Lifestyle Aids-Werbung

Die Zahl der HIV-Neuinfektionen steigt. In der schwulen Presse tauchen jedoch mehr Anzeigen der Pharmaindustrie als kritische Berichte über das Leben mit der Krankheit auf. von werner graf

Egal ob »Glotze oder Glamour«, auch mit HIV oder Aids kannst du alles erleben. Mit dieser Aussage wirbt der Pharmakonzern Bristol-Meyer Squibb auf einer kompletten Seite in einem schwulen Stadtmagazin. Die Anzeige ist eine Imagewerbung des Unternehmens, das rezeptpflichtige Medikamente herstellt. So auch das Medikament Nucleomaxx, ein Präparat für HIV-Patienten. Für verschreibungspflichtige Arzneien darf in Deutschland außerhalb von medizinischen Fachzeitschriften jedoch nicht geworben werden. Die Pharmahersteller wählen deshalb den Weg der Imagekampagne – Anzeigen, die nicht das Produkt bewerben, sondern das Unternehmen darstellen. Garniert der Pharmakonzern – wie im vorliegenden Fall – seine Imagekampagne mit hübschen, muskulösen Jungs und platziert diese Anzeige in der Schwulenpresse, weiß nicht nur jeder in der Szene, auf welches Produkt angespielt wird, darüber hinaus wird auch die Botschaft transportiert: Ein Leben mit HIV und Aids ist einfacher, als du denkst, und du bleibst sogar hübsch dabei, wenn du das richtige Medikament schluckst.

Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich ein Artikel über Nucleomaxx. Das Medikament hilft gegen Lipodystrophie, eine häufige Nebenwirkung von HIV/Aids-Präparaten. Lipodystrophie ist eine Fettstoffwechselerkrankung, die das Körperfett umverteilt. Typische Symptome sind eingefallene Wangen oder der so genannte Stiernacken. Symptome, die man jedem Betroffenen sofort ansieht und die daher stigmatisierend wirken. Nucleomaxx soll angeblich diese Nebenwirkung abmildern. Der Artikel liest sich wie ein Werbetext des Herstellers. Der niederländische Patient Gary berichtet begeistert, dass er nun sogar »sein Hemd auszieht«, wenn er tanzen geht. Von Risiken und Nebenwirkungen ist in dem ganzseitigen Text nicht die Rede.

Die Doppelseite aus Anzeige plus Text erschien in sergej, einem schwulen Stadtmagazin aus Berlin, im Mai 2005 und ist keineswegs ein Einzelfall. Im Jahr 2005 ist in dem Magazin neben jedem Bericht über ein HIV/Aids-Präparat eine Anzeige einer Pharmafirma platziert worden. Ein Zusammenhang wird von der Zeitschrift bestritten; Redaktion und Anzeigenwerbung trenne man strikt voneinander. Die Texte zum Thema Medikation bei HIV/Aids wirken jedoch wie Produktwerbungen, die Risiken und Nebenwirkungen nahezu vollkommen ausblenden. Zwar beteuert der Chefredakteur von sergej aus Berlin, Michael Rädel, dass die Artikel »nur Journalisten oder Ärzte« schrieben, dennoch bekommt man das Gefühl, dass die Pharmafirmen die Texte verfassen lassen. Ein Vorwurf, der sich kaum beweisen lässt. Mit enormem Aufwand gelang es der Deutschen Aidshilfe 2002 dennoch, dem Magazin Our Munich nachzuweisen, dass es einen Text der Pharmaindustrie übernommen und als redaktionellen Artikel abgedruckt hatte. Im Jahre 2002 war die Aidshilfe auch davon überzeugt, dass sich in sergej ein Artikel befand, der von der Pharmaindustrie verfasst wurde, beweisen ließ sich der Verdacht freilich nicht. Die Redaktion von sergej widersprach dem Vorwurf damals.

Unmut über die Art und Weise der Berichterstattung regt sich in der schwulen Szene dennoch. Die Mitarbeiter der schwullesbischen Buchhandlung »Eisenherz« in Berlin berichten, dass sich immer mehr Kunden über sergej beschwerten. HIV und Aids würden verharmlost, kritisieren viele von ihnen. Auch Daniel, ein an Aids erkrankter Mann aus Berlin, erkennt sich in den Artikeln über Aids und Aids-Medikation nicht wieder. »Von meinen Problemen schreiben sie in diesen Zeitungen nichts.« Und tatsächlich findet man in diesem Jahr lediglich in einer Ausgabe der Siegessäule zwei ausführliche Artikel über das Leben mit und die Beeinträchtigungen durch HIV und Aids.

