Antideutsche sind einsam

Viele antideutsche Überzeugungen sind längst linkes Gemeingut geworden. Aber etliche Gruppen scheuen die Konsequenzen. von david schweiger

Als die Jungle World kürzlich dazu einlud, sich in einer Serie von Beiträgen mit der Aktualität antideutscher Auffassungen zu beschäftigen, verstanden die meisten Autoren dies als eine Aufforderung dazu, sich mit »den Antideutschen« auseinanderzusetzen. Ganz gleich, ob sie gut oder schlecht über »die Antideutschen« sprachen, zogen fast alle eine klare Grenze zwischen »den Antideutschen« und »den Anderen«.

Tatsächlich geht jedoch dieses projektive Verfahren mit antideutschen Positionen an der Realität vorbei. Denn längst sind es nicht nur die anderen, die »antideutsch« sind, ebenso wenig ist »antideutsch« ein unveräußerbares Mar­kenzeichen von elitären Politzirkeln. Vielmehr sind antideutsche Essentials mehr oder weniger tief in das Bewusstsein der radikalen Linken der Bundesrepublik eingedrungen. Nicht nach »den Antideutschen« ist heute sinnvollerweise zu fragen, sondern nach der Möglichkeit und Notwendigkeit einer antideutschen Position für die radikale Linke.

Die antideutsche Linke hat sich vor allem aus der Kritik an der traditionellen bundesdeutschen Linken gebildet, aus der sie hervorgegangen war. Sie unterzog die klassische Bewegungslinke und deren traditionelle Gewiss­heiten einer grundlegenden Kritik. Insbesondere ging es um den permanenten Versuch, die Massen zu gewinnen und für dieses Unterfangen Kompromisse mit dem deutschen Volk zu schließen.

Die radikale Bewegungslinke der siebziger Jahre einte ihr positiver Bezug auf linke Traditionen, ein kruder Antizionismus und ausgeprägter Antiamerikanismus. Die antideutsche Linke hingegen machte die Formen deutscher Vergesellschaftung und die noch immer fehlende Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und deren Kontinuitäten zu ihrem Ausgangspunkt. Die radikale Bewegungslinke hatte zwar vorgegeben, den Nationalsozialismus zu reflektieren, projizierte diesen jedoch wahlweise auf Amerika, Israel oder deutsche Konserva­tive, anstatt der eigenen Befangenheit im »Haus des Henkers« gewahr zu werden.

Vieles von dem, was in den neunziger Jahren von der antideutschen Linken einer not­wen­digen Kritik unterzogen wurde, ist mitt­ler­weile erfolgreich destruiert. Der revolutionäre Antifaschismus mitsamt seines »Massenansatzes«, der Antizionismus oder der Antiamerikanismus bilden kein Band mehr, das die hiesige Linke über alle Strömungen hinweg einen würde. Die Solidarität mit Israel, die Kritik auch des linken Antisemitismus sowie die Abwehr von Versuchen, das deutsche Volk auf seine Seite ziehen zu wollen, sind zum Repertoire verschiedener (ehemaliger) Antifagruppen geworden, die sich zwar als Bewegungslinke begreifen, sich jedoch von der Bewegungslinken früherer Jahrzehnte abgrenzen.

Damit soll nicht behauptet werden, dass antideutsche Ideen hegemonial geworden wären, sondern nur, dass sie Einzug in das Denken der radikalen Linken gefunden haben. Mittlerweile existieren viele (ehemalige) Antifa-Gruppen, die sich selbst als »antideutsch« bezeichnen oder zumindest keine Einwände gegen eine derartige Charakterisierung haben. Sei es in Berlin, Göttingen, Erfurt, Köln, Frankfurt am Main oder Leipzig – überall finden sich politisch aktive Gruppen, die antideutsche Überlegungen in ihr Repertoire aufgenommen haben. Die Frage, die sich hier zwingend stellt, lautet, ob diese Gruppen über das Proklamieren antideutscher Statements hinauskommen oder ob sich diese in der politischen Praxis eher als Lippenbekenntnisse erweisen.

In der politischen Praxis nämlich zeigt sich, dass die antideutsche Position nicht in der Weise die einzelnen Gruppen miteinander zu verbinden vermag, wie es anderen Themen der vergangenen Jahrzehnte gelang.

Daher befindet sich die antideutsche Kritik trotz ihrer Erfolge in einer anhaltenden Krise. Allen Verlautbarungen zum Trotz ist nicht ersichtlich, wie sie sich in eine wirkungsvolle Praxis übertragen ließe. Zwar mag man sich auf einige Grundsätze einigen, aber es bleibt unklar, was daraus folgen soll.

Die antideutschen Annahmen führen zwingend zu einer Marginalisierung. Wird nämlich die bundesdeutsche Gesellschaft als ganze feindlich angesehen, muss man konsequenterweise jede Zusammenarbeit in Teilbereichen verweigern. Dies hat schwer wiegende Folgen für die politische Praxis, vor denen sich viele Gruppen scheuen, die sich als antideutsch verstehen. Die Jahrzehnte lang verfolgte linke Strategie – bürgerliche Bündnispartner finden, gesellschaftliche Konflikte zuspitzen und auf diese Weise radikale Inhalte durch­set­zen – funktioniert unter diesen Voraussetzungen nicht mehr. Wenn man in potenziellen Bündnispartnern nur Angehörige der deutschen Gesellschaft sieht, die zu bekämpfen ist, verbietet sich jede Zusammenarbeit.

Evident wurde dieses Problem in der Antifabewegung der neunziger Jahre. Immer hatte sie versucht, bürgerliche Bündnispartner für den Kampf gegen Neonazis zu gewinnen. Obwohl man sich zwar durchaus auf den Minimalkonsens »Gegen Nazis« einigen konnte, wurde schnell klar, dass es die deutsche Gesellschaft war, die immer wieder jene politischen Vorstellungen reproduzierte, welche auch bei den Neonazis für Zulauf sorgten. Die bürgerlichen Bündnispartner konnten sich gegen Nazis engagieren, blieben aber ein Teil des Problems, setzten sie doch auf Begriffe wie »Volk«, »Heimat« und »Arbeit«.

Ein Antifaschismus, der die antideutsche Auffassung ernst nimmt, kommt nicht umhin, sich auch gegen diejenigen zu stellen, die im Kampf gegen Nazis als Bündnispartner dienen. Dies wiederum bedeutet, sich bestimmten politischen Handlungsmöglichkeiten zu verschließen – ein Schritt, den viele Gruppen nicht gehen wollen, weil sie handlungsfähig bleiben wollen.

Offensichtlich wurde dieses Problem etwa am 8. Mai dieses Jahres. Das linksra­dikale Berliner Bündnis »Spasibo« wandte sich in seinem Demonstrationsaufruf vor allem gegen den Geschichtsrevi­sionismus des neuen Deutschland, das an diesem Tag zelebriert wurde. Doch die Demonstration richtete sich gegen den NPD-Aufmarsch, der am selben Tag stattfand, weshalb sie in der Öffentlichkeit als Teil des »anderen Deutschland« gewürdigt wurde. So sehr man sich verbal vom deut­schen Geschichtsrevisionismus abzugrenzen versuchte, mach­te man sich faktisch zu einem Teil dessen, was man kritisierte.

Eine antideutsche Position kann heutzutage daher nur bedeuten, sich des gesellschaftlichen Orts bewusst zu werden, von dem aus eine politische Intervention erfolgen kann. Dieser Ort sind die deutschen Verhältnisse, die es insgesamt anzugreifen gilt. Um politisch intervenieren zu können, muss man sich der gesellschaftlichen Formierungen bewusst werden, die hierzulande das gesellschaftliche und politische Gefüge bestimmen. Es ergibt wenig Sinn, vermeintlich linke Essentials zu universalisieren und in politischen Räumen handeln zu wollen, zu denen man selbst praktisch keine Bezüge besitzt.

Dies zeigte der Antifaschismus ebenso wie die Friedensbewegung anlässlich des Irak-Kriegs. Betrachtet man sich die gesellschaftlichen Reaktionen auf die bundesdeutsche Nazibewegung, kommt man nicht umhin festzustellen, dass der Kampf gegen Nazis zu einem integralen Bestandteil des modernisierten, zivilgesellschaftlichen Deutschlands geworden ist. Nur wenn man dies ignoriert, kann man gegen Neonazis zusammen mit Leuten vorgehen, die ihr Engagement zugleich auch als eines für die Modernisierung Deutschlands und einer entsprechenden internationalen Rolle Deutsch­lands verstehen. In dem Moment aber, in dem man sich dieser Verbindung gewahr wird, kann man sich nicht mit dem zivilgesellschaftlichen »Antifaschismus« gemein machen, sondern muss ihn als großdeutsche Standortpolitik angreifen.

In ähnlicher Weise gilt es, die bundesdeutsche Friedensbewegung in ihrer Gesamtheit als Teil des deutsch-europäischen Projekts einer weltpolitischen Gegenmacht zu den Vereinigten Staaten zu sehen. In einem Land, in dem plötzlich alle Pazifisten sein wollen, ohne den Krieg im Allgemeinen abzulehnen, muss man diese Bewegung der Kritik unterziehen und nicht versuchen, sie nach links zu rücken – wo sie erstens nicht hingehört und zweitens auch nicht hin will.

Aus alledem folgt, dass sich eine antideutsche Position konsequent gegen die deutschen Verhältnisse stellen muss. Sie muss sich versagen, um der politischen Handlungsfähigkeit willen mitzumachen, und sich stattdessen gegen die deutsche Mehrheitsgesellschaft wenden. Dies bedeutet zunächst, dass sie keine Massen um sich scharen wird. Dies heißt aber auch, dass sie sich nicht in Kompromissen verzettelt, sondern die eigene Überzeugung klar zur Geltung bringt und hieraus eine politische Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln vermag.

Der Autor ist Mitglied des Leipziger Bündnisses gegen Rechts.