Phönix aus der K-Gruppe

Eine Studie untersucht, wie die K-Gruppen funktioniert haben. von gottfried oy

Sie gelten als auffälligstes und irritierendstes Phänomen der Post-68er Zeit, gleichzeitig aber auch als Forschungsdesiderat: die K-Gruppen der siebziger Jahre. Was sich in Berlin und Westdeutschland zeitlich zwischen SDS-Auflösung und Grünen-Gründung, inhaltlich jenseits von Jusos, DKP, Trotzkisten und Spontis sammelte, hat allerdings einen festen Platz in der 68er-Mythologie: Der hippen Kulturrevolution folgte der dogmatische Backlash, so die Mär.

Das kann aber wohl kaum den Zuspruch einer intellektuellen Jugendbewegung erklären, die nahezu 100 000 bis 150 000 Linke durchlaufen haben sollen. Gerade deshalb ist es interessant, sich jenseits der manifesten Inhalte der Lebenswelt der K-Gruppen zu nähern, da sie anscheinend eine gewisse Attraktivität entfaltet haben musste. Andreas Kühn begibt sich in seinem Buch auf Spurensuche, leider führt jedoch schon seine Ausgangsfrage auf die falsche Fährte. Erklären zu wollen, warum eine »beachtliche Menge junger, intelligenter und zum Teil auch hoch qualifizierter Menschen totalitären Zielen zustrebte«, legt nahe, dass politisches Engagement jenseits gesetzestreuer Bahnen, zudem von Bildungsbürgern, irgendwie dubiose Züge trägt.

Kühn betont den Bruch zwischen »68« und den Siebzigern, er sieht einen Wechsel »von emanzipatorischen Ideen zur rigiden Kaderpolitik, von der Libertinage zur Totschlagrhetorik«. Unter einem anderen Blickwinkel wäre der Wechsel von antiautoritären zu neoleninistischen Positionen vielleicht gar nicht mehr so unerklärlich, weil die Kontinuität bestimmter Ansichten viel stärker wiegt – und somit vielleicht gar kein einschneidender Paradigmenwechsel zu verzeichnen ist.

Da ist zum einen die Ablehnung von Konsum, Warenwelt und Luxus. Aus Angst, von einer kommerzialisierten Jugendkultur überrollt zu werden, entstand schon in den Sechzigern eine religiöse Züge annehmende Askese, eine propagierte Enthaltsamkeit gegenüber einem als obszön empfundenen kapitalistischen Waren-Überangebot. Hier zeigt sich ein grundlegendes Unverständnis der Neuen Linken gegenüber dem ambivalenten Charakter von Popkultur: einerseits Ware zu sein und andererseits doch darüber hinaus zu weisen.

Ebenso ziehen sich bestimmte existen­zialistische Vorstellungen des Politikmachens durch die neulinke Geschichte. Nicht nur K-Gruppen, sondern auch die Antiautoritären im SDS oder die späteren Spontis verstanden ihr »Politischsein« als identitäres Konzept, Widersprüche waren kaum zugelassen, wer sich dem verschloss, galt als wankelmütig oder »unpolitisch«.

Zudem war es eine dubiose Faschismusanalyse, die immer noch eine Ehrenrettung des letztlich »guten« Volkes bzw. Proletariats betrieb, welche die K-Gruppen aus den Sechzigern her­überretteten und weiter zuspitzten.

Jenseits der manifesten Inhalte geht es Kühn allerdings mehr um Mentalitäten und Einstellungen, kulturelle Prägungen und Fixierungen. Hier liest sich die Geschichte der K-Gruppen wie eine Negation von »68«. Sekundärtugenden werden als vermeintlich proletarisch positiv besetzt, Pünktlichkeit, Erfüllung übertragener Aufgaben, Einhaltung von Verpflichtungen bekommen den Charakter von revolutionären Zielen zugesprochen. Durchweg konservative Vorstellungen zeigen sich, was Wohnen, Arbeit, Sexualität, Beziehungsformen und Kindererziehung betrifft – alles in Ablehnung angeblicher »Ausschweifungen« der 68er. Wohlmeinend interpretiert entwickelte sich aus einem Gespür dafür, dass bestimmte Elemente der 68er-Rebellion lediglich Modernisierungsfaktoren innerhalb kapitalistischer Umstrukturierungsprozesse waren, eine völlig verquere Propagierung eines fiktiven proletarischen Lebensstils als vermeintlich wahrhafte antikapitalistische Bastion.

Ein weiteres zentrales lebensweltliches Thema der K-Gruppen war die naive und hilflose Abgrenzung von der Popkultur: Zentrales Argument dabei war, dass Musik- und Tanzformen wie moderne Kleidung zur Spaltung von Jung und Alt führen würden. Ziel der Bourgeoisie als maßgeblicher Akteur der Popkultur sei schließlich »wachsender Alkoholismus, sexuelle Exzesse, Rausch­gift­sucht, Gammlertum, Hippyismus, wachsende Brutalität und die Bildung von Rockerbanden«, wie einem von Kühn zitierten K-Gruppen-Dokument zu entnehmen ist. Die Marxisten-Leninisten der Siebziger setzten dem eine Vorstellung von Askese entgegen, die in einen »Phönix-Mythos« mündete, so Kühn: »Die Askese ist kongruent mit dem Phönix-Komplex der Selbstreinigung und verdeutlicht den pseudoreligiösen Stil der K-Gruppen-Parteigänger.«

Während es überhaupt an psychologisierenden Vergleichen der K-Gruppen mit Sekten, studentischen Verbindungen und ähnlichen Vereinigungen nicht mangelt, fehlt hingegen ein zentraler Vergleich, nämlich der mit anderen Parteien – im Unterschied zu sozialen Bewegungen. Ebenso unberücksichtigt bleibt die Einbettung in die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse. Wenn etwa von Realitätsverlust im Hinblick auf staatliche Repression die Rede ist, so sollte doch zumindest das staat­liche Handeln jenseits bloßer Gesetzestexte wie etwa dem Radikalenerlass Erwähnung finden.

Kühns Fazit lässt nichts Gutes an den K-Gruppen. Für ihn sind sie elitäre Vereinigungen, ausgezeichnet durch ein »Höchstmaß an Misanthropie«, sie ständen »Denkmodellen wie Liberalismus oder Demokratie hasserfüllt« gegenüber. So verwundern letztlich auch seine, bei Gerd Koenen abgeschauten, impliziten sprachlichen Gleichsetzungen der Welt der K-Gruppen mit dem Nationalsozialismus im Stile von »rationale Kälte, die den Technokraten des Reichssicherheitshauptamtes gleichkam«, nicht wirklich. Der Anspruch, der Lebenswelt ein Stück näher zu kommen, bleibt dabei allerdings auf der Strecke.

Andreas Kühn: Stalins Enkel, Maos Söhne. Die Lebenswelt der K-Gruppen in der Bundesrepublik der 70er Jahre. Campus Verlag, New York, Frankfurt am Main, 2005, 358 Seiten, 39,90 Euro.