Den schwulen Stadtmagazinen vorzuwerfen, sie würden das Problem bewusst verharmlosen, wäre dennoch falsch. Regelmäßig erscheinen beispielsweise in sergej Berichte, die sich gegen Barebacking, das Ficken ohne Kondom, aussprechen. Auch die Siegessäule stellt fast jeden Monat Medikamente vor, die das Leben mit HIV und Aids erleichtern sollen. Dennoch erkennt Stefan Etgeton von der Verbraucherzentrale eine Tendenz in der Berichterstattung weg von langen Reportagen hin zu kleinen Produktpräsentationen. »Es wird stärker im Service-Teil berichtet. Die Auseinandersetzung mit den Problemen der Betroffenen kommt dabei meist zu kurz. Und viele Leser haben den Eindruck, HIV und Aids beträfen nur eine Minderheit.«

Dieser Eindruck kann beim Lesen mancher Produktpräsentationen auch leicht gewonnen werden. So schreibt sergej im Oktober 2005 folgendes über ein neues Präparat: »Der HIV-Proteasehemmstoff Lopinavir hemmt die Weiterverarbeitung der durch das HI-Virus neu gebildeten viralen Vorläuferproteine zu funktionstüchtigen Strukturproteinen und Enzymen ...« Eine Beschreibung, die man nur versteht, wenn man sich mit der Thematik beschäftigt. Dass in sergej »mehr Aufklärung für Betroffene und wissenschaftliche Berichte über neue Medikamente« als Artikel über das Leben mit HIV/Aids auftauchen, sieht auch Michael Rädel so, der Chefredakteur des Berliner sergej.

Aber gerade mit allgemeinen Artikeln, die jeder versteht, könnte man wieder mehr Sensibilität für das Thema erzeugen, doch diese findet man so gut wie nirgends. Im Vergleich zu den schwulen Pornomagazinen muss man den Stadtzeitungen zumindest zugute halten, dass sie das Thema überhaupt behandeln. Denn »wenn sie über die Medikamente berichten, berichten sie auch über Aids«, gibt Etgeton zu bedenken.

Aber auch die Imagewerbung ist in die Kritik geraten. Der Apotheker Tibor Harrach ärgert sich über das »Lifestyle-Aids«, das die Pharmaindustrie mit ihrer Selbstdarstellung kreiere. Außerdem ist es seiner Meinung nach fast egal, ob nun für die Produkte selbst oder für den Hersteller geworben werde. »Die Anzeigen sind so aufgebaut, dass für jemanden, der das Medikament schon einmal in der Hand hatte, ganz klar ist, welches Produkt gemeint ist.« Es stelle sich überhaupt die Frage, was solche Anzeigen bezwecken sollen. Für Michael Rädel trägt die Pharmaindustrie »durch ihre Anzeigen dazu bei, den Betroffenen die Angst vor dem Ausbruch der Krankheit zu nehmen«. Tibor Harrach sieht dies kritischer und gibt zu bedenken, dass »auf jeden Fall suggeriert wird, dass das Leben mit Aids relativ leicht zu bewältigen ist«. Und dies ist für ihn »sehr problematisch«. Die kurzen Artikel über neue Produkte können dazu kein Gegengewicht darstellen. »Innerhalb von zehn Zeilen kann man niemals die Vor- und Nachteile und vor allem die ganzen Nebenwirkungen, Wechselwirkungen, Kontraindikationen, Resistenzbildungen und Lebensbeeinträchtigungen darstellen, die durch die Medikation bedingt sein können. Selbst wenn der einzelne Redakteur dies gerne möchte«, erklärt Harrach.

Das Leben mit HIV und Aids hat sich in den letzten zehn Jahren grundlegend verändert. Früher verstarben die erkrankten Personen innerhalb kürzester Zeiträume. Gerade durch die Produkte der Pharmaindustrie ist das Leben für viele Patienten einfacher geworden. Eine kritische Berichterstattung wird dadurch jedoch schwieriger. Auf der einen Seite darf man die Probleme nicht verharmlosen, auf der anderen dürfen Betroffene aber auch nicht an den Pranger gestellt werden. Zudem sollten möglichst viele die Berichte verstehen können, damit gerade den Nichtinfizierten klar wird, was es heißt, mit HIV/Aids zu leben.

Dies ist eine Aufgabe, mit der sich viele Zeitschriften schwer tun, vor allem wenn auf der einen Seite ein gut zahlender Werbekunde steht. Vielleicht würde es schon helfen, wenn Kondomfirmen, deren Umsätze in den letzten Jahren in Deutschland erheblich eingebrochen sind, beginnen würden, im schwulen Umfeld zu werben. Aber vielleicht hat dies alles auch nichts mit dem Anstieg der Anzahl der HIV-Neuinfektionen zu tun. Denn warum die Bereitschaft zu unsafem Sex in der schwulen Szene steigt, weiß keiner. »Wir brauchen wieder eine sozialwissenschaftliche Aids-Forschung«, fordert deshalb der Verbraucherschützer Stefan Etgeton. Diese wichtige Ursachenforschung »gibt es seit den neunziger Jahren nicht mehr«.