegen das Dosenpfand, »dass seine Landesregierung nie wirklich ambitioniert gegen die Inbetriebnahme von Schacht Konrad und Gorleben als Endlagerstandorte von Atommüll aufgetreten ist«, meinte die niedersächsische Landesvorsitzende der Grünen, Brigitte Pothmer.

Auch Gabriel selbst scheint nicht davon auszugehen, dass er wegen seiner Fachkompetenz für das Ministeramt nominiert wurde. Der Parteivorsitzende habe gesagt, es gehe auch um einen Generationswechsel, sagte Gabriel in der Tagesschau. »Aus dieser Rolle heraus hat er mich vorgeschlagen.«

Einen Generationswechsel wünscht sich auch Ute Vogt, die stellvertretende Vorsitzende der SPD: »Mir war es wichtig, dass es neue Gesichter gibt.« Wo sie diese neuen Gesichter entdeckt haben will, bleibt jedoch ihr Geheimnis. Außer Tiefensee gehören die neuen Minister schon lange zum sozialdemokratischen Establishments. Unter ihnen befinden sich zwei abgewählte Ministerpräsidenten. Einer davon, Steinbrück, löste mit seiner verheerenden Niederlage bei den Landtagswahlen im Mai sogar das Ende der rot-grünen Regierung mit aus.

Anders als Gabriel kann Steinbrück jedoch auf Landesebene auf Erfahrungen in dem Ressort verweisen, das er nunmehr im Bund übernehmen soll. Zwei Jahre lang war er Finanzminister in Nordrhein-Westfalen. Allzu erfolgreich war er dabei nicht. Die Haushalte 2001 und 2002 wurden vom nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshof nachträglich für verfassungswidrig erklärt.

Als Ministerpräsident tat er sich als großer Sparer und Kürzer hervor. Im Doppelhaushalt 2004/2005 sollten 200 Millionen Euro für die Freie Wohlfahrtspflege gestrichen werden. Auch bei der offenen Kinder- und Jugendarbeit wollte er 60 Prozent des Geldes einsparen. Proteste von Bürgern konnten die Sparpläne am Ende nur abmildern.

Bei den Kürzungen ging Steinbrück nach einer Methode vor, die er im Jahr 2003 gemeinsam mit dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) ausgearbeitet hatte: der so genannten Rasenmähermethode. Gemeinsam hatten sie eine Streichliste für Subventionen erstellt, nach dem Konzept sollten zwischen 2004 und 2006 15,8 Milliarden Euro an Subventionen gekürzt werden. Neben der Finanzhilfe für die Steinkohle sollte etwa die Entfernungspauschale für Pendler gekürzt werden, 190 Millionen Euro sollte die Streichung der Ausgleichszahlungen an Verkehrsbetriebe für ermäßigte oder kostenlose Tickets für Schüler oder Schwerbehinderte einbringen.

Steinbrück bezeichnete diese Methode am Wochenende als »Handwerkszeug«, das man »auch wieder auspacken« könne. 14,5 Milliarden Euro will er im Bundeshaushalt einsparen, auch den Verkauf des Autobahnnetzes an private Investoren erwägt er. In Fragen der Finanzen sieht er »keine ideologischen Unterschiede« zwischen der Union und der SPD. Sein Kompagnon in Kürzungsfragen, Roland Koch, begrüßte auf Spiegel-online Steinbrücks Berufung ins Kabinett und bezeichnete ihn als »kompetent, fair und verlässlich«.

Auch der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt, äußerte sich wohlwollend über die Personalpläne der SPD. Müntefering habe mit Erfolg die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze durchgesetzt, sagte er und lobte Steinbrück als kompetent, stark und durchsetzungsfähig. Die Koch-Steinbrück-Liste nannte er einen Erfolg versprechenden Einstieg, stellte jedoch auch klar, dass ihm die Pläne nicht weit genug gingen. »Angesichts des Auswuchses der Subventionen hilft aber kein Rasenmäher mehr, da muss mindestens ein Mähdrescher her«, forderte Hundt. Auch die CDU freute sich über die Ministerinnen und Minister der SPD; Volker Kauder sprach von einer »respektablen Mannschaft«.

Mit der Benennung der sozialdemokratischen Minister hat Müntefering zugleich eine weitere Entscheidung getroffen. Einen Herausforderer Merkels für die nächste Bundestagswahl wird die SPD unter den nunmehr Nominierten kaum finden können. Schließlich macht man sich als Finanz- beziehungsweise Arbeits- und Sozialminister nicht beliebt, der direkte Karrieresprung vom Umweltminister zum Kanzlerkandidaten wäre ein Novum. Und dass ein Politmanager wie Steinmeier über Nacht zur charismatischen Figur avanciert, ist eher unwahrscheinlich.