Na, was macht die Arbeitssuche?

Mein letzter Hausbesucher von benjamin kaminski

Es klingelt. Einmal, zweimal, dreimal. Ich ahne schon, wer es ist: »mein« Kundenbetreuer von der Arbeitsagentur. Gestern hat er sich brieflich angekündigt, will sich nur mal kurz in der Wohnung umsehen. Ob in unserer Zweier-WG nicht eine eheähnliche Gemeinschaft vorliege und dergleichen mehr. Seit einer halben Stunde ist er überfällig, meine Mitbewohnerin sitzt im nahe gelegenen Café und wartet auf meine SMS.

Hausdurchsuchungsbefehl, Schutz der Privatsphäre, »begründeter Anfangsverdacht«, und so weiter, alles rechtsstaatlicher Plunder von gestern, jetzt ist meine »Mitwirkungspflicht« gefragt. Eigentlich sind wir gut vorbereitet, das gemeinsame Konto ist schon lange aufgelöst, ein Untermietvertrag unterschrieben, beide haben wir schon lange unsere Zimmer mit eigenem Bett und eine »auf Perspektive und gegenseitiges Eintreten angelegte Beziehung« führen wir leider sowieso nicht.

Vor der Tür steht ein Mittdreißiger, in billigem Anzug und mit Akten unterm Arm. Ob er »mal kurz reinschauen« dürfe? Was würde wohl passieren, wenn ich jetzt »nein« sagte? Ich weiß es nicht, denn ich tue es nicht. Stattdessen führe ich ihn in die Küche und biete ihm einen Kaffee an, vielleicht lenkt es ihn ab. Doch als ich die Milch aus dem Kühlschrank hole, schaut er aufdringlich hinein. Zum Glück ist nicht aufgeräumt, die Wurst wie der Käse sind auf alle Fächer verteilt, »getrennte Haushaltsführung« eben.

»Na, und was macht die Arbeitssuche?« fragt er locker. Sein Kommunikationstraining scheint noch nicht lange her zu sein. »Tag und Nacht denk’ ich nur daran«, kommt es mir über die Lippen. Ich blubbere ihn damit voll, in welchen Städten ich mich schon beworben habe. Einfallen wollen mir nur Orte, in denen ich in den letzten Jahren Urlaub gemacht habe. Hoffentlich will er nicht die Bewerbungsschreiben sehen und bietet mir keinen Ein-Euro-Job an!

Doch es läuft gut. Er steht auf und geht in Richtung Bad. Zwei Zahnbürsten hatten wir schon immer, keine Gefahr. Ebenso Handtücher und sonstige Utensilien, alles doppelt vorhanden. In meinem Zimmer schaut er auf das Che-Guevara-Poster an der Wand, faselt was von »ich war auch mal links«, nur die beiden Kopfkissen auf meinem Bett führen sofort zu einer Notiz in seinen Akten.

Noch ein kurzer Blick in den Schrank. Was er da wohl sucht? Sein Blick streift am Bücherregal entlang, hier gehen die letzten Reste von Privatsphäre verloren. Zurück in der Küche setzt er sich wieder, macht sich ein paar Notizen und will nun auch noch was loswerden. Was er schon alles erlebt habe, dickes Auto und ALG II, Schwarzarbeit Tag und Nacht, die Lohnabrechnungen offen auf dem Schreibtisch liegend. Offensichtlich hat er doch ein Problem mit seinem Job. Auf meine Frage, wann und wo er solche Dinge gesehen habe, kommt er ins Stottern. Er hat wohl zu lange in der Kantine der Arbeitsagentur gesessen, wo man sich die Propagandageschichten gegenseitig erzählt, bis ein jeder an sie glaubt. Schließlich verabschiedet er sich.

Vor meiner Tür erwartet ihn eine Überraschung. Auf meine SMS hin hatte meine Mitbewohnerin eine kleine Menschenmenge vor meiner Wohnungstür versammelt. »Hier soll jemand gut bezahlte Arbeit zu vergeben haben? Zwanzig Euro die Stunde netto, nichts anstrengendes und ganz legal?« Etwas schüchtern verweise ich auf meinen Besucher von der Arbeitsagentur. »Ja, er hier …!« Alle reden auf ihn ein, sie wollen nicht gefördert werden, sie fordern. Ich schließe schnell die Tür. Ich habe ihn danach nie wieder gesehen.