Leichter regieren

Neben den Sozialkürzungen haben die CDU und die SPD ein weiteres gemeinsames Projekt: die Föderalismusreform. Die Reform, die Regieren leichter macht. von christoph spehr

Wie fühlt man sich als Großer Koalitionär dieser Tage in Berlin? Was möchte man tun, worauf stellt man sich ein? Um sich in die Gemütsverfassung der künftigen Regierung einzufühlen, muss man sich klar machen, dass das Weltbild des durchschnittlichen Politikers einer Volkspartei von bemerkenswerter Schlichtheit ist.

Es sieht ungefähr so aus: Der Unternehmer ist der Mann, der auf internationalen Märkten zur Jagd geht und die Beute nach Hause bringt, die dort von einer viel zu großen, immerzu mäkelnden Familie verputzt wird. Sicher, einige packen auch mit an, und das soll man honorieren. Aber die meisten machen eigentlich nichts und vertun ihre Zeit mit Dingen, auf die es nicht ankommt: sich bilden, Kinder kriegen, Klamotten und anderen Krimskrams herstellen, den man billiger in Indien kaufen kann.

All das belastet den Mann, der sie alle versorgen soll, es macht seine Schritte schwer. Jüngere, drahtigere Konkurrenten, die ihre Familien besser im Griff haben, schnappen ihm öfter mal die Beute weg, und dann ist das Geschrei zu Hause groß. Da der Mann sich um die Familie nicht kümmern kann, braucht er den Schamanen, der diesen Sauhaufen organisiert. Das ist der Politiker.

Wenn man dieses Weltbild betrachtet, versteht man die so genannten Reformen, die in den vergangenen Jahren durchgesetzt wurden. Schon seit längerem arbeiten die Protagonisten der sich jetzt bildenden Großen Koalition Hand in Hand. Der Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag wird nunmehr ins Kabinett verlegt. Peer Steinbrück (SPD) und der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) verkündeten der Familie im Lande umgehend, dass 35 Milliarden Euro eingespart werden müssen. Ob das erreicht wird, indem die Familie mehr von der Beute zurückgeben muss, also die Mehrwertsteuer von 16 auf 18 oder gar 20 Prozent angehoben wird, oder ob gleich weniger ausgeteilt, also »gekürzt« wird, bleibt sich im Prinzip gleich. Klar ist, dass der jagende Mann nicht belastet werden soll, damit seine Schritte nicht noch schwerer werden.

Im Gespräch ist etwa eine Kürzung der Pendlerpauschale und der Eigenheimzulage. Man erwägt, das Rentenalter auf 67 zu erhöhen, sagt aber, vor allem sollte mal der tatsächliche durchschnittliche Rentenantritt auf 65 verschoben werden. Hierbei kommt gleich die zweite Strategie zur Anwendung, die Belastung im Zukünftigen. Wer heute bereits in Rente ist, kommt mit einer »Nullrunde« davon, also mit einer Kürzung durch Inflation; wer künftig im gleichen Alter in Rente geht, bekommt anteilig weniger. Genauso behält seinen Kündigungsschutz, wer heute schon einen Job hat; aber wer künftig einen antritt, kann ihn leichter verlieren.

Denjenigen, die von einer großen Koalition große Zumutungen erwarten, gibt man keine Argumente an die Hand. Um alles nicht so schlimm aussehen zu lassen, äußert man vorübergehend seine »Vorbehalte«, wie die SPD zum Thema Rente am Wochenende. Das Kürzen erfolgt künftig als so genannte Feinsteuerung, d.h. nicht durch vollständiges Streichen von Ansprüchen, sondern durch subtile Untergrabung auf dem Verordnungsweg.

Die wichtigsten, störenden Rechtsansprüche sind ja bereits beseitigt. Jugendliche sollen ihren Anspruch auf Hartz IV zwar nicht verlieren, er wird jedoch durch die Wiedereinführung des »Unterhaltsrückgriffs« auf die Eltern gegenstandslos. Nachdem man in der Diskussion um die Hartz-Gesetze die Zügel erst mal schleifen ließ, damit der Systemwechsel akzeptiert wird, kann jetzt wieder angezogen werden.

In Zukunft gewinnt der Zuschnitt der einzelnen Ministerien enorm an Bedeutung. Das Wirtschaftsministerium soll durch die Trennung vom Arbeitsministerium gestärkt werden, welches als reine Verteilungsstelle begriffen wird und am besten noch mehr privatisiert werden soll. Dafür erhält Edmund Stoiber, wenn er den Posten des »Superministers« antritt, den Bereich Technologie aus der Bildung und der Forschung und den EU-Bereich vom Finanzministerium.

Falls die Idee eines »Bürokratie-TÜVs« beim Wirtschaftsministerium durchgesetzt wird, d.h. eine Prüfung sämtlicher Gesetzesvorhaben auf »bürokratischen Aufwand« und »bürokratische Hemmnisse für Unternehmen«, hätte Stoiber eine Oberaufsicht, die bislang nur das Finanzministerium innehatte. Mit dem zusätzlichen Vorteil, nicht für die Gesamtbilanz verantwortlich zu sein wie das Ressort Finanzen.

Worin liegt aber nun die neue Qualität des Ganzen? Was hätten Schröder, Clement oder Eichel nicht auch gemacht? Hat die große Koalition gar kein eigenes Projekt, das sie von der bloßen Notverwaltung unterscheidet?

Doch, sie hat. Müntefering und Stoiber dürften das Vorhaben zu Ende bringen, mit dem sie aus letztlich wahlstrategischen Erwägungen im Jahr 2004 von Schröder, Koch und anderen gestoppt wurden: die so genannte Föderalismusreform. Hinter diesem harmlosen Begriff verbirgt sich eines der möglicherweise folgenreichsten Reformvorhaben der vergangenen Jahre. Vordergründig geht es darum, den Anteil der Gesetzesvorhaben, bei denen Bund und Länder zusammenarbeiten müssen, deutlich zu senken. Hintergründig geht es um die Durchsetzung eines anderen Staatsverständnisses: Das Prinzip der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet soll entkräftet, der Standortwettbewerb zwischen den Ländern verschärft werden.

Die Klage von sechs CDU-geführten Ländern gegen das Bundesverbot von Studiengebühren und gegen die bundesgesetzliche Pflicht zu studentischen Mitwirkungsrechten im Sinne der Verfassten Studentenschaft (VS) zeigt die Richtung an. Aber auch in dem Positionspapier der Bundesregierung aus dem Jahr 2003 mit dem Titel »Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung« wird über eine »leistungsabhängige« Hochschulförderung des Bundes nachgedacht, über »Öffnungsklauseln« in Bundesgesetzen (d.h. die Länder können Bundesgesetze teilweise ignorieren oder außer Kraft setzen) sowie über finanzielle Sanktionen gegen Länder, die durch eine mangelnde »Sparpolitik« die Einhaltung der Kriterien von Maastricht behindern.

Die FDP, die gerne mit am Verhandlungstisch säße und ohne die die CDU und die SPD im Bundesrat keine Zweidrittelmehrheit haben, drückte sich in den »Vorschlägen der Fraktionsvorsitzenden in den Landtagen« zur Föderalismusreform aus dem Mai 2004 gewohnt offenherzig aus: »Nur ein echter und fairer Standortwettbewerb« zwischen den Ländern »vermag den Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft zu genügen«. Deshalb sollten die Länder endlich die »Besitzstände« des öffentlichen Dienstes antasten. Der Länderfinanzausgleich müsse sich auf die Funktion eines »echten Hilfsfonds« beschränken.

Ganz so hart möchten es die Großkoalitionäre nicht angehen. Aber »die Freiheit, schneller zu entscheiden«, wie es in dem Papier der rot-grünen Bundesregierung »Renovierung eines Erfolgsmodells – Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung« aus dem Jahr 2003 heißt, lockt. Ziel ist ein Staatsapparat, der sich nahtlos an die Forderungen der Konzernwirtschaft anschmiegt, auf jeder Ebene schnell, effektiv und leise funktioniert und dann die Kraft des Faktischen für sich wirken lässt. Die Zeit der lauthals verkündeten Reformen scheint vorbei zu sein. Die im Stillen verwirklichten werden nicht weniger hart.