Gedränge wie im Schlussverkauf

Mit der Fashion Week will sich Berlin als Modemetropole der Jungen und Kreativen profilieren. Die Hauptstadt lockt mit biligen Ateliers und prekären Jobs. von markus ströhlein

Den Schwarzspitzen-Riffhai scheint der Trubel nicht zu stören. Auch die Doppelsattelfalterfische und Seepferdchen bleiben auf bewundernswerte Weise ruhig. Dabei spielen sich bei der ENGEEberlin Style-Show N°7 seltsame Sze­nen ab. Die Macher haben sich als Ort der Präsen­tation, bei der zwölf Berliner Nachwuchsdesigner ihre neuen Entwürfe vorstellen, das Gebäude des Aquariums des Zoologischen Gartens ausgesucht. Beim inoffiziellen Auftakt der Berliner Modewoche herrscht großer Andrang. Die jungen Männer im Publikum haben sich Mühe gegeben, ihre Haare mit Hilfe von Gel und Haarspray möglichst unordentlich wirken zu lassen. Andere tragen den berüchtigten »Business-Iro«, ein Zitat des »Mohawk« genannten Hahnenkamms der Punks, wobei sich die in der Mitte des Schädels gegelten Haarstacheln am nächsten Morgen leicht wieder in eine ordentlich gescheitelte Frisur verwandeln lassen. Beliebt bei Männern und Frauen ist der asymmetrische Fransenlook oder eine Variante des Vokuhila, wie ihn Nena seit einem Vierteljahrhundert auf dem Kopf herumträgt. Begegnen sich Freunde oder Bekannte im Messegedränge, wird dies mit einem lang gezogenen »Heeeey« und einer möglichst aus­ladenden Geste bekundet. Es gibt Küsschen auf die rechte und die linke Wange. Dann schiebt man sich weiter durch die Gänge.

Penetrant dröhnen Klänge der Kategorie »Kirmes­techno« aus den Boxen. Der Zuschauerraum der »Style-Show N°7« ist der Catwalk für das Klischee.

Wer sich im Rahmen der Berliner Modewoche das eine oder andere schicke Stück ansehen wollte, musste mit solchen Szenarien rechnen. Mit Bread & Butter, Premium Berlin, 5th Floor und B-in-Berlin fanden Ende Januar vier große Modefachmessen in Berlin statt, wobei sich die drei letztgenannten zur Berlin Fashion Week zusammengeschlossen haben. Daneben gab es eine Anzahl kleinerer Schauen und Veranstaltungen, auf denen ebenfalls Bekleidung für die Herbst- und Wintersaison 2006/2007 vorgestellt wurde.

Bereits vorher hatte die PR-Maschinerie ihr Bestes gegeben, das banale Interesse, Klamotten verkaufen zu wollen, in ein riesiges Spektakel zu verwandeln. Die Konkurrenz ist groß. Anfang Februar findet in Düsseldorf die CPD, die größte Modemesse der Welt, statt. Die Organisatoren der Berliner Messen halten mit dem Hype der Hauptstadt dagegen, brabbeln vom »creative buzz« und dem hippen Design-Nachwuchs. Während Berlin flugs zum »kulturellen Epizentrum Europas« und »neuen Stern an Europas Modehimmel« erklärt wird, dürften die Gründe, warum es die Modemacher in die Stadt zieht, eher handfester finanzieller Natur sein. Berlin ist billig. Da können die internationalen Aussteller und Käufer einiges sparen. So verfällt manche Presseerklärung ins Schwär­men, wenn es um die niedrigen Preise in Hotels, Restaurants und Läden geht. Berlin biete »eine groß­artige Umgebung, für die Hälfte der Kosten in anderen Städten«.

Die Aussteller von Bread & Butter lassen sich ihre Auftritte dennoch einiges kosten. In der Halle mit Sport- und Streetwear flackern so vie­le LCD-Flachbildschirme, wie man hat unterbringen können. Die Stände mancher Anbieter sind opulent gestaltet. Andere bevorzugen die schlichte Variante. Die meisten Stände sind einladend offen. Andere sind jedoch wie kleine Burgen von Mauern aus Holz und Plastik umgeben. An den Eingängen stehen Türsteher. Das soll wohl exklusiv wirken, erweckt aber eher den Eindruck, als versuche jemand, seinen Sandkasten bewachen zu lassen.

Ein Hersteller von Unterwäsche hat zwei Models engagiert, die den ganzen Tag spärlich bekleidet in der recht zugigen Halle vor dem Stand posieren müssen. Ein »Herrenmagazin«, das auch in Mode macht, lockt mit den Autogrammstunden seiner Playmates.

Eine Firma appelliert an das Infantile in den Käufern und hat eigens eine Geisterbahn aufbauen lassen. Im Inneren werden Interessierte dann in kleinen Wägelchen an der neuen Kollektion vorbeigekarrt.

»Wir gehen jetzt erst mal einen Champagner trinken«, sagt eine Frau zu ihrer Geschäftspartnerin. Solche Sätze kann man in der Menge öfter hören. Viele Stände haben eigene Bars, an denen Cock­tails gemischt werden oder das obligatorische »Sektchen« gereicht wird. Die »Häppchen« dürfen natürlich auch nicht fehlen. Wer viel auf sich hält, bietet den möglichen Kunden Lachsschnittchen an. An den Tresen herrscht meist eine unangenehm penetrante Fröhlichkeit. An manchen Tischen jedoch sind die Mienen ernster. Dort lassen sich zähe Verkaufsverhandlungen belauschen. Man mag sich zwar zwang­los geben, dem Zwang, sich und seine Waren zu verscherbeln, entkommt niemand. Die deutsche Modeindustrie hat 2005 zum ersten Mal in fünf Jahren ihre Umsätze wieder gesteigert. Die Zahl der Beschäftigten in der Branche hat jedoch weiter abgenommen.

Die Berliner Jungdesigner, deren sich die Messe rühmt, bemühen sich nicht, gute Laune vorzutäuschen. Die Organisatoren haben sie in einer Durch­gangshalle untergebracht, in der selten jemand für längere Zeit stehen bleibt. Die meisten sitzen zwischen ihren Klamotten. Manche stricken, nähen oder schnippeln an Stoffen herum. Eine nimmt sich den Tee aus ihrer Thermoskanne und wärmt ihre Hände am Becher. Unter all den Attributen wie »hip«, »kreativ« oder »elektrisierend«, die dem Berliner Modenachwuchs in den offiziellen Broschüren und Pressemitteilungen zugeschrieben werden, sucht man »arm« vergeblich. Dabei sind viele der »jungen Kreativen« Selbständige, deren Geschäft auf größtmöglicher Selbstausbeutung mit hohen Arbeitszeiten und niedrigen Einnahmen beruht. Die Mienen der Aussteller zeugen nicht von der Hoffnung, nach der Messe mehr Geld in den Taschen zu haben.

Vielleicht gilt die Situation der Jungdesigner in der Modebranche aber auch als Zeichen des authen­tischen Underground. Mit dem schmückt man sich nicht mehr nur. Man hat seine Codes und Insig­nien perfekt eingearbeitet. An etlichen Ständen fällt der­jenige auf, der keine Tätowierung vorzeigen kann. Gerne werden Ramones- oder Motörhead-T-Shirts getragen. Kein Label, das cool wirken möchte, kommt ohne Totenköpfe auf seinen Kleidungs­stücken aus.

Auch den B-Boy-Style haben sich die Großen bis ins Kleinste angeeignet. Wer immer noch dem anachronistischen Gedanken anhängt, mit seiner Kleidung einer subversiven Geisteshaltung Ausdruck geben zu können, muss sich vielleicht in Zukunft auf einem Feuerwehrfest in der Provinz inspirieren lassen.

Und selbst diese Nische könnte vom großen Busi­ness besetzt werden. In der postmodernen Vielfalt der Stile schrecken die Macher auch vor Rustikalem und Bäuerlichem nicht zurück. Einige Aussteller für Schuhmode haben wieder Clogs im Sortiment, diese Holzdinger aus Holland, die nicht nur schlimm aus­sehen, sondern beim Laufen auch noch Krach machen.

Alles scheint also möglich. Vorhersagen über kommende Trends sind deshalb schwer. Man wird jedenfalls auch im Herbst und Winter 2006/2007 Hosen, Röcke und Kleider, Schuhe, Pullover, T-Shirts, Hemden, Jacken und Mützen tragen – sehr hässliche und sehr schöne.