Deutschunterricht

Das Foltern hat der US-Geheimdienst CIA bei den Nazis gelernt. Die Geschichte von Barbie, Gehlen, den Folterhandbüchern und -schulen erzählt markus euskirchen

Der deutsche Bürger Khaled el-Masri war Anfang 2004 mehrere Monate im CIA-Gefängnis »Salt Pit« in Afghanistan eingesperrt. Dort war offensichtlich auch ein deutscher Beamter namens »Sam« daran beteiligt, aus dem Entführten Informationen zu pressen. Im Mediengerausche um diesen Fall werden die historischen Wurzeln des besonderen Verhältnisses zwischen CIA und BND kaum berücksichtigt.

Während des Zweiten Weltkriegs waren in Eu­ropa und in Asien diverse Büros des US-Außen- und Verteidigungsministeriums mit der militärischen Informationsbeschaffung und mit Kommandoaktionen beschäftigt. Der erste selbständige Geheimdienst der USA war ab 1942 das Office of Strategic Services (OSS). Seine Aufgabe war es, anti-deutsche und anti-japanische Gruppierungen wie Maos kommunistische Truppen in China oder die Viet Minh im französischen Indochina zu bewaffnen, zu trainieren und mit Nachschub zu versorgen.

Als der Krieg gegen die deutschen und japanischen Faschisten gewonnen war, wurde das OSS 1945 aufgelöst. Die Frontstellung gegen den Weltkommunismus bekam oberste Priorität: Der so genannte Kalte Krieg wurde vielerorts und für viele Menschen ziemlich heiß. Alte Verbündete wie Mao und Ho Chi Minh waren mitt­lerweile zu Feinden, alte Feinde wie die deutschen Folterärzte und -knechte aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern oder die Offiziere der deutschen Feindaufklärung zu Verbündeten geworden.

Wie Theorie und Praxis der NS-Folterer integriert wurden, lässt sich exemplarisch am Beispiel der Nachkriegsbiographie von Klaus Barbie zeigen, dem »Schlächter von Lyon«. In seiner Karriere hatte er es zum Chef der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Lyon gebracht. Als solcher war er für die Folterung und Ermordung von KämpferInnen der Résistance verantwortlich. Aber auch Massaker wie in St. Genis-Laval, die Deportation der »Kinder von Izieu« sowie zahlreiche Erschießungen im Gefängnis Montluc gingen auf seine Rechnung. Obwohl Barbie in Nürnberg der Prozess gemacht werden sollte, übernahm ihn das Counterintelligence Corps (CIC) in Oberammergau, eine Einrichtung des unsystematischen Geflechts US-amerikanischer Geheimdienste. Barbie tauchte zunächst in Deutschland unter neuem Namen unter.

Inzwischen hatte US-Präsident Truman gegen Widerstände aus Militär, Außenministerium und FBI die Central Intelligence Group (CIG) zusammenstellen lassen – eine direkt dem Präsidenten unterstellte Gruppierung. Ihre Aufgabe war die dauerhafte »Zusammenführung und Koordinierung offener und verdeckter Methoden der Informationsbeschaffung und -bereitstellung«. Aus der CIG heraus wurde 1947 schließlich die Central Intelligence Agency (CIA) gegründet.

Die CIA wiederum nahm die Vorbereitung eines westdeutschen Auslandsgeheimdienstes in die Hand. Zentral hierfür war Generalmajor Reinhard Gehlen, mitverantwortlich für die Vorbereitung des Überfalles auf die Sowjetunion und die Durchführung des Vernichtungskrieges in Osteuropa. Er war 1942 Chef der »Abteilung Fremde Heere Ost« und damit der gesamten NS-Ostspionage geworden. Rechtzeitig vor Kriegsende hatte er dutzende Kisten mit nachrichtendienstlichem Material im Allgäu vergraben. Mit seinem für den Kalten Krieg höchst relevanten Material aus diesen Kisten erkaufte sich Gehlen die Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst der US-Armee und wurde 1946 Chef der »Organisation Gehlen«, die 1949 von der CIA übernommen wurde. 1956, nach dem Nato-Beitritt, wurde aus der »Organisation Gehlen« schließlich der Bundesnachrichtendienst (BND), Gehlen blieb Präsident bis 1968.

Barbie war mittlerweile enttarnt worden und mit Hilfe der CIA erneut untergetaucht und vor der französischen Strafverfolgung geflohen. Über die so genannte Rattenlinie, auf der tausende Nazis aus Europa flüchten konnten, kam er als CIA-Mitarbeiter nach Bolivien. Die Details gehen aus seiner CIA-Akte von 1967 hervor, die am 27. April 2001 veröffentlicht wurde. Demnach war seine Aufgabe die Kommunistenjagd. Als die CIA 1964 den Putschgeneral Rene Barrientos Ortuno an die Macht brachte, wurde Barbie Leiter der Inneren Sicherheit und zuständig für Aufstandsbekämpfung. Die Streiks der Zinn-Mineros beantwortete er mit Folter-, Verhör- und Mordmethoden, die er bei der Gestapo gelernt hatte. Genauso ging er gegen indigene Bevölkerungsteile vor, die er für rassisch und kulturell minderwertig und daher politisch unzuverlässig hielt.

Nebenbei gründete Barbie die Firma Estrella und lieferte Chinarinde an den Pharmakonzern Boehringer-Ingelheim, Koka-Paste und Waffen an den Ex-SS-Mann und Kollegen bei der peruanischen Geheimpolizei, Friedrich Schwend. Der hatte sein Wissen über Nazi-Gold an das OSS verkauft, war dafür nach Peru entkommen. Mit der Transportfirma Transmaritania machten die beiden Millionen in Kokain.

Nebenan, in Chile, ließ es sich Walter Rauff, ehemals Gruppenleiter im Reichssicherheitshauptamt und maßgeblicher Entwickler mobiler Gaswagen zur Ermordung von Lagerinsassen, als enger Vertrauter von Manuel Contreras gut gehen, dem Chef von Pinochets Geheimdienst Dina. Die Waffen kamen von einem weiteren SS-Kollegen, den ehemaligen Kommando-Offizier Otto Skorzeny, der jetzt in Franco-Spanien saß und enge Kontakte zur Bonner Niederlassung der Waffenfirma Merex hatte, die von Gerhard Mertins, einem ehemaligen Wehrmachtsoffizier, gegründet worden war. Einen dem Iran-Contra-Skandal vergleichbaren Chile-NS-Skandal hatte die CIA allerdings nie am Hals.

In die sechziger Jahre, die Zeit dieser intensiven Zusammenarbeit zwischen der CIA und den in der Welt verstreuten Nazis, fällt die erste Ausarbeitung des berüchtigten 150seitigen CIA-Folterhandbuchs. Es wurde in seiner Neuauflage für die Regierungen von Guatemala, Honduras und El Salvador 1985 bekannt und auch den Regierungen von Panama und Argentinien zur Verfügung gestellt. Die Welt schrieb dazu Anfang 1997: »Dabei zeigte sich, dass man auch körperliche Folter für zulässig hielt, man riet aber dazu, sich die geplanten Methoden wie Elektroschocks, Psychodrogen und Schläge von seinen Vorgesetzten absegnen zu lassen.« Weiterhin verwies sie auf eine Nachricht in der Tageszeitung USA-Today, wonach das Folterhandbuch noch 1995 in Gebrauch war. Mittlerweile findet es sich im Internet, und es ist unklar, inwieweit es nach dem 11. September 2001 wieder in Umlauf gebracht wurde.

Eine weitere Institution zur Pflege und Weitergabe von Repressionswissen bildet seit 1946 die so genannte School of the Americas, eine staatliche Schule mit Folterausbildung in den offiziellen Lehrplänen. Zwar wurden die Anleitungen zum Foltern, Erpressen und Exekutieren 1991 nicht zuletzt auf Druck der US-Bürgerrechtsorganisation »School of the Americas Watch« aus dem Programm gestrichen. Das belegte allerdings nur endgültig, dass sie vorher fester Bestandteil waren. Es sagt nichts darüber aus, wo und wie der Folterunterricht seitdem stattfindet. Anhaltende Proteste führten im Jahre 2001 nicht etwa zur geforderten Schließung, sondern zur Umbenennung der Folterschule in »Western Hemisphere Institute for Security Cooperation«.

Der Blick auf Folter- und Aufstandsbekämpfungssysteme mit geheimen Gefängnissen, einem Lager- und Flugtransportsystem und Folterschulen zeigt, dass sich der US-Machtapparat weit über den Einzelfall hinaus auf die ungeheuer »effektive« Repressions- und Folterpraxis der Nazis eingelassen hat.