»Praktikanten kommen und gehen«

Sarah, Génération Précaire

Praktikanten sind billige Arbeitskräfte ohne Rechte. Die Aktivisten der französischen Génération Précaire wollen dies ändern. Die Gruppe wurde im September im Internet gegründet. Schon beim Aktionstag der Gewerkschaften Anfang Oktober mischten sich einige Aktivisten mit weißen Masken unter die Demonstranten. Nur zwei Monate nach ihrer Entstehung organisierte die Gruppe am Donnerstag der vergangenen Woche den wohl weltweit ersten Streik von Praktikanten.

Mit Sarah, einer Aktivistin von Génération Précaire, sprachen Sophie Feyder und Gilles Bouché.

Ist euer Streik erfolgreich verlaufen?

Ja, wir sind sehr zufrieden. Trotz der Kälte haben sich den ganzen Tag über zwischen 400 und 500 Menschen an den Aktionen beteiligt. Die Medien haben ausführlich darüber berichtet. Vor allem wurde eine Delegation vom Arbeitsminister Gérard Larcher empfangen – er war von sich aus auf uns zugekommen. Während unseres immerhin zweistündigen Gesprächs hat er die Missstände eingeräumt. Jetzt müssen wir uns nur auf geeignete Maßnahmen einigen.

Gab es konkrete Vorschläge des Arbeitsministers?

Vorerst ging es nur um eine erste Kontaktaufnahme. Wir sind uns darin einig, dass wir eine klare Definition des Praktikantenstatus brauchen. Allerdings spricht der Minister von einer Charta, wir hingegen von einem verbindlichen Gesetz. Darüber werden wir weiter verhandeln, vielleicht schon im Dezember, wenn wir uns mit der Regierung, den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden treffen.

Welche Forderungen stellt Génération Précaire?

Wir fordern eine minimale Entlohnung der Praktikanten. Momentan müssen Unternehmer für Praktikanten, die weniger als 30 Prozent des Mindestlohnes verdienen, keine sozialen Abgaben leisten. Wir wollen diese Art von Begrenzung in einen gesetzlichen Mindestlohn für Praktikanten umwandeln. Da Praktikanten zur Hälfte arbeiten und zur Hälfte ausgebildet werden, streben wir 50 Prozent des herkömmlichen Mindestlohns an. Allerdings sind wir, was die Zahlen angeht, flexibel. Unsere Funktion sehen wir darin, den Stein ins Rollen zu bringen. Nachher wird es die Sache der Abgeordneten sein, genaue Zahlen festzulegen.

Außerdem fordern wir, dass Praktika als Berufserfahrung anerkannt werden. Wenn man die Praktika eines Studenten aneinanderreiht, kommt man oft auf zwei, drei Jahre. Trotzdem kann man nicht auf eine Stellenanzeige antworten, in der zwei Jahre Berufserfahrung gefordert werden. Offensichtlich ist der Status des Angestellten wichtiger als die Leistung selbst, die der Praktikant erbringt. Auch verlangen wir, dass Unternehmer und Praktikanten in die Rentenkasse einzahlen. Wir hören von allen Seiten, dass wir erst in einem höheren Alter in Rente gehen können als die Generation unserer Eltern. Aber dann sollten wir auch so früh wie möglich anfangen, unsere Rentenbeiträge zu leisten, anstatt dass unser Eintritt ins Berufsleben hinausgezögert wird.

Im Moment dienen Praktikanten dazu, bezahlte Beschäftigte zu ersetzen.

Das ist ein besonders arger Missbrauch, mit dem wir aufräumen wollen. Viele Unternehmen planen Praktikantenstellen fest ein und tauschen alle sechs Monate die Praktikanten aus. Hier werden Arbeitsplätze als Praktikantenstellen getarnt. Deswegen fordern wir eine Frist, die verhindern soll, dass nach dem Ablauf eines Praktikums sofort der nächste Umsonstarbeiter eingestellt werden kann. Und wir fordern, dass die Zahl der zulässigen Praktikanten davon abhängig gemacht wird, wie viele Beschäftigte ein Betrieb hat. Vor allem in kleineren Unternehmen sieht man oft, dass 70 Prozent der Arbeitskräfte Praktikanten sind.

Ist es nicht zu leicht, die Schuld an der Misere nur bei den Unternehmern zu suchen?

Sicher trägt auch der Praktikant einen Teil der Verantwortung. Wenn ich bereit bin, auch nach meinem Studienabschluss noch Praktika zu machen, ist das meine eigene Entscheidung. Natürlich nimmt man kein Praktikum aus reiner Freude an. Niemand will auf der Stelle treten. Dazu kommt der Druck des Umfelds, vor allem der Eltern, die nicht verstehen, wieso man trotz Abschluss keinen Job findet. Ohne es zu wollen, tragen die Praktikanten so zu einem System bei, das ihnen den Eintritt ins Berufsleben erschwert.

Auch die Universitäten sind schuld am perversen System. Jugendliche, die sich mit Praktika über Wasser halten, schreiben sich in irgendwelche Kurse ein, um staatliche Zuschüsse zu kassieren. Von diesen Scheinimmatrikulationen profitieren die Universitäten. Die Studenten, die sie nichts kosten, weil sie nicht in Kurse gehen und keine Examen ablegen, bringen ihnen zusätzliche Subventionen ein. Die höchsten Subventionen bekommen die Universitäten für Doktorandenprogramme. Dann muss man sich auch nicht wundern, wenn Studienangebote florieren, die sehr spezialisiert sind, die aber der Nachfrage am Arbeitsmarkt nicht Rechnung tragen. Nur ein Teil der Verantwortung, wenn auch der größte, fällt den Unternehmern zu.

Arbeitet ihr mit den traditionellen Vertretern der Beschäftigten zusammen? Immerhin konkurrieren Praktikanten mit bezahlten Beschäftigten und vernichten reguläre Arbeitsplätze.

In den letzten drei Wochen haben wir alle Gewerkschaften getroffen und sind auch sehr gut empfangen worden. Die Gewerkschaften haben das Problem längst erkannt, wissen aber nicht, wie sie darauf reagieren sollten. Für sie ist die Situation etwas ungewohnt. Praktikanten haben nun mal keine Rechte, die man verteidigen könnte. Aber wir wollen uns auch gar nicht von ihnen vertreten lassen. Génération Précaire ist politisch, aber nicht parteiisch. Wir haben uns ausdrücklich an die Abgeordneten aller Fraktionen gerichtet, vom Front National mal abgesehen. Die Probleme der Praktikanten gehen doch nicht nur Kommunisten etwas an.

Aber mit eurem Anliegen müsstet ihr doch vor allem bei der Linken auf Sympathien stoßen.

Das mag sein. Trotzdem hat der Unternehmerverband Medef die Missbräuche ebenfalls anerkannt. Ich glaube nicht, dass das eher ein linkes als ein rechtes Thema ist. Die Missstände gehen jeden an und sollen nicht für Kämpfe zwischen politischen Parteien herhalten. Das wäre nicht in unserem Interesse. Bis jetzt bekommen wir von allen politischen Kräften auch ähnliche Antworten.

Wie schafft man Solidarität zwischen Praktikanten?

Das ist nicht einfach. Seit zwei Monaten versuchen wir, die Praktikanten aus ihrer Isolation herauszuholen. Über unsere Internetseite sammeln wir Erfahrungsberichte aus erster Hand. Um speziell die Studenten zu erreichen, verteilen wir Flugblätter an Universitäten. Aber auch in den Unternehmen selbst starten wir Aktionen. Dabei tragen wir unsere weißen Masken.

Wieso wollt ihr anonym bleiben?

Die Praktikanten unter uns wollen ihr Praktikum unter annehmbaren Bedingungen zu Ende führen können. Ebenso wollen diejenigen, die zurzeit Arbeit suchen, sich nicht ihre Chancen verderben. Die Masken haben auch eine symbolische Bedeutung: Praktikanten kommen und gehen, sie sind unsichtbar und leicht ersetzbar. Wer interessiert sich schon für ihr Gesicht?

Ein Tipp für die Praktikanten der Jungle World?

Vor zwei Monaten waren wir zu dritt, jetzt bittet der Arbeitsminister uns zum Gespräch. Alles ist machbar. Man muss sich nur organisieren und einen sehr pragmatischen Ansatz wählen